Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

Thätigkeit in der Seele zu unterhalten und sie
während der Zeit zu hindern, sich mit etwas an-
derm beschäfftigen zu können. Beispiele werden
dies erläutern. Ich setze einen Kranken voraus,
der bereits unterjocht ist und alles thut, was ihm
befohlen wird. Wir haben verschiedne Behält-
nisse, für jeden der Sinne eins, in welchen eine
Menge von Objekten in natürlicher oder verjüng-
ter Grösse, Naturalien oder Kunstprodukte, Ori-
ginalien oder Bildnisse enthalten sind. Aus diesem
Vorrath wird ein Pensum nach den Fähigkeiten
und Bedürfnissen des Kranken zu seiner Uebung
ausgesucht. Er muss von jedem Objekte den
Namen sagen, die einzelnen Merkmale desselben
aufsuchen, diese wieder in eine Total- Vorstel-
lung auffassen und endlich alles, was er sinnlich
wahrgenommen hat, zu Papier bringen. Man
giebt ihn Baukasten, die er nach einer gegebenen
Vorschrift in eine bestimmte Form ordnen, oder
in unregelmässige Figuren zerschnittene Land-
schaften, die er nach einer Musterkarte zusam-
mensetzen muss. Anfangs wird er zu diesen
Uebungen durch eine Person angehalten, für
welche er Achtung hat; in der Folge muss er sie
für sich vornehmen. Endlich nöthigen wir ihn,
ohne Gegenwart der Objekte, aus dem Gedächt-
niss sich ihrer Merkmale zu besinnen. Auf diese
Weise sind wir im Stande eine zusammenhängen-
de Reihe von Anschauungen in der Seele zu er-
halten, ohne dass der Kranke Interesse für diesel-

Thätigkeit in der Seele zu unterhalten und ſie
während der Zeit zu hindern, ſich mit etwas an-
derm beſchäfftigen zu können. Beiſpiele werden
dies erläutern. Ich ſetze einen Kranken voraus,
der bereits unterjocht iſt und alles thut, was ihm
befohlen wird. Wir haben verſchiedne Behält-
niſſe, für jeden der Sinne eins, in welchen eine
Menge von Objekten in natürlicher oder verjüng-
ter Gröſse, Naturalien oder Kunſtprodukte, Ori-
ginalien oder Bildniſſe enthalten ſind. Aus dieſem
Vorrath wird ein Penſum nach den Fähigkeiten
und Bedürfniſſen des Kranken zu ſeiner Uebung
ausgeſucht. Er muſs von jedem Objekte den
Namen ſagen, die einzelnen Merkmale deſſelben
aufſuchen, dieſe wieder in eine Total- Vorſtel-
lung auffaſſen und endlich alles, was er ſinnlich
wahrgenommen hat, zu Papier bringen. Man
giebt ihn Baukaſten, die er nach einer gegebenen
Vorſchrift in eine beſtimmte Form ordnen, oder
in unregelmäſsige Figuren zerſchnittene Land-
ſchaften, die er nach einer Muſterkarte zuſam-
menſetzen muſs. Anfangs wird er zu dieſen
Uebungen durch eine Perſon angehalten, für
welche er Achtung hat; in der Folge muſs er ſie
für ſich vornehmen. Endlich nöthigen wir ihn,
ohne Gegenwart der Objekte, aus dem Gedächt-
niſs ſich ihrer Merkmale zu beſinnen. Auf dieſe
Weiſe ſind wir im Stande eine zuſammenhängen-
de Reihe von Anſchauungen in der Seele zu er-
halten, ohne daſs der Kranke Intereſſe für dieſel-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0206" n="201"/>
Thätigkeit in der Seele zu unterhalten und &#x017F;ie<lb/>
während der Zeit zu hindern, &#x017F;ich mit etwas an-<lb/>
derm be&#x017F;chäfftigen zu können. Bei&#x017F;piele werden<lb/>
dies erläutern. Ich &#x017F;etze einen Kranken voraus,<lb/>
der bereits unterjocht i&#x017F;t und alles thut, was ihm<lb/>
