pien der Erziehungskunde für Irrende, Curen für diese Fälle projektirt, aus deren Inbegriff endlich die Mittel für diesen Abschnitt abgezogen werden müssen. Hier tritt der Psychologe des Tollhauses in seine eigenthümliche Funktion ein, der ausser den allgemeinen Kenntnissen eine genaue Bekannt- schaft mit dem Individuum, Genie, Scharfsinn, Praxis und Schnelligkeit in der Benutzung des Zufalls haben muss. Ein glücklicher Einfall, zur rechten Zeit, ist im Stande den Kranken auf der Stelle zu heilen. Ferner muss der Kranke volles Zutrauen zu seinem Seelen- Arzt haben. Er glaubt alsdenn anfangs auf Auctorität; und dies bahnt den Weg zum Glauben aus Ueberzeu- gung. Es kömmt endlich sehr auf die Wahl der Zeit, auf die Manier des Vortrags, auf Stimme und Geberden und auf die Zusammenstellung dieser psychischen Mittel mit andern an. Diese heben die Wirkung jener, jene die Wirkung dieser Mittel.
Der psychische Arzt vermeide alles üppige Wortgepränge; trage seine Ideen und Gründe so deutlich und einleuchtend vor, dass der gemeinste Menschenverstand sie fassen kann. Spricht er zu viel, so hat dies den Nachtheil, dass er dem Kranken als ein Schwätzer erscheint, der kein Zutrauen findet, und der Kranke kann aus Ohn- macht den Schwall nicht fassen und verliert das Wichtige über dem Unwichtigen, weil ihm die Ruhepunkte nicht verstattet werden, die sein
pien der Erziehungskunde für Irrende, Curen für dieſe Fälle projektirt, aus deren Inbegriff endlich die Mittel für dieſen Abſchnitt abgezogen werden müſſen. Hier tritt der Pſychologe des Tollhauſes in ſeine eigenthümliche Funktion ein, der auſser den allgemeinen Kenntniſſen eine genaue Bekannt- ſchaft mit dem Individuum, Genie, Scharfſinn, Praxis und Schnelligkeit in der Benutzung des Zufalls haben muſs. Ein glücklicher Einfall, zur rechten Zeit, iſt im Stande den Kranken auf der Stelle zu heilen. Ferner muſs der Kranke volles Zutrauen zu ſeinem Seelen- Arzt haben. Er glaubt alsdenn anfangs auf Auctorität; und dies bahnt den Weg zum Glauben aus Ueberzeu- gung. Es kömmt endlich ſehr auf die Wahl der Zeit, auf die Manier des Vortrags, auf Stimme und Geberden und auf die Zuſammenſtellung dieſer pſychiſchen Mittel mit andern an. Dieſe heben die Wirkung jener, jene die Wirkung dieſer Mittel.
Der pſychiſche Arzt vermeide alles üppige Wortgepränge; trage ſeine Ideen und Gründe ſo deutlich und einleuchtend vor, daſs der gemeinſte Menſchenverſtand ſie faſſen kann. Spricht er zu viel, ſo hat dies den Nachtheil, daſs er dem Kranken als ein Schwätzer erſcheint, der kein Zutrauen findet, und der Kranke kann aus Ohn- macht den Schwall nicht faſſen und verliert das Wichtige über dem Unwichtigen, weil ihm die Ruhepunkte nicht verſtattet werden, die ſein
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[214/0219]
pien der Erziehungskunde für Irrende, Curen für
dieſe Fälle projektirt, aus deren Inbegriff endlich
die Mittel für dieſen Abſchnitt abgezogen werden
müſſen. Hier tritt der Pſychologe des Tollhauſes
in ſeine eigenthümliche Funktion ein, der auſser
den allgemeinen Kenntniſſen eine genaue Bekannt-
ſchaft mit dem Individuum, Genie, Scharfſinn,
Praxis und Schnelligkeit in der Benutzung des
Zufalls haben muſs. Ein glücklicher Einfall,
zur rechten Zeit, iſt im Stande den Kranken auf
der Stelle zu heilen. Ferner muſs der Kranke
volles Zutrauen zu ſeinem Seelen- Arzt haben.
Er glaubt alsdenn anfangs auf Auctorität; und
dies bahnt den Weg zum Glauben aus Ueberzeu-
gung. Es kömmt endlich ſehr auf die Wahl der
Zeit, auf die Manier des Vortrags, auf Stimme
und Geberden und auf die Zuſammenſtellung
dieſer pſychiſchen Mittel mit andern an. Dieſe
heben die Wirkung jener, jene die Wirkung dieſer
Mittel.
Der pſychiſche Arzt vermeide alles üppige
Wortgepränge; trage ſeine Ideen und Gründe ſo
deutlich und einleuchtend vor, daſs der gemeinſte
Menſchenverſtand ſie faſſen kann. Spricht er zu
viel, ſo hat dies den Nachtheil, daſs er dem
Kranken als ein Schwätzer erſcheint, der kein
Zutrauen findet, und der Kranke kann aus Ohn-
macht den Schwall nicht faſſen und verliert das
Wichtige über dem Unwichtigen, weil ihm die
Ruhepunkte nicht verſtattet werden, die ſein
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/219>, abgerufen am 21.11.2024.
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