Narren unter der ungebildeten, hingegen mehrere Fixirte und Rasende unter der kultivirten Volks- klasse.
Ein schönes Beispiel eines Verrückten dieser Art erzählt Pinel*), das uns ein treffendes Bild von dem Chaos der Ideen, Entschlüsse, mo- mentanen Regungen und den isolirten und zweck- losen Handlungen der Narren giebt. Diese Per- son, sagt er, nähert sich mir, sieht mich an, und überschwemmt mich mit seinem Geschwätz. Gleich darauf macht er es mit einem andern eben so. Kommt er in ein Zimmer, so kehrt er alles dar- in um, fasst Stühle und Tische, versetzt und schüttelt sie, ohne dabey eine besondere Absicht zu verrathen. Kaum hat man das Auge wegge- wandt, so ist er schon auf einer benachbarten Pro- menade und daselbst eben so zweckloss geschäftig als in dem Zimmer, plaudert, wirft Steine weg, rupft Kräuter aus, geht und geht denselben Weg wieder. Kurz ein ununterbrochner Strom loss- gebundner Ideen bestürmt ihn und veranlasst ihn zu eben so isolirten und zwecklosen Handlun- gen. Ein anderer sprach wechselsweise von sei- nem Hof, Pferden, Gärten und von seiner Pe- rücke ohne auf Antworten zu warten und dem Zuhörer Zeit zu lassen seinen unzusammenhän- genden Reden zu folgen. Er schwärmte wie ein Irrwisch in seinem Hause herum, schrie, schwatz-
te,
*) l. c. 176 S.
Narren unter der ungebildeten, hingegen mehrere Fixirte und Raſende unter der kultivirten Volks- klaſſe.
Ein ſchönes Beiſpiel eines Verrückten dieſer Art erzählt Pinel*), das uns ein treffendes Bild von dem Chaos der Ideen, Entſchlüſſe, mo- mentanen Regungen und den iſolirten und zweck- loſen Handlungen der Narren giebt. Dieſe Per- ſon, ſagt er, nähert ſich mir, ſieht mich an, und überſchwemmt mich mit ſeinem Geſchwätz. Gleich darauf macht er es mit einem andern eben ſo. Kommt er in ein Zimmer, ſo kehrt er alles dar- in um, faſst Stühle und Tiſche, verſetzt und ſchüttelt ſie, ohne dabey eine beſondere Abſicht zu verrathen. Kaum hat man das Auge wegge- wandt, ſo iſt er ſchon auf einer benachbarten Pro- menade und daſelbſt eben ſo zweckloſs geſchäftig als in dem Zimmer, plaudert, wirft Steine weg, rupft Kräuter aus, geht und geht denſelben Weg wieder. Kurz ein ununterbrochner Strom loſs- gebundner Ideen beſtürmt ihn und veranlaſst ihn zu eben ſo iſolirten und zweckloſen Handlun- gen. Ein anderer ſprach wechſelsweiſe von ſei- nem Hof, Pferden, Gärten und von ſeiner Pe- rücke ohne auf Antworten zu warten und dem Zuhörer Zeit zu laſſen ſeinen unzuſammenhän- genden Reden zu folgen. Er ſchwärmte wie ein Irrwiſch in ſeinem Hauſe herum, ſchrie, ſchwatz-
te,
*) l. c. 176 S.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0405"n="400"/>
Narren unter der ungebildeten, hingegen mehrere<lb/>
Fixirte und Raſende unter der kultivirten Volks-<lb/>
klaſſe.</p><lb/><p>Ein ſchönes Beiſpiel eines Verrückten dieſer<lb/>
Art erzählt <hirendition="#g">Pinel</hi><noteplace="foot"n="*)">l. c. 176 S.</note>, das uns ein treffendes<lb/>
Bild von dem Chaos der Ideen, Entſchlüſſe, mo-<lb/>
mentanen Regungen und den iſolirten und zweck-<lb/>
loſen Handlungen der Narren giebt. Dieſe Per-<lb/>ſon, ſagt er, nähert ſich mir, ſieht mich an, und<lb/>
überſchwemmt mich mit ſeinem Geſchwätz. Gleich<lb/>
darauf macht er es mit einem andern eben ſo.<lb/>
Kommt er in ein Zimmer, ſo kehrt er alles dar-<lb/>
in um, faſst Stühle und Tiſche, verſetzt und<lb/>ſchüttelt ſie, ohne dabey eine beſondere Abſicht<lb/>
zu verrathen. Kaum hat man das Auge wegge-<lb/>
wandt, ſo iſt er ſchon auf einer benachbarten Pro-<lb/>
menade und daſelbſt eben ſo zweckloſs geſchäftig<lb/>
als in dem Zimmer, plaudert, wirft Steine weg,<lb/>
rupft Kräuter aus, geht und geht denſelben Weg<lb/>
wieder. Kurz ein ununterbrochner Strom loſs-<lb/>
gebundner Ideen beſtürmt ihn und veranlaſst ihn<lb/>
zu eben ſo iſolirten und zweckloſen Handlun-<lb/>
gen. Ein anderer ſprach wechſelsweiſe von ſei-<lb/>
nem Hof, Pferden, Gärten und von ſeiner Pe-<lb/>
rücke ohne auf Antworten zu warten und dem<lb/>
Zuhörer Zeit zu laſſen ſeinen unzuſammenhän-<lb/>
genden Reden zu folgen. Er ſchwärmte wie ein<lb/>
Irrwiſch in ſeinem Hauſe herum, ſchrie, ſchwatz-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">te,</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[400/0405]
Narren unter der ungebildeten, hingegen mehrere
Fixirte und Raſende unter der kultivirten Volks-
klaſſe.
Ein ſchönes Beiſpiel eines Verrückten dieſer
Art erzählt Pinel *), das uns ein treffendes
Bild von dem Chaos der Ideen, Entſchlüſſe, mo-
mentanen Regungen und den iſolirten und zweck-
loſen Handlungen der Narren giebt. Dieſe Per-
ſon, ſagt er, nähert ſich mir, ſieht mich an, und
überſchwemmt mich mit ſeinem Geſchwätz. Gleich
darauf macht er es mit einem andern eben ſo.
Kommt er in ein Zimmer, ſo kehrt er alles dar-
in um, faſst Stühle und Tiſche, verſetzt und
ſchüttelt ſie, ohne dabey eine beſondere Abſicht
zu verrathen. Kaum hat man das Auge wegge-
wandt, ſo iſt er ſchon auf einer benachbarten Pro-
menade und daſelbſt eben ſo zweckloſs geſchäftig
als in dem Zimmer, plaudert, wirft Steine weg,
rupft Kräuter aus, geht und geht denſelben Weg
wieder. Kurz ein ununterbrochner Strom loſs-
gebundner Ideen beſtürmt ihn und veranlaſst ihn
zu eben ſo iſolirten und zweckloſen Handlun-
gen. Ein anderer ſprach wechſelsweiſe von ſei-
nem Hof, Pferden, Gärten und von ſeiner Pe-
rücke ohne auf Antworten zu warten und dem
Zuhörer Zeit zu laſſen ſeinen unzuſammenhän-
genden Reden zu folgen. Er ſchwärmte wie ein
Irrwiſch in ſeinem Hauſe herum, ſchrie, ſchwatz-
te,
*) l. c. 176 S.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 400. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/405>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.