Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rapsilber, Maximilian: Das Reichstags-Gebäude. Berlin, 1895.

Bild:
<< vorherige Seite

sind von strenger Einfachheit, nur unterbrochen durch die prächtig
gegliederten Thüren, die für den sogenannten "Hammelsprung"
in Frage kommen. Diese einander gegenüberliegenden Eingänge
sind mit humorvollen Intarsien geschmückt, die Ja-Thür zeigt
Polyphem, seine Widder zählend, die Nein-Thür Rübezahl. Nach
oben aufsteigend wird die Holzarchitektur lichter und bewegter. Die
Tribünen springen balkonartig vor, wegen der Schallwirkung sind
scharfe Winkel durchweg vermieden, daher ist die Unterfläche der
Tribünen in einer Rundung an die Wand angebogen. Die Gliederung
der Tribünen ist von hoher Schönheit. An der Westseite erheben
sich im Mitteltheil vier Paar gekuppelte skulptirte Säulen mit ver¬
goldeten korinthischen Kapitalen, an der Nord- und Südwand sind
die Stützen Pfeiler, aus welchen Karyatiden hervorwachsen. Diese
verschieden charakterisirten weiblichen Gestalten haben eine alle¬
gorische Bedeutung. Die Ostwand ist in lebendigem Linienschwung
arkadenartig getäfelt und wird durch zwei Nischen begrenzt, für
welche Statuen der Weisheit und der Milde geplant sind. Unter
dem von Konsolen getragenen Hauptgesims zieht sich über den
Tribünen ein Triglyphenfries hin mit 30 polychromen Städtewappen.
Folgende Städte sind vertreten: Aachen, Strassburg, Stuttgart, Nürn¬
berg, Königsberg, Hannover, Frankfurt, Dresden, Köln an der Süd¬
seite, an der Westseite sind es Halle, Crefeld, Speyer, Düsseldorf,
Chemnitz, Barmen, Elberfeld, Regensburg, Metz, Mainz, Karlsruhe,'
Augsburg und an der Nordwand Trier, Ulm, Goslar, Göttingen'
Darmstadt, Worms, Erfurt, Kiel und Mülhausen. Die Wappen
der Königreiche und der vier Hauptstädte Berlin, München, Dresden
Stuttgart, die in reicherer Durchführung geplant sind, fehlen zur Zeit
noch im Sitzungssaal. Die von Linnemann gefertigte lichtgraue Glasdecke
des Sitzungssaales zeigt im grossen Mittelfelde einen riesigen Reichsadler
in diskreten Farben, und ein sanft getönter Fries in Gestalt eines Frucht¬
gewindes giebt der Glasfläche eine schön geschlossene Einheit. Die Farben¬
stimmung des Saales ist von wunderbarer Wirkung, der gelbbraune
Grundton wird in der Höhe durch das naturalistische Inkarnat der

sind von strenger Einfachheit, nur unterbrochen durch die prächtig
gegliederten Thüren, die für den sogenannten „Hammelsprung“
in Frage kommen. Diese einander gegenüberliegenden Eingänge
sind mit humorvollen Intarsien geschmückt, die Ja-Thür zeigt
Polyphem, seine Widder zählend, die Nein-Thür Rübezahl. Nach
oben aufsteigend wird die Holzarchitektur lichter und bewegter. Die
Tribünen springen balkonartig vor, wegen der Schallwirkung sind
scharfe Winkel durchweg vermieden, daher ist die Unterfläche der
Tribünen in einer Rundung an die Wand angebogen. Die Gliederung
der Tribünen ist von hoher Schönheit. An der Westseite erheben
sich im Mitteltheil vier Paar gekuppelte skulptirte Säulen mit ver¬
goldeten korinthischen Kapitalen, an der Nord- und Südwand sind
die Stützen Pfeiler, aus welchen Karyatiden hervorwachsen. Diese
verschieden charakterisirten weiblichen Gestalten haben eine alle¬
gorische Bedeutung. Die Ostwand ist in lebendigem Linienschwung
arkadenartig getäfelt und wird durch zwei Nischen begrenzt, für
welche Statuen der Weisheit und der Milde geplant sind. Unter
dem von Konsolen getragenen Hauptgesims zieht sich über den
Tribünen ein Triglyphenfries hin mit 30 polychromen Städtewappen.
