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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843.

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Verhandlungen zu Linz und zu Passau.

Wer auf ein einigermaßen freiwilliges Zurücktreten des
Kaisers von den einmal ergriffenen Planen rechnete, der
kannte ihn schlecht; noch viel weniger aber wären die Fran-
zosen gemeint gewesen, sich mit einer Auseinandersetzung der
gegenseitigen Ansprüche zu begnügen, und die Plätze die sie
vom Reich eingenommen, so leicht wieder zu verlassen.

Vielmehr war nichts anderes zu erwarten als ein lang-
wieriger und gefährlicher Krieg, der leicht auf deutschem Bo-
den selber ausgefochten werden, alles vollends entzweien, den
Türken eher den Weg nach Deutschland eröffnen konnte.

In Epochen dieser Art zeigt sich am besten, ob in ei-
ner Nation noch jene Kraft vorhanden ist, welche Staaten
bildet und erhält, ein constitutiver Genius, der wenn das
Bisher-bestandene zerfällt, die Fähigkeit entwickelt etwas
Neues und Angemesseneres hervorzubringen.

Leicht war es in unserm Falle nicht, einen Ausweg zu
treffen. Die alte Parteiung zwischen Östreich und Frank-
reich, die alle Interessen anregte, berührte sich mit der reli-
giösen Entzweiung, welche längst die Gemüther ergriffen: es
schien wohl, als ob es zu einem mitten durch das Reich
schneidenden Gegensatz einer französisch-protestantischen und
einer östreichisch-katholischen Partei kommen müßte.

Das erste Moment was eine Rettung aus dieser Ge-
fahr darbot, lag darin, daß der römische König weder die
Absichten noch auch das Interesse seines Bruders vollkom-
men theilte. Unmittelbar vor dem Aufbruch des Kriegs-
heers erinnerte Churfürst Joachim von Brandenburg seinen
Nachbar Moritz, sich doch an König Ferdinand zu wenden,
der es immer gemißbilligt daß der Landgraf gefangen genom-

Verhandlungen zu Linz und zu Paſſau.

Wer auf ein einigermaßen freiwilliges Zurücktreten des
Kaiſers von den einmal ergriffenen Planen rechnete, der
kannte ihn ſchlecht; noch viel weniger aber wären die Fran-
zoſen gemeint geweſen, ſich mit einer Auseinanderſetzung der
gegenſeitigen Anſprüche zu begnügen, und die Plätze die ſie
vom Reich eingenommen, ſo leicht wieder zu verlaſſen.

Vielmehr war nichts anderes zu erwarten als ein lang-
wieriger und gefährlicher Krieg, der leicht auf deutſchem Bo-
den ſelber ausgefochten werden, alles vollends entzweien, den
Türken eher den Weg nach Deutſchland eröffnen konnte.

In Epochen dieſer Art zeigt ſich am beſten, ob in ei-
ner Nation noch jene Kraft vorhanden iſt, welche Staaten
bildet und erhält, ein conſtitutiver Genius, der wenn das
Bisher-beſtandene zerfällt, die Fähigkeit entwickelt etwas
Neues und Angemeſſeneres hervorzubringen.

Leicht war es in unſerm Falle nicht, einen Ausweg zu
treffen. Die alte Parteiung zwiſchen Öſtreich und Frank-
reich, die alle Intereſſen anregte, berührte ſich mit der reli-
giöſen Entzