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Rapsilber, Maximilian: Das Reichstags-Gebäude. Berlin, 1895.

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hatten, sind auf das neue übertragen worden. Die im Raumprogramm
vorgeschriebenen Grössenverhältnisse des Saales gehen bis an die
äusserste Grenze der Tragfähigkeit der menschlichen Stimme. Trotz¬
dem ist eine günstige Akustik erzielt worden. Doch die Grösse des
Saales möchte fast übertrieben erscheinen, wenn man sich vergegen¬
wärtigt, dass der englische Parlamentssaal nur halb so gross ist als der
deutsche, obwohl die Zahl der englischen Abgeordneten beträchtlich
grösser ist als die der deutschen. Ausser der erhöhten Präsidenten¬
tribüne mit fünf Sesseln sind auf der Estrade an der Ostwand
48 Plätze für Regierung, Bundesrath etc. angeordnet. Für die Ab¬
geordneten sind 400 Sitzplätze mit Schreibpulten geschaffen. Acht
grosse Radialgänge führen strahlenförmig vom Tisch des Hauses
durch die Sitzreihen hindurch, dazu kommen noch sieben kürzere
Gänge, die in der westlichen Hälfte des Saales zwischen den Haupt¬
linien eingelegt sind. Nirgends sind mehr als fünf Sitze zusammen¬
hängend. Die Steigung des Bodens ist im Verhältniss von 1 : 10
durchgeführt. Unmittelbar vor der Rednertribüne und hinter dem
Tisch des Hauses befinden sich, durch Schranken abgegrenzt, zwei
Pulte für sechs Stenographen, die auf einer besonderen Treppe aus
dem Erdgeschoss an ihren Platz gelangen, ohne, wie früher, den
Sitzungssaal durchqueren zu müssen. Elf Eingänge besitzt der Saal
zusammen. Um eine gute Akustik zu erzielen, war es nothwendig,
dass der Sitzungssaal mit Ausnahme natürlich der Glasdecke gänzlich
mit Holz bekleidet wurde. Gewählt ist Eichenholz mit Einlagen aus
ungarischer Esche, auch die Tribünen und die Skulpturen sind aus
gleichem Material. Nur an der Wand oberhalb des Präsidentenstuhls
sind drei grosse Flächen ausgespart, auf welchen später Fresco¬
gemälde mit historischen Darstellungen aus der Zeit der Reichs¬
gründung erstehen werden. Auffällig ist es, dass an dieser Ostseite
die Ausstattung weniger reich ausgebildet ist, vorläufig fehlen hier
noch wesentliche von Wallot geplante Schmuckstücke, namentlich
Figuren in den Nischen, Wappen, ornamentale Zierrathe für die
Thüren u. a. m. Die Täfelungen unterhalb der Zuhörertribünen

hatten, sind auf das neue übertragen worden. Die im Raumprogramm
vorgeschriebenen Grössenverhältnisse des Saales gehen bis an die
äusserste Grenze der Tragfähigkeit der menschlichen Stimme. Trotz¬
dem ist eine günstige Akustik erzielt worden. Doch die Grösse des
Saales möchte fast übertrieben erscheinen, wenn man sich vergegen¬
wärtigt, dass der englische Parlamentssaal nur halb so gross ist als der
deutsche, obwohl die Zahl der englischen Abgeordneten beträchtlich
grösser ist als die der deutschen. Ausser der erhöhten Präsidenten¬
tribüne mit fünf Sesseln sind auf der Estrade an der Ostwand
48 Plätze für Regierung, Bundesrath etc. angeordnet. Für die Ab¬
geordneten sind 400 Sitzplätze mit Schreibpulten geschaffen. Acht
grosse Radialgänge führen strahlenförmig vom Tisch des Hauses
durch die Sitzreihen hindurch, dazu kommen noch sieben kürzere
Gänge, die in der westlichen Hälfte des Saales zwischen den Haupt¬
linien eingelegt sind. Nirgends sind mehr als fünf Sitze zusammen¬
hängend. Die Steigung des Bodens ist im Verhältniss von 1 : 10
durchgeführt. Unmittelbar vor der Rednertribüne und hinter dem
Tisch des Hauses befinden sich, durch Schranken abgegrenzt, zwei
Pulte für sechs Stenographen, die auf einer besonderen Treppe aus
dem Erdgeschoss an ihren Platz gelangen, ohne, wie früher, den
Sitzungssaal durchqueren zu müssen. Elf Eingänge besitzt der Saal
zusammen. Um eine gute Akustik zu erzielen, war es nothwendig,
dass der Sitzungssaal mit Ausnahme natürlich der Glasdecke gänzlich
mit Holz bekleidet wurde. Gewählt ist Eichenholz mit Einlagen aus
ungarischer Esche, auch die Tribünen und die Skulpturen sind aus
gleichem Material. Nur an der Wand oberhalb des Präsidentenstuhls
sind drei grosse Flächen ausgespart, auf welchen später Fresco¬
gemälde mit historischen Darstellungen aus der Zeit der Reichs¬
gründung erstehen werden. Auffällig ist es, dass an dieser Ostseite
die Ausstattung weniger reich ausgebildet ist, vorläufig fehlen hier
noch wesentliche von Wallot geplante Schmuckstücke, namentlich
Figuren in den Nischen, Wappen, ornamentale Zierrathe für die
Thüren u. a. m. Die Täfelungen unterhalb der Zuhörertribünen