befohlen wird. Wir haben ver&#x017F;chiedne Behält-<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;e, für jeden der Sinne eins, in welchen eine<lb/>
Menge von Objekten in natürlicher oder verjüng-<lb/>
ter Grö&#x017F;se, Naturalien oder Kun&#x017F;tprodukte, Ori-<lb/>
ginalien oder Bildni&#x017F;&#x017F;e enthalten &#x017F;ind. Aus die&#x017F;em<lb/>
Vorrath wird ein Pen&#x017F;um nach den Fähigkeiten<lb/>
und Bedürfni&#x017F;&#x017F;en des Kranken zu &#x017F;einer Uebung<lb/>
ausge&#x017F;ucht. Er mu&#x017F;s von jedem Objekte den<lb/>
Namen &#x017F;agen, die einzelnen Merkmale de&#x017F;&#x017F;elben<lb/>
auf&#x017F;uchen, die&#x017F;e wieder in eine Total- Vor&#x017F;tel-<lb/>
lung auffa&#x017F;&#x017F;en und endlich alles, was er &#x017F;innlich<lb/>
wahrgenommen hat, zu Papier bringen. Man<lb/>
giebt ihn Bauka&#x017F;ten, die er nach einer gegebenen<lb/>
Vor&#x017F;chrift in eine be&#x017F;timmte Form ordnen, oder<lb/>
in unregelmä&#x017F;sige Figuren zer&#x017F;chnittene Land-<lb/>
&#x017F;chaften, die er nach einer Mu&#x017F;terkarte zu&#x017F;am-<lb/>
men&#x017F;etzen mu&#x017F;s. Anfangs wird er zu die&#x017F;en<lb/>
Uebungen durch eine Per&#x017F;on angehalten, für<lb/>
welche er Achtung hat; in der Folge mu&#x017F;s er &#x017F;ie<lb/>
für &#x017F;ich vornehmen. Endlich nöthigen wir ihn,<lb/>
ohne Gegenwart der Objekte, aus dem Gedächt-<lb/>
ni&#x017F;s &#x017F;ich ihrer Merkmale zu be&#x017F;innen. Auf die&#x017F;e<lb/>
Wei&#x017F;e &#x017F;ind wir im Stande eine zu&#x017F;ammenhängen-<lb/>
de Reihe von An&#x017F;chauungen in der Seele zu er-<lb/>
halten, ohne da&#x017F;s der Kranke Intere&#x017F;&#x017F;e für die&#x017F;el-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[201/0206] Thätigkeit in der Seele zu unterhalten und ſie während der Zeit zu hindern, ſich mit etwas an- derm beſchäfftigen zu können. Beiſpiele werden dies erläutern. Ich ſetze einen Kranken voraus, der bereits unterjocht iſt und alles thut, was ihm befohlen wird. Wir haben verſchiedne Behält- niſſe, für jeden der Sinne eins, in welchen eine Menge von Objekten in natürlicher oder verjüng- ter Gröſse, Naturalien oder Kunſtprodukte, Ori- ginalien oder Bildniſſe enthalten ſind. Aus dieſem Vorrath wird ein Penſum nach den Fähigkeiten und Bedürfniſſen des Kranken zu ſeiner Uebung ausgeſucht. Er muſs von jedem Objekte den Namen ſagen, die einzelnen Merkmale deſſelben aufſuchen, dieſe wieder in eine Total- Vorſtel- lung auffaſſen und endlich alles, was er ſinnlich wahrgenommen hat, zu Papier bringen. Man giebt ihn Baukaſten, die er nach einer gegebenen Vorſchrift in eine beſtimmte Form ordnen, oder in unregelmäſsige Figuren zerſchnittene Land- ſchaften, die er nach einer Muſterkarte zuſam- menſetzen muſs. Anfangs wird er zu dieſen Uebungen durch eine Perſon angehalten, für welche er Achtung hat; in der Folge muſs er ſie für ſich vornehmen. Endlich nöthigen wir ihn, ohne Gegenwart der Objekte, aus dem Gedächt- niſs ſich ihrer Merkmale zu beſinnen. Auf dieſe Weiſe ſind wir im Stande eine zuſammenhängen- de Reihe von Anſchauungen in der Seele zu er- halten, ohne daſs der Kranke Intereſſe für dieſel-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/206
Zitationshilfe: Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/206>, abgerufen am 23.11.2024.