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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843.

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Neuntes Buch. Zweites Capitel.
sen müsse. Und eben so antwortete Melanchthon den frän-
kischen Predigern. Nicht das ganze Interim, aber eine Kir-
chenordnung im Sinne desselben hatte man Diesen vorgelegt,
und nur die Wahl zwischen deren Annahme oder dem Exil
gelassen. Viele waren geneigt auszuwandern: Melanchthon
dagegen rieth ihnen sich nicht zu widersetzen; sey doch in
jener Ordnung weder von Weihungen noch von dem Ca-
non die Rede, überhaupt nichts darin enthalten was der
Lehre geradezu widerspreche. "Wir müssen nur darauf den-
ken," sagt er, "daß die Kirche nicht verlassen, die Stimme
der Wahrheit nicht unterdrückt werde: eine gewisse Knechtschaft
müssen wir dulden, wenn sie nur ohne Gottlosigkeit ist." 1

Unglückseliger Zustand! Jedes Widerstreben gegen das
interimistische Ansinnen erfreute sein Herz. Den noch Un-
bedrängten wünschte er Glück zu ihrer Freiheit: von den noch
obschwebenden Berathungen über den Canon in der Messe,

1 Schreiben von Pfeffinger, Ziegler und Alesius an die frän-
kischen Prediger Lipsiae XIII Cal. Febr. 1549. Quarto est illud
quidem durum ac grave, id accipi quod religio et pietas conscien-
tiae refutat. Sed si accipi tali sensu et intellectu jubetur qui
non est veritati contrarius, feratur et haec molestia. - - Vestrae
conscientiae si sunt integrae et bonae, quod non vestrae gloriae
aut fortunarum aut etiam vitae causa, sed ecclesiarum respectu
et propter ministerium evangelii hoc jugum subieritis et istam
servitutem perpetiamini, permittatis filio dei Jesu Christo salva-
tori caetera. Quod si aliqui astute hoc agunt, ut ita paulatim
via veritatis obstruatur et reducatur populus in veteres errores,
vigilare quidem et diligentes esse oportet - - et exspectare auxi-
lium a domino: hic enim illud consilium malum in capita auto-
rum convertet.
Abschrift im Archiv zu Berlin. Ich bemerke noch
daß das Schreiben Melanchthons "Concionatoribus Francicis",
das im Corp. Ref. VII, 140 auf den 12 Sept. gesetzt wird, in der
Berliner Abschrift ausdrücklich vom 20sten Januar datirt ist: ohne
Zweifel mit Recht.

Neuntes Buch. Zweites Capitel.
ſen müſſe. Und eben ſo antwortete Melanchthon den frän-
kiſchen Predigern. Nicht das ganze Interim, aber eine Kir-
chenordnung im Sinne deſſelben hatte man Dieſen vorgelegt,
und nur die Wahl zwiſchen deren Annahme oder dem Exil
gelaſſen. Viele waren geneigt auszuwandern: Melanchthon
dagegen rieth ihnen ſich nicht zu widerſetzen; ſey doch in
jener Ordnung weder von Weihungen noch von dem Ca-
non die Rede, überhaupt nichts darin enthalten was der
Lehre geradezu widerſpreche. „Wir müſſen nur darauf den-
ken,“ ſagt er, „daß die Kirche nicht verlaſſen, die Stimme
der Wahrheit nicht unterdrückt werde: eine gewiſſe Knechtſchaft
müſſen wir dulden, wenn ſie nur ohne Gottloſigkeit iſt.“ 1

Unglückſeliger Zuſtand! Jedes Widerſtreben gegen das
interimiſtiſche Anſinnen erfreute ſein Herz. Den noch Un-
bedrängten wünſchte er Glück zu ihrer Freiheit: von den noch
obſchwebenden Berathungen über den Canon in der Meſſe,

