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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843.

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Theologische Streitigkeiten. (Calvin.)
geben werde; und Calvin selbst fühlte, welch eine schwere
Sache er unternehme. Wie oft hatte er früher über den
Starrsinn der Züricher geklagt, die sich in ihre Meinungen und
Feindseligkeiten immer mehr hineingeredet, über das Selbst-
genügen Bullingers, der ein harter Kopf sey. Als er jetzt,
im Juli 1549, in Begleitung Farels nach Zürich kam, schien
es nicht anders zu stehn als früher, und es war ein Au-
genblick wo er zum Ziele zu kommen verzweifelte. Plötz-
lich aber, sagt er, sahen wir Licht. Vielleicht, daß deutsche
Flüchtlinge wie Musculus von Augsburg, der in Bullingers
Hause Aufnahme gefunden, dazu beigetragen hatten persön-
liche Vorurtheile zu zerstreuen. Rascher als man hätte glau-
ben sollen, kam zwischen Bullinger und Calvin eine Vereini-
gung zu Stande, der Consensus Tigurinus, in welchem einige
Meinungen Zwinglis wiederholt werden, aber dabei doch auch
die Grundgedanken der entgegengesetzten Lehre ihr Recht be-
haupten. Den Satz, daß der Leib Christi auch den Unwür-
digen gegeben werde, ließ Calvin sich nicht entreißen, so vie-
len Anstoß auch die Schweizer von jeher daran genommen
hatten: er erläuterte nur näher, daß die Verheißung zwar
nur den Gläubigen zu Gute komme, welche Christum geist-
lich genießen, mit dem Zeichen aber doch auch die Wahr-
heit desselben und ihr Inhalt den Ungläubigen dargeboten
werde. Den Ausdruck "darreichen: darreichende Zeichen", der
den Sinn der Wittenberger Concordie so recht eigentlich aus-
sprach, und von den Schweizern bisher verschmäht worden
war, hielt er fest. 1 Er lehrte unverändert, daß der Leib

1 Fatemur dignis simul et indignis Christum corpus suum
offerre, nec ullius hominis pravitate fieri quin panis verum sit et
exhibitivum, ut loquuntur, Christi corporis pignus.

Theologiſche Streitigkeiten. (Calvin.)
geben werde; und Calvin ſelbſt fühlte, welch eine ſchwere
Sache er unternehme. Wie oft hatte er früher über den
Starrſinn der Züricher geklagt, die ſich in ihre Meinungen und
Feindſeligkeiten immer mehr hineingeredet, über das Selbſt-
genügen Bullingers, der ein harter Kopf ſey. Als er jetzt,
im Juli 1549, in Begleitung Farels nach Zürich kam, ſchien
es nicht anders zu ſtehn als früher, und es war ein Au-
genblick wo er zum Ziele zu kommen verzweifelte. Plötz-
lich aber, ſagt er, ſahen wir Licht. Vielleicht, daß deutſche
Flüchtlinge wie Muſculus von Augsburg, der in Bullingers
Hauſe Aufnahme gefunden, dazu beigetragen hatten perſön-
liche Vorurtheile zu zerſtreuen. Raſcher als man hätte glau-
ben ſollen, kam zwiſchen Bullinger und Calvin eine Vereini-
gung zu Stande, der Conſenſus Tigurinus, in welchem einige
Meinungen Zwinglis wiederholt werden, aber dabei doch auch
die Grundgedanken der entgegengeſetzten Lehre ihr Recht be-
haupten. Den Satz, daß der Leib Chriſti auch den Unwür-
digen gegeben werde, ließ Calvin ſich nicht entreißen, ſo vie-
len Anſtoß auch die Schweizer von jeher daran genommen
hatten: er erläuterte nur näher, daß die Verheißung zwar
nur den Gläubigen zu Gute komme, welche Chriſtum geiſt-
lich genießen, mit dem Zeichen aber doch auch die Wahr-
heit deſſelben und ihr Inhalt den Ungläubigen dargeboten
werde. Den Ausdruck „darreichen: darreichende Zeichen“, der
den Sinn der Wittenberger Concordie ſo recht eigentlich aus-
ſprach, und von den Schweizern bisher verſchmäht worden
war, hielt er feſt. 1 Er lehrte unverändert, daß der Leib

1 Fatemur dignis simul et indignis Christum corpus suum
offerre, nec ullius hominis pravitate fieri quin panis verum sit et
exhibitivum, ut loquuntur, Christi corporis pignus.
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[455/0467] Theologiſche Streitigkeiten. (Calvin.) geben werde; und Calvin ſelbſt fühlte, welch eine ſchwere Sache er unternehme. Wie oft hatte er früher über den Starrſinn der Züricher geklagt, die ſich in ihre Meinungen und Feindſeligkeiten immer mehr hineingeredet, über das Selbſt- genügen Bullingers, der ein harter Kopf ſey. Als er jetzt, im Juli 1549, in Begleitung Farels nach Zürich kam, ſchien es nicht anders zu ſtehn als früher, und es war ein Au- genblick wo er zum Ziele zu kommen verzweifelte. Plötz- lich aber, ſagt er, ſahen wir Licht. Vielleicht, daß deutſche Flüchtlinge wie Muſculus von Augsburg, der in Bullingers Hauſe Aufnahme gefunden, dazu beigetragen hatten perſön- liche Vorurtheile zu zerſtreuen. Raſcher als man hätte glau- ben ſollen, kam zwiſchen Bullinger und Calvin eine Vereini- gung zu Stande, der Conſenſus Tigurinus, in welchem einige Meinungen Zwinglis wiederholt werden, aber dabei doch auch die Grundgedanken der entgegengeſetzten Lehre ihr Recht be- haupten. Den Satz, daß der Leib Chriſti auch den Unwür- digen gegeben werde, ließ Calvin ſich nicht entreißen, ſo vie- len Anſtoß auch die Schweizer von jeher daran genommen hatten: er erläuterte nur näher, daß die Verheißung zwar nur den Gläubigen zu Gute komme, welche Chriſtum geiſt- lich genießen, mit dem Zeichen aber doch auch die Wahr- heit deſſelben und ihr Inhalt den Ungläubigen dargeboten werde. Den Ausdruck „darreichen: darreichende Zeichen“, der den Sinn der Wittenberger Concordie ſo recht eigentlich aus- ſprach, und von den Schweizern bisher verſchmäht worden war, hielt er feſt. 1 Er lehrte unverändert, daß der Leib 1 Fatemur dignis simul et indignis Christum corpus suum offerre, nec ullius hominis pravitate fieri quin panis verum sit et exhibitivum, ut loquuntur, Christi corporis pignus.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843, S. 455. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843/467>, abgerufen am 25.11.2024.