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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803.

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ben hat, welches nemlich durch den Zwang
vertreten wird. Während der Zeit, dass diesel-
ben wirklich sind, muss der Wahn schweigen.
Dann haben diese Actionen der Seele noch den
Vortheil, dass jede derselben isolirt ist, der In-
begriff aller, durch die ununterbrochene Folge,
keine Association und der Phantasie keinen Spiel-
raum zur Thätigkeit zulässt, und daher der Kran-
ke gehindert wird, auf den Gegenstand des
Wahns abzuspringen.

Die vorzüglichsten Sinnorgane sind das
Getast, das Ohr und das Auge. Geruch
und Geschmack gewähren weniger reine Anschau-
ungen, sondern mehr Gefühle, und gehören
daher eigentlich nicht hieher, sondern unter die
vorige Classe psychischer Heilmittel. Doch glaube
ich, dass man wenigstens mit dem Organ des
Geruchs durch ein wohlgeordnetes Etui von Par-
fümerieen mancherley nützliche Versuche anstel-
len und die Seele auf diese Weise, durch die
Unterscheidung der Gerüche, in der Besonnen-
heit üben könnte. Aufs Getast können wir
allerhand Gegenstände anwenden, die durch
Anschauung des Glatten oder Rauhen, des Kalten
oder Warmen, des Leichten oder Schweren und
besonders durch ihre mannichfaltigen Formen
wirken. Zur Zeit, wo dieser Sinn geübt wird,
setzt man alle übrigen ausser Thätigkeit, damit
er allein zu wirken genöthiget sey. Man bringt
z. B. den Kranken in ein stockfinsteres und todt-

ben hat, welches nemlich durch den Zwang
vertreten wird. Während der Zeit, daſs dieſel-
ben wirklich ſind, muſs der Wahn ſchweigen.
Dann haben dieſe Actionen der Seele noch den
Vortheil, daſs jede derſelben iſolirt iſt, der In-
begriff aller, durch die ununterbrochene Folge,
keine Aſſociation und der Phantaſie keinen Spiel-
raum zur Thätigkeit zuläſst, und daher der Kran-
ke gehindert wird, auf den Gegenſtand des
Wahns abzuſpringen.

Die vorzüglichſten Sinnorgane ſind das
Getaſt, das Ohr und das Auge. Geruch
und Geſchmack gewähren weniger reine Anſchau-
ungen, ſondern mehr Gefühle, und gehören
daher eigentlich nicht hieher, ſondern unter die
vorige Claſſe pſychiſcher Heilmittel. Doch glaube
ich, daſs man wenigſtens mit dem Organ des
Geruchs durch ein wohlgeordnetes Etui von Par-
fümerieen mancherley nützliche Verſuche anſtel-
len und die Seele auf dieſe Weiſe, durch die
Unterſcheidung der Gerüche, in der Beſonnen-
heit üben könnte. Aufs Getaſt können wir
allerhand Gegenſtände anwenden, die durch
Anſchauung des Glatten oder Rauhen, des Kalten
oder Warmen, des Leichten oder Schweren und
beſonders durch ihre mannichfaltigen Formen
wirken. Zur Zeit, wo dieſer Sinn geübt wird,
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er allein zu wirken genöthiget ſey. Man bringt
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[202/0207] ben hat, welches nemlich durch den Zwang vertreten wird. Während der Zeit, daſs dieſel- ben wirklich ſind, muſs der Wahn ſchweigen. Dann haben dieſe Actionen der Seele noch den Vortheil, daſs jede derſelben iſolirt iſt, der In- begriff aller, durch die ununterbrochene Folge, keine Aſſociation und der Phantaſie keinen Spiel- raum zur Thätigkeit zuläſst, und daher der Kran- ke gehindert wird, auf den Gegenſtand des Wahns abzuſpringen. Die vorzüglichſten Sinnorgane ſind das Getaſt, das Ohr und das Auge. Geruch und Geſchmack gewähren weniger reine Anſchau- ungen, ſondern mehr Gefühle, und gehören daher eigentlich nicht hieher, ſondern unter die vorige Claſſe pſychiſcher Heilmittel. Doch glaube ich, daſs man wenigſtens mit dem Organ des Geruchs durch ein wohlgeordnetes Etui von Par- fümerieen mancherley nützliche Verſuche anſtel- len und die Seele auf dieſe Weiſe, durch die Unterſcheidung der Gerüche, in der Beſonnen- heit üben könnte. Aufs Getaſt können wir allerhand Gegenſtände anwenden, die durch Anſchauung des Glatten oder Rauhen, des Kalten oder Warmen, des Leichten oder Schweren und beſonders durch ihre mannichfaltigen Formen wirken. Zur Zeit, wo dieſer Sinn geübt wird, ſetzt man alle übrigen auſser Thätigkeit, damit er allein zu wirken genöthiget ſey. Man bringt z. B. den Kranken in ein ſtockfinſteres und todt-

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Zitationshilfe: Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/207>, abgerufen am 04.05.2024.