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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843.

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Zehntes Buch. Siebentes Capitel.

Es konnte Niemand mehr beikommen, unser Heil von
den gebotenen kirchlichen Werken herzuleiten, oder die Erwer-
bung desselben damit in Verbindung zu setzen.

Dann aber machte die Ausdrucksweise, die man in der
evangelischen Kirche beibehielt, daß gute Werke zur Seligkeit
nicht nöthig seyen, allerdings ein Mißverständniß möglich,
welches in jenen Tagen unter dem Volke öfter hervorgetre-
ten ist, als sey schon der historische Glaube an das My-
sterium der Erlösung zur Seligkeit hinreichend. Die Be-
hauptung, die Lehre mache dadurch sichere und rohe Leute,
gab den Gegnern wieder Waffen in die Hände, und ohne
Nutzen wäre es nicht gewesen ihnen jeden Grund dazu zu
entreißen.

Dahin eigentlich gieng die Absicht Majors und Osian-
ders, deren Doctrinen die Fehde, die sonst mit dem Interim
selbst hätte aufhören müssen, aufs neue belebten.

Georg Major, ein Schüler und treuer Anhänger Me-
lanchthons, blieb bei dem practischen Gesichtspunct stehn,
und lehrte, Niemand sey noch selig geworden durch böse
Werke, Niemand werde es ohne gute Werke. Er war
der Meinung, die Wiedergeburt bringe so unfehlbar gute
Werke hervor, wie die Sonne Licht und Wärme verbreite;
und so sprach er die Lehre aus: gute Werke seyen zur Se-
ligkeit ohne allen Zweifel nothwendig.

Obgleich sich Osiander gegen die Wittenberger Schule,
deren Autorität ihn früher zuweilen beschränkt hatte, na-
mentlich gegen Melanchthon und dessen Anhänger, die Phi-
lippisten, in heftigen Widerspruch warf, 1 so gieng doch seine

1 Nur sollte man nicht immer wieder sagen, daß der Neid des
Zehntes Buch. Siebentes Capitel.

Es konnte Niemand mehr beikommen, unſer Heil von
den gebotenen kirchlichen Werken herzuleiten, oder die Erwer-
bung deſſelben damit in Verbindung zu ſetzen.

Dann aber machte die Ausdrucksweiſe, die man in der
evangeliſchen Kirche beibehielt, daß gute Werke zur Seligkeit
nicht nöthig ſeyen, allerdings ein Mißverſtändniß möglich,
welches in jenen Tagen unter dem Volke öfter hervorgetre-
ten iſt, als ſey ſchon der hiſtoriſche Glaube an das My-
ſterium der Erlöſung zur Seligkeit hinreichend. Die Be-
hauptung, die Lehre mache dadurch ſichere und rohe Leute,
gab den Gegnern wieder Waffen in die Hände, und ohne
Nutzen wäre es nicht geweſen ihnen jeden Grund dazu zu
entreißen.

Dahin eigentlich gieng die Abſicht Majors und Oſian-
ders, deren Doctrinen die Fehde, die ſonſt mit dem Interim
ſelbſt hätte aufhören müſſen, aufs neue belebten.

Georg Major, ein Schüler und treuer Anhänger Me-
lanchthons, blieb bei dem practiſchen Geſichtspunct ſtehn,
und lehrte, Niemand ſey noch ſelig geworden durch böſe
Werke, Niemand werde es ohne gute Werke. Er war
der Meinung, die Wiedergeburt bringe ſo unfehlbar gute
Werke hervor, wie die Sonne Licht und Wärme verbreite;
und ſo ſprach er die Lehre aus: gute Werke ſeyen zur Se-
ligkeit ohne allen Zweifel nothwendig.

Obgleich ſich Oſiander gegen die Wittenberger Schule,
deren Autorität ihn früher zuweilen beſchränkt hatte, na-
mentlich gegen Melanchthon und deſſen Anhänger, die Phi-
lippiſten, in heftigen Widerſpruch warf, 1 ſo gieng doch ſeine

1 Nur ſollte man nicht immer wieder ſagen, daß der Neid des
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[448/0460] Zehntes Buch. Siebentes Capitel. Es konnte Niemand mehr beikommen, unſer Heil von den gebotenen kirchlichen Werken herzuleiten, oder die Erwer- bung deſſelben damit in Verbindung zu ſetzen. Dann aber machte die Ausdrucksweiſe, die man in der evangeliſchen Kirche beibehielt, daß gute Werke zur Seligkeit nicht nöthig ſeyen, allerdings ein Mißverſtändniß möglich, welches in jenen Tagen unter dem Volke öfter hervorgetre- ten iſt, als ſey ſchon der hiſtoriſche Glaube an das My- ſterium der Erlöſung zur Seligkeit hinreichend. Die Be- hauptung, die Lehre mache dadurch ſichere und rohe Leute, gab den Gegnern wieder Waffen in die Hände, und ohne Nutzen wäre es nicht geweſen ihnen jeden Grund dazu zu entreißen. Dahin eigentlich gieng die Abſicht Majors und Oſian- ders, deren Doctrinen die Fehde, die ſonſt mit dem Interim ſelbſt hätte aufhören müſſen, aufs neue belebten. Georg Major, ein Schüler und treuer Anhänger Me- lanchthons, blieb bei dem practiſchen Geſichtspunct ſtehn, und lehrte, Niemand ſey noch ſelig geworden durch böſe Werke, Niemand werde es ohne gute Werke. Er war der Meinung, die Wiedergeburt bringe ſo unfehlbar gute Werke hervor, wie die Sonne Licht und Wärme verbreite; und ſo ſprach er die Lehre aus: gute Werke ſeyen zur Se- ligkeit ohne allen Zweifel nothwendig. Obgleich ſich Oſiander gegen die Wittenberger Schule, deren Autorität ihn früher zuweilen beſchränkt hatte, na- mentlich gegen Melanchthon und deſſen Anhänger, die Phi- lippiſten, in heftigen Widerſpruch warf, 1 ſo gieng doch ſeine 1 Nur ſollte man nicht immer wieder ſagen, daß der Neid des

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843, S. 448. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843/460>, abgerufen am 25.11.2024.