schwaches Gehirn nöthig hat. Der Arzt lasse es gut seyn, wenn der Kranke durch einen tiefen Seufzer seinen Gründen Beifall gegeben und da- durch angezeigt hat, dass er für dieselben nicht ganz taub sey. Ist der Kranke ein und abermals seines Irrthums überführt, so darf der Arzt den wiederkehrenden Wahn nicht mit neuen Gründen bestreiten. Er verweist auf die schon gegebenen und mahnt ihn zum Glauben an. Oft wirken die Vorstellungen zwar nicht auf der Stelle; aber nach- her, bey einer günstigern Zeit, fängt der Kranke an sie zu beachten und ihren Gehalt zu mustern. Ist er taub für die ersten triftigen Gründe, so ist er es auch für die folgenden schwächeren. Die matte Urtheilskraft erliegt unter dem Wust von Ideen und fängt in diesem Zustande so sehr an zu schwanken, dass sie auch an dem Begreiflichsten zweifelt. Die Aufmerksamkeit ist beschränkt und kann nur einen gewissen Grad von Anstrengung aushalten. Gelingen diese Versuche durchaus nicht; so stehe man ab, bekämpfe den Kranken erst mit andern Waffen, wirke durch körperliche Gefühle, Arbeit und Zerstreuung auf ihn, und bereite ihn dadurch erst vor zu künftigen neuen Angriffen durch diese höhere Ordnung psychi- scher Mittel.
Die Mittel selbst übergehe ich, und begnüge mich den Platz bezeichnet zu haben, wohin sie kommen sollten. Auch scheint es, dass man sich mit allgemeinen Reflexionen über dieselben begnü-
ſchwaches Gehirn nöthig hat. Der Arzt laſſe es gut ſeyn, wenn der Kranke durch einen tiefen Seufzer ſeinen Gründen Beifall gegeben und da- durch angezeigt hat, daſs er für dieſelben nicht ganz taub ſey. Iſt der Kranke ein und abermals ſeines Irrthums überführt, ſo darf der Arzt den wiederkehrenden Wahn nicht mit neuen Gründen beſtreiten. Er verweiſt auf die ſchon gegebenen und mahnt ihn zum Glauben an. Oft wirken die Vorſtellungen zwar nicht auf der Stelle; aber nach- her, bey einer günſtigern Zeit, fängt der Kranke an ſie zu beachten und ihren Gehalt zu muſtern. Iſt er taub für die erſten triftigen Gründe, ſo iſt er es auch für die folgenden ſchwächeren. Die matte Urtheilskraft erliegt unter dem Wuſt von Ideen und fängt in dieſem Zuſtande ſo ſehr an zu ſchwanken, daſs ſie auch an dem Begreiflichſten zweifelt. Die Aufmerkſamkeit iſt beſchränkt und kann nur einen gewiſſen Grad von Anſtrengung aushalten. Gelingen dieſe Verſuche durchaus nicht; ſo ſtehe man ab, bekämpfe den Kranken erſt mit andern Waffen, wirke durch körperliche Gefühle, Arbeit und Zerſtreuung auf ihn, und bereite ihn dadurch erſt vor zu künftigen neuen Angriffen durch dieſe höhere Ordnung pſychi- ſcher Mittel.
Die Mittel ſelbſt übergehe ich, und begnüge mich den Platz bezeichnet zu haben, wohin ſie kommen ſollten. Auch ſcheint es, daſs man ſich mit allgemeinen Reflexionen über dieſelben begnü-
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ſchwaches Gehirn nöthig hat. Der Arzt laſſe es
gut ſeyn, wenn der Kranke durch einen tiefen
Seufzer ſeinen Gründen Beifall gegeben und da-
durch angezeigt hat, daſs er für dieſelben nicht
ganz taub ſey. Iſt der Kranke ein und abermals
ſeines Irrthums überführt, ſo darf der Arzt den
wiederkehrenden Wahn nicht mit neuen Gründen
beſtreiten. Er verweiſt auf die ſchon gegebenen
und mahnt ihn zum Glauben an. Oft wirken die
Vorſtellungen zwar nicht auf der Stelle; aber nach-
her, bey einer günſtigern Zeit, fängt der Kranke
an ſie zu beachten und ihren Gehalt zu muſtern.
Iſt er taub für die erſten triftigen Gründe, ſo iſt
er es auch für die folgenden ſchwächeren. Die
matte Urtheilskraft erliegt unter dem Wuſt von
Ideen und fängt in dieſem Zuſtande ſo ſehr an zu
ſchwanken, daſs ſie auch an dem Begreiflichſten
zweifelt. Die Aufmerkſamkeit iſt beſchränkt und
kann nur einen gewiſſen Grad von Anſtrengung
aushalten. Gelingen dieſe Verſuche durchaus
nicht; ſo ſtehe man ab, bekämpfe den Kranken
erſt mit andern Waffen, wirke durch körperliche
Gefühle, Arbeit und Zerſtreuung auf ihn, und
bereite ihn dadurch erſt vor zu künftigen neuen
Angriffen durch dieſe höhere Ordnung pſychi-
ſcher Mittel.
Die Mittel ſelbſt übergehe ich, und begnüge
mich den Platz bezeichnet zu haben, wohin ſie
kommen ſollten. Auch ſcheint es, daſs man ſich
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/220>, abgerufen am 21.11.2024.
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