1 Schreiben von Pfeffinger, Ziegler und Aleſius an die fraͤn-
kiſchen Prediger Lipsiae XIII Cal. Febr. 1549. Quarto est illud
quidem durum ac grave, id accipi quod religio et pietas conscien-
tiae refutat. Sed si accipi tali sensu et intellectu jubetur qui
non est veritati contrarius, feratur et haec molestia. ‒ ‒ Vestrae
conscientiae si sunt integrae et bonae, quod non vestrae gloriae
aut fortunarum aut etiam vitae causa, sed ecclesiarum respectu
et propter ministerium evangelii hoc jugum subieritis et istam
servitutem perpetiamini, permittatis filio dei Jesu Christo salva-
tori caetera. Quod si aliqui astute hoc agunt, ut ita paulatim
via veritatis obstruatur et reducatur populus in veteres errores,
vigilare quidem et diligentes esse oportet ‒ ‒ et exspectare auxi-
lium a domino: hic enim illud consilium malum in capita auto-
rum convertet.
Abſchrift im Archiv zu Berlin. Ich bemerke noch
daß das Schreiben Melanchthons „Concionatoribus Francicis“,
das im Corp. Ref. VII, 140 auf den 12 Sept. geſetzt wird, in der
Berliner Abſchrift ausdruͤcklich vom 20ſten Januar datirt iſt: ohne
Zweifel mit Recht.
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[86/0098] Neuntes Buch. Zweites Capitel. ſen müſſe. Und eben ſo antwortete Melanchthon den frän- kiſchen Predigern. Nicht das ganze Interim, aber eine Kir- chenordnung im Sinne deſſelben hatte man Dieſen vorgelegt, und nur die Wahl zwiſchen deren Annahme oder dem Exil gelaſſen. Viele waren geneigt auszuwandern: Melanchthon dagegen rieth ihnen ſich nicht zu widerſetzen; ſey doch in jener Ordnung weder von Weihungen noch von dem Ca- non die Rede, überhaupt nichts darin enthalten was der Lehre geradezu widerſpreche. „Wir müſſen nur darauf den- ken,“ ſagt er, „daß die Kirche nicht verlaſſen, die Stimme der Wahrheit nicht unterdrückt werde: eine gewiſſe Knechtſchaft müſſen wir dulden, wenn ſie nur ohne Gottloſigkeit iſt.“ 1 Unglückſeliger Zuſtand! Jedes Widerſtreben gegen das interimiſtiſche Anſinnen erfreute ſein Herz. Den noch Un- bedrängten wünſchte er Glück zu ihrer Freiheit: von den noch obſchwebenden Berathungen über den Canon in der Meſſe, 1 Schreiben von Pfeffinger, Ziegler und Aleſius an die fraͤn- kiſchen Prediger Lipsiae XIII Cal. Febr. 1549. Quarto est illud quidem durum ac grave, id accipi quod religio et pietas conscien- tiae refutat. Sed si accipi tali sensu et intellectu jubetur qui non est veritati contrarius, feratur et haec molestia. ‒ ‒ Vestrae conscientiae si sunt integrae et bonae, quod non vestrae gloriae aut fortunarum aut etiam vitae causa, sed ecclesiarum respectu et propter ministerium evangelii hoc jugum subieritis et istam servitutem perpetiamini, permittatis filio dei Jesu Christo salva- tori caetera. Quod si aliqui astute hoc agunt, ut ita paulatim via veritatis obstruatur et reducatur populus in veteres errores, vigilare quidem et diligentes esse oportet ‒ ‒ et exspectare auxi- lium a domino: hic enim illud consilium malum in capita auto- rum convertet. Abſchrift im Archiv zu Berlin. Ich bemerke noch daß das Schreiben Melanchthons „Concionatoribus Francicis“, das im Corp. Ref. VII, 140 auf den 12 Sept. geſetzt wird, in der Berliner Abſchrift ausdruͤcklich vom 20ſten Januar datirt iſt: ohne Zweifel mit Recht.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843/98>, abgerufen am 24.11.2024.