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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843.

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Zehntes Buch. Siebentes Capitel.
Christi welcher dargeboten werde, der nemliche sey der am
Kreuze gelitten. 1 Genug, vom Objectiven des Mysteriums
wich er nicht ab. Es läßt sich aber gar nicht denken,
daß er es zu dieser Anerkennung desselben gebracht haben
würde, hätte er nicht dagegen wieder einige eigenthümliche
schweizerische Meinungen zu den seinen gemacht. Er gab
zu, was dort immer behauptet worden, daß in den Sacra-
menten nur Gottes eigene Kraft wirke, und erklärte sich sehr
nachdrücklich gegen Die, welche das Göttliche in den Ele-
menten sehen wollen. Wie Zwingli nahm er an, daß Chri-
stus im Himmel wohne und räumlich von der Erde ent-
fernt sey; er fügte nur hinzu, durch seine göttliche Kraft
steige er doch zu uns herab. In der Auslegung der Ein-
setzungsworte pflichtete er den Schweizern unumwunden bei.
Ich weiß nicht, ob er nicht vielleicht in einem und dem an-
dern Punct, wenigstens im Ausdruck, einen Schritt weiter
gegangen ist, als er ursprünglich beabsichtigt hatte; leicht
aber gab er zu, was die Summe seiner Ansicht nicht ver-
letzte, womit er übereinstimmen konnte. Ohne Zweifel trägt
2

1 Defensio ad Westphalum VIII, 775. Scio quod semel
mortale Christus corpus induit, nunc novis coelestis gloriae qua-
litatibus esse praeditum, quae tamen non impediunt quo minus
idem substantia sit corpus; dico igitur illo corpore quod in cruce
pependit non minus in spiritualem vitam animas ipsas vegetari,
quam pane terreno corpora nostra aluntur.
2 Ego aliter verba temperaveram, sagt Calvin in einem Briefe
an Butzer, ceterum quia haec quam usurpavimus forma nihil con-
tinebat nisi quod sentiebam, aliam eis concedere non fuit religio.

In dem ersten Entwurf des Consensus (bei Henry II Anh.), der im
Mai nach Bern geschickt wurde, fehlt die ausdrückliche Anerkennung
der schweizerischen Auslegung. Und enthält nicht in der That die
Lehre Calvins das lutherische Ist doch auch in sich?

Zehntes Buch. Siebentes Capitel.
Chriſti welcher dargeboten werde, der nemliche ſey der am
Kreuze gelitten. 1 Genug, vom Objectiven des Myſteriums
wich er nicht ab. Es läßt ſich aber gar nicht denken,
daß er es zu dieſer Anerkennung deſſelben gebracht haben
würde, hätte er nicht dagegen wieder einige eigenthümliche
ſchweizeriſche Meinungen zu den ſeinen gemacht. Er gab
zu, was dort immer behauptet worden, daß in den Sacra-
menten nur Gottes eigene Kraft wirke, und erklärte ſich ſehr
nachdrücklich gegen Die, welche das Göttliche in den Ele-
menten ſehen wollen. Wie Zwingli nahm er an, daß Chri-
ſtus im Himmel wohne und räumlich von der Erde ent-
fernt ſey; er fügte nur hinzu, durch ſeine göttliche Kraft
ſteige er doch zu uns herab. In der Auslegung der Ein-
ſetzungsworte pflichtete er den Schweizern unumwunden bei.
Ich weiß nicht, ob er nicht vielleicht in einem und dem an-
dern Punct, wenigſtens im Ausdruck, einen Schritt weiter
gegangen iſt, als er urſprünglich beabſichtigt hatte; leicht
aber gab er zu, was die Summe ſeiner Anſicht nicht ver-
letzte, womit er übereinſtimmen konnte. Ohne Zweifel trägt
2

1 Defensio ad Westphalum VIII, 775. Scio quod semel
mortale Christus corpus induit, nunc novis coelestis gloriae qua-
litatibus esse praeditum, quae tamen non impediunt quo minus
idem substantia sit corpus; dico igitur illo corpore quod in cruce
pependit non minus in spiritualem vitam animas ipsas vegetari,
quam pane terreno corpora nostra aluntur.
2 Ego aliter verba temperaveram, ſagt Calvin in einem Briefe
an Butzer, ceterum quia haec quam usurpavimus forma nihil con-
tinebat nisi quod sentiebam, aliam eis concedere non fuit religio.

In dem erſten Entwurf des Conſenſus (bei Henry II Anh.), der im
Mai nach Bern geſchickt wurde, fehlt die ausdruͤckliche Anerkennung
der ſchweizeriſchen Auslegung. Und enthaͤlt nicht in der That die
Lehre Calvins das lutheriſche Iſt doch auch in ſich?
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[456/0468] Zehntes Buch. Siebentes Capitel. Chriſti welcher dargeboten werde, der nemliche ſey der am Kreuze gelitten. 1 Genug, vom Objectiven des Myſteriums wich er nicht ab. Es läßt ſich aber gar nicht denken, daß er es zu dieſer Anerkennung deſſelben gebracht haben würde, hätte er nicht dagegen wieder einige eigenthümliche ſchweizeriſche Meinungen zu den ſeinen gemacht. Er gab zu, was dort immer behauptet worden, daß in den Sacra- menten nur Gottes eigene Kraft wirke, und erklärte ſich ſehr nachdrücklich gegen Die, welche das Göttliche in den Ele- menten ſehen wollen. Wie Zwingli nahm er an, daß Chri- ſtus im Himmel wohne und räumlich von der Erde ent- fernt ſey; er fügte nur hinzu, durch ſeine göttliche Kraft ſteige er doch zu uns herab. In der Auslegung der Ein- ſetzungsworte pflichtete er den Schweizern unumwunden bei. Ich weiß nicht, ob er nicht vielleicht in einem und dem an- dern Punct, wenigſtens im Ausdruck, einen Schritt weiter gegangen iſt, als er urſprünglich beabſichtigt hatte; leicht aber gab er zu, was die Summe ſeiner Anſicht nicht ver- letzte, womit er übereinſtimmen konnte. Ohne Zweifel trägt 2 1 Defensio ad Westphalum VIII, 775. Scio quod semel mortale Christus corpus induit, nunc novis coelestis gloriae qua- litatibus esse praeditum, quae tamen non impediunt quo minus idem substantia sit corpus; dico igitur illo corpore quod in cruce pependit non minus in spiritualem vitam animas ipsas vegetari, quam pane terreno corpora nostra aluntur. 2 Ego aliter verba temperaveram, ſagt Calvin in einem Briefe an Butzer, ceterum quia haec quam usurpavimus forma nihil con- tinebat nisi quod sentiebam, aliam eis concedere non fuit religio. In dem erſten Entwurf des Conſenſus (bei Henry II Anh.), der im Mai nach Bern geſchickt wurde, fehlt die ausdruͤckliche Anerkennung der ſchweizeriſchen Auslegung. Und enthaͤlt nicht in der That die Lehre Calvins das lutheriſche Iſt doch auch in ſich?

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843, S. 456. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843/468>, abgerufen am 20.05.2024.