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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803.

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stilles Gewölbe, das mit den seltsamsten, festen
und beweglichen, todten und lebendigen Gegen-
ständen angefüllt ist. Der Art wären, wenn
grausende Eindrücke erfordert würden, Wind-
schläuche, Wassergüsse, Eisssäulen, Pelzmänner,
Marmor-Statüen, Todtenhände, die unvermerkt
den Bart streichen. Diese Objekte würden durch
ihre Wirkung aufs Getast der Phantasie den
mannichfaltigsten Stoff zur Uebung darbieten.
Für andere Kranke, die reizbar sind, werden
Gegenstände gewählt, die nichts schreckhaftes
haben.

Das Ohr ist eins der Sinnorgane, das
man den Eindrücken am schwersten verschliessen
kann. Viele seiner Anschauungen sind zugleich
mit einem angenehmen oder unangenehmen Ge-
fühl verbunden. Durch dasselbe wirkt der Zau-
ber der Töne auf uns, die Pythagoras das
Element der Geister nannte. Ausserdem hat es
noch die hohe Bestimmung, die Sprache aufzu-
fassen, fremde Gedanken in der Seele anzuzünden
und dadurch das Haupt- Communicationsorgan
der Geisterwelt zu werden. Die Schläge von
Schwärmern, Pistolenschüsse, Kanonendonner,
der gellende Ton eines Blasinstruments, das an-
haltende Brummen einer zwey und dreissigfüssigen
Orgelpfeife, das langsame Anschlagen an eine
grosse und dumpfe Glocke, oder einzelne Schläge
auf der türkischen Trommel; alles dies in einem
einsamen, hohen, sonoren und finstern Gewölbe

ſtilles Gewölbe, das mit den ſeltſamſten, feſten
und beweglichen, todten und lebendigen Gegen-
ſtänden angefüllt iſt. Der Art wären, wenn
grauſende Eindrücke erfordert würden, Wind-
ſchläuche, Waſſergüſſe, Eiſsſäulen, Pelzmänner,
Marmor-Statüen, Todtenhände, die unvermerkt
den Bart ſtreichen. Dieſe Objekte würden durch
ihre Wirkung aufs Getaſt der Phantaſie den
mannichfaltigſten Stoff zur Uebung darbieten.
Für andere Kranke, die reizbar ſind, werden
Gegenſtände gewählt, die nichts ſchreckhaftes
haben.

Das Ohr iſt eins der Sinnorgane, das
man den Eindrücken am ſchwerſten verſchlieſsen
kann. Viele ſeiner Anſchauungen ſind zugleich
mit einem angenehmen oder unangenehmen Ge-
fühl verbunden. Durch daſſelbe wirkt der Zau-
ber der Töne auf uns, die Pythagoras das
Element der Geiſter nannte. Auſserdem hat es
noch die hohe Beſtimmung, die Sprache aufzu-
faſſen, fremde Gedanken in der Seele anzuzünden
und dadurch das Haupt- Communicationsorgan
der Geiſterwelt zu werden. Die Schläge von
Schwärmern, Piſtolenſchüſſe, Kanonendonner,
der gellende Ton eines Blasinſtruments, das an-
haltende Brummen einer zwey und dreiſsigfüſsigen
Orgelpfeife, das langſame Anſchlagen an eine
groſse und dumpfe Glocke, oder einzelne Schläge
auf der türkiſchen Trommel; alles dies in einem
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[203/0208] ſtilles Gewölbe, das mit den ſeltſamſten, feſten und beweglichen, todten und lebendigen Gegen- ſtänden angefüllt iſt. Der Art wären, wenn grauſende Eindrücke erfordert würden, Wind- ſchläuche, Waſſergüſſe, Eiſsſäulen, Pelzmänner, Marmor-Statüen, Todtenhände, die unvermerkt den Bart ſtreichen. Dieſe Objekte würden durch ihre Wirkung aufs Getaſt der Phantaſie den mannichfaltigſten Stoff zur Uebung darbieten. Für andere Kranke, die reizbar ſind, werden Gegenſtände gewählt, die nichts ſchreckhaftes haben. Das Ohr iſt eins der Sinnorgane, das man den Eindrücken am ſchwerſten verſchlieſsen kann. Viele ſeiner Anſchauungen ſind zugleich mit einem angenehmen oder unangenehmen Ge- fühl verbunden. Durch daſſelbe wirkt der Zau- ber der Töne auf uns, die Pythagoras das Element der Geiſter nannte. Auſserdem hat es noch die hohe Beſtimmung, die Sprache aufzu- faſſen, fremde Gedanken in der Seele anzuzünden und dadurch das Haupt- Communicationsorgan der Geiſterwelt zu werden. Die Schläge von Schwärmern, Piſtolenſchüſſe, Kanonendonner, der gellende Ton eines Blasinſtruments, das an- haltende Brummen einer zwey und dreiſsigfüſsigen Orgelpfeife, das langſame Anſchlagen an eine groſse und dumpfe Glocke, oder einzelne Schläge auf der türkiſchen Trommel; alles dies in einem einſamen, hohen, ſonoren und finſtern Gewölbe

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Zitationshilfe: Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/208>, abgerufen am 04.05.2024.