Folgende Städte sind vertreten: Aachen, Strassburg, Stuttgart, Nürn¬
berg, Königsberg, Hannover, Frankfurt, Dresden, Köln an der Süd¬
seite, an der Westseite sind es Halle, Crefeld, Speyer, Düsseldorf,
Chemnitz, Barmen, Elberfeld, Regensburg, Metz, Mainz, Karlsruhe,'
Augsburg und an der Nordwand Trier, Ulm, Goslar, Göttingen'
Darmstadt, Worms, Erfurt, Kiel und Mülhausen. Die Wappen
der Königreiche und der vier Hauptstädte Berlin, München, Dresden
Stuttgart, die in reicherer Durchführung geplant sind, fehlen zur Zeit
noch im Sitzungssaal. Die von Linnemann gefertigte lichtgraue Glasdecke
des Sitzungssaales zeigt im grossen Mittelfelde einen riesigen Reichsadler
in diskreten Farben, und ein sanft getönter Fries in Gestalt eines Frucht¬
gewindes giebt der Glasfläche eine schön geschlossene Einheit. Die Farben¬
stimmung des Saales ist von wunderbarer Wirkung, der gelbbraune
Grundton wird in der Höhe durch das naturalistische Inkarnat der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0054" n="48"/>
sind von strenger Einfachheit, nur unterbrochen durch die prächtig<lb/>
gegliederten Thüren, die für den sogenannten &#x201E;Hammelsprung&#x201C;<lb/>
in Frage kommen. Diese einander gegenüberliegenden Eingänge<lb/>
sind mit humorvollen Intarsien geschmückt, die Ja-Thür zeigt<lb/>
Polyphem, seine Widder zählend, die Nein-Thür Rübezahl. Nach<lb/>
oben aufsteigend wird die Holzarchitektur lichter und bewegter. Die<lb/>
Tribünen springen balkonartig vor, wegen der Schallwirkung sind<lb/>
scharfe Winkel durchweg vermieden, daher ist die Unterfläche der<lb/>
Tribünen in einer Rundung an die Wand angebogen. Die Gliederung<lb/>
der Tribünen ist von hoher Schönheit. An der Westseite erheben<lb/>
sich im Mitteltheil vier Paar gekuppelte skulptirte Säulen mit ver¬<lb/>
goldeten korinthischen Kapitalen, an der Nord- und Südwand sind<lb/>
die Stützen Pfeiler, aus welchen Karyatiden hervorwachsen. Diese<lb/>
verschieden charakterisirten weiblichen Gestalten haben eine alle¬<lb/>
gorische Bedeutung. Die Ostwand ist in lebendigem Linienschwung<lb/>
arkadenartig getäfelt und wird durch zwei Nischen begrenzt, für<lb/>
welche Statuen der Weisheit und der Milde geplant sind. Unter<lb/>
dem von Konsolen getragenen Hauptgesims zieht sich über den<lb/>
Tribünen ein Triglyphenfries hin mit 30 polychromen Städtewappen.<lb/>
Folgende Städte sind vertreten: Aachen, Strassburg, Stuttgart, Nürn¬<lb/>
berg, Königsberg, Hannover, Frankfurt, Dresden, Köln an der Süd¬<lb/>
seite, an der Westseite sind es Halle, Crefeld, Speyer, Düsseldorf,<lb/>
Chemnitz, Barmen, Elberfeld, Regensburg, Metz, Mainz, Karlsruhe,'<lb/>
Augsburg und an der Nordwand Trier, Ulm, Goslar, Göttingen'<lb/>
Darmstadt, Worms, Erfurt, Kiel und Mülhausen. Die Wappen<lb/>
der Königreiche und der vier Hauptstädte Berlin, München, Dresden<lb/>
Stuttgart, die in reicherer Durchführung geplant sind, fehlen zur Zeit<lb/>
noch im Sitzungssaal. Die von <hi rendition="#k">Linnemann</hi> gefertigte lichtgraue Glasdecke<lb/>
