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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843.

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Einführung des Interims.
auf dessen Wiederaufnahme Julius Pflug drang, so wie über
die Art und Weise der herzustellenden bischöflichen Gewalt
fürchtete er noch Schlimmeres; aber indem er klagte daß
man Drohungen und Sophismen verbinde, geheimen Zwang
ausübe, fügte er sich demselben doch bis auf einen gewissen
Punct und rieth Andern sich ebenfalls zu unterwerfen. Er
mußte erleben, daß seine besten und wenigstens würdigsten
Freunde an ihm irre wurden; der anmahnende Brief den
Calvin an ihn erließ, war voll von Hingebung, Anerken-
nung und Milde, aber er mußte ihm das Herz zerschneiden. 1

Wie in den Oberlanden, so machte sich hierauf das
Interim, obwohl unter gewissen Milderungen, auch in den
nördlichen und östlichen Fürstenthümern geltend.

In Hessen schritt man endlich zur Einführung dieser
Formel, so sehr die nunmehr herrschend gewordene Gewohn-
heit, das religiöse Bewußtseyn, das Selbstgefühl der Land-
schaft sich dagegen sträubten. Im Frühjahr 1549 melde-
ten die Söhne des gefangenen Landgrafen, das Interim sey
zum guten Theil aufgerichtet, wegen des übrigen stehe man
im Werk: "wahrlich nicht mit geringer Beschwerung vieler
christlichen und gutherzigen Gewissen."

Den Herzogen von Pommern machte der Kaiser die
Annahme des Interims zur Bedingung ihrer Aussöhnung.
Sie beriefen ihre vornehmsten Theologen und Prädicanten
nach Colbatz, und wenigstens einen Theil derselben überre-

1 Epistolae Calvini nr 117. Plures tu unus paululum ce-
dendo querimonias et gemitus excitasti, quam centum mediocres
aperta defectione.
Der Brief ist mit 1551 bezeichnet, aber wohl
kein andrer als der, dessen nr 115 Erwähnung geschieht, also vom
Juni 1550.

Einfuͤhrung des Interims.
auf deſſen Wiederaufnahme Julius Pflug drang, ſo wie über
die Art und Weiſe der herzuſtellenden biſchöflichen Gewalt
fürchtete er noch Schlimmeres; aber indem er klagte daß
man Drohungen und Sophismen verbinde, geheimen Zwang
ausübe, fügte er ſich demſelben doch bis auf einen gewiſſen
Punct und rieth Andern ſich ebenfalls zu unterwerfen. Er
mußte erleben, daß ſeine beſten und wenigſtens würdigſten
Freunde an ihm irre wurden; der anmahnende Brief den
Calvin an ihn erließ, war voll von Hingebung, Anerken-
nung und Milde, aber er mußte ihm das Herz zerſchneiden. 1

Wie in den Oberlanden, ſo machte ſich hierauf das
Interim, obwohl unter gewiſſen Milderungen, auch in den
nördlichen und öſtlichen Fürſtenthümern geltend.

In Heſſen ſchritt man endlich zur Einführung dieſer
Formel, ſo ſehr die nunmehr herrſchend gewordene Gewohn-
heit, das religiöſe Bewußtſeyn, das Selbſtgefühl der Land-
ſchaft ſich dagegen ſträubten. Im Frühjahr 1549 melde-
ten die Söhne des gefangenen Landgrafen, das Interim ſey
zum guten Theil aufgerichtet, wegen des übrigen ſtehe man
im Werk: „wahrlich nicht mit geringer Beſchwerung vieler
chriſtlichen und gutherzigen Gewiſſen.“

Den Herzogen von Pommern machte der Kaiſer die
Annahme des Interims zur Bedingung ihrer Ausſöhnung.
Sie beriefen ihre vornehmſten Theologen und Prädicanten
nach Colbatz, und wenigſtens einen Theil derſelben überre-

1 Epistolae Calvini nr 117. Plures tu unus paululum ce-
dendo querimonias et gemitus excitasti, quam centum mediocres
aperta defectione.
Der Brief iſt mit 1551 bezeichnet, aber wohl
kein andrer als der, deſſen nr 115 Erwaͤhnung geſchieht, alſo vom
Juni 1550.
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[87/0099] Einfuͤhrung des Interims. auf deſſen Wiederaufnahme Julius Pflug drang, ſo wie über die Art und Weiſe der herzuſtellenden biſchöflichen Gewalt fürchtete er noch Schlimmeres; aber indem er klagte daß man Drohungen und Sophismen verbinde, geheimen Zwang ausübe, fügte er ſich demſelben doch bis auf einen gewiſſen Punct und rieth Andern ſich ebenfalls zu unterwerfen. Er mußte erleben, daß ſeine beſten und wenigſtens würdigſten Freunde an ihm irre wurden; der anmahnende Brief den Calvin an ihn erließ, war voll von Hingebung, Anerken- nung und Milde, aber er mußte ihm das Herz zerſchneiden. 1 Wie in den Oberlanden, ſo machte ſich hierauf das Interim, obwohl unter gewiſſen Milderungen, auch in den nördlichen und öſtlichen Fürſtenthümern geltend. In Heſſen ſchritt man endlich zur Einführung dieſer Formel, ſo ſehr die nunmehr herrſchend gewordene Gewohn- heit, das religiöſe Bewußtſeyn, das Selbſtgefühl der Land- ſchaft ſich dagegen ſträubten. Im Frühjahr 1549 melde- ten die Söhne des gefangenen Landgrafen, das Interim ſey zum guten Theil aufgerichtet, wegen des übrigen ſtehe man im Werk: „wahrlich nicht mit geringer Beſchwerung vieler chriſtlichen und gutherzigen Gewiſſen.“ Den Herzogen von Pommern machte der Kaiſer die Annahme des Interims zur Bedingung ihrer Ausſöhnung. Sie beriefen ihre vornehmſten Theologen und Prädicanten nach Colbatz, und wenigſtens einen Theil derſelben überre- 1 Epistolae Calvini nr 117. Plures tu unus paululum ce- dendo querimonias et gemitus excitasti, quam centum mediocres aperta defectione. Der Brief iſt mit 1551 bezeichnet, aber wohl kein andrer als der, deſſen nr 115 Erwaͤhnung geſchieht, alſo vom Juni 1550.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843/99>, abgerufen am 05.05.2024.