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[47/0053] hatten, sind auf das neue übertragen worden. Die im Raumprogramm vorgeschriebenen Grössenverhältnisse des Saales gehen bis an die äusserste Grenze der Tragfähigkeit der menschlichen Stimme. Trotz¬ dem ist eine günstige Akustik erzielt worden. Doch die Grösse des Saales möchte fast übertrieben erscheinen, wenn man sich vergegen¬ wärtigt, dass der englische Parlamentssaal nur halb so gross ist als der deutsche, obwohl die Zahl der englischen Abgeordneten beträchtlich grösser ist als die der deutschen. Ausser der erhöhten Präsidenten¬ tribüne mit fünf Sesseln sind auf der Estrade an der Ostwand 48 Plätze für Regierung, Bundesrath etc. angeordnet. Für die Ab¬ geordneten sind 400 Sitzplätze mit Schreibpulten geschaffen. Acht grosse Radialgänge führen strahlenförmig vom Tisch des Hauses durch die Sitzreihen hindurch, dazu kommen noch sieben kürzere Gänge, die in der westlichen Hälfte des Saales zwischen den Haupt¬ linien eingelegt sind. Nirgends sind mehr als fünf Sitze zusammen¬ hängend. Die Steigung des Bodens ist im Verhältniss von 1 : 10 durchgeführt. Unmittelbar vor der Rednertribüne und hinter dem Tisch des Hauses befinden sich, durch Schranken abgegrenzt, zwei Pulte für sechs Stenographen, die auf einer besonderen Treppe aus dem Erdgeschoss an ihren Platz gelangen, ohne, wie früher, den Sitzungssaal durchqueren zu müssen. Elf Eingänge besitzt der Saal zusammen. Um eine gute Akustik zu erzielen, war es nothwendig, dass der Sitzungssaal mit Ausnahme natürlich der Glasdecke gänzlich mit Holz bekleidet wurde. Gewählt ist Eichenholz mit Einlagen aus ungarischer Esche, auch die Tribünen und die Skulpturen sind aus gleichem Material. Nur an der Wand oberhalb des Präsidentenstuhls sind drei grosse Flächen ausgespart, auf welchen später Fresco¬ gemälde mit historischen Darstellungen aus der Zeit der Reichs¬ gründung erstehen werden. Auffällig ist es, dass an dieser Ostseite die Ausstattung weniger reich ausgebildet ist, vorläufig fehlen hier noch wesentliche von Wallot geplante Schmuckstücke, namentlich Figuren in den Nischen, Wappen, ornamentale Zierrathe für die Thüren u. a. m. Die Täfelungen unterhalb der Zuhörertribünen

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Zitationshilfe: Rapsilber, Maximilian: Das Reichstags-Gebäude. Berlin, 1895, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rapsilber_reichstagsgebaeude_1895/53>, abgerufen am 02.05.2024.