des Sitzungssaales zeigt im grossen Mittelfelde einen riesigen Reichsadler<lb/>
in diskreten Farben, und ein sanft getönter Fries in Gestalt eines Frucht¬<lb/>
gewindes giebt der Glasfläche eine schön geschlossene Einheit. Die Farben¬<lb/>
stimmung des Saales ist von wunderbarer Wirkung, der gelbbraune<lb/>
Grundton wird in der Höhe durch das naturalistische Inkarnat der<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[48/0054] sind von strenger Einfachheit, nur unterbrochen durch die prächtig gegliederten Thüren, die für den sogenannten „Hammelsprung“ in Frage kommen. Diese einander gegenüberliegenden Eingänge sind mit humorvollen Intarsien geschmückt, die Ja-Thür zeigt Polyphem, seine Widder zählend, die Nein-Thür Rübezahl. Nach oben aufsteigend wird die Holzarchitektur lichter und bewegter. Die Tribünen springen balkonartig vor, wegen der Schallwirkung sind scharfe Winkel durchweg vermieden, daher ist die Unterfläche der Tribünen in einer Rundung an die Wand angebogen. Die Gliederung der Tribünen ist von hoher Schönheit. An der Westseite erheben sich im Mitteltheil vier Paar gekuppelte skulptirte Säulen mit ver¬ goldeten korinthischen Kapitalen, an der Nord- und Südwand sind die Stützen Pfeiler, aus welchen Karyatiden hervorwachsen. Diese verschieden charakterisirten weiblichen Gestalten haben eine alle¬ gorische Bedeutung. Die Ostwand ist in lebendigem Linienschwung arkadenartig getäfelt und wird durch zwei Nischen begrenzt, für welche Statuen der Weisheit und der Milde geplant sind. Unter dem von Konsolen getragenen Hauptgesims zieht sich über den Tribünen ein Triglyphenfries hin mit 30 polychromen Städtewappen. Folgende Städte sind vertreten: Aachen, Strassburg, Stuttgart, Nürn¬ berg, Königsberg, Hannover, Frankfurt, Dresden, Köln an der Süd¬ seite, an der Westseite sind es Halle, Crefeld, Speyer, Düsseldorf, Chemnitz, Barmen, Elberfeld, Regensburg, Metz, Mainz, Karlsruhe,' Augsburg und an der Nordwand Trier, Ulm, Goslar, Göttingen' Darmstadt, Worms, Erfurt, Kiel und Mülhausen. Die Wappen der Königreiche und der vier Hauptstädte Berlin, München, Dresden Stuttgart, die in reicherer Durchführung geplant sind, fehlen zur Zeit noch im Sitzungssaal. Die von Linnemann gefertigte lichtgraue Glasdecke des Sitzungssaales zeigt im grossen Mittelfelde einen riesigen Reichsadler in diskreten Farben, und ein sanft getönter Fries in Gestalt eines Frucht¬ gewindes giebt der Glasfläche eine schön geschlossene Einheit. Die Farben¬ stimmung des Saales ist von wunderbarer Wirkung, der gelbbraune Grundton wird in der Höhe durch das naturalistische Inkarnat der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rapsilber_reichstagsgebaeude_1895
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rapsilber_reichstagsgebaeude_1895/54
Zitationshilfe: Rapsilber, Maximilian: Das Reichstags-Gebäude. Berlin, 1895, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rapsilber_reichstagsgebaeude_1895/54>, abgerufen am 02.05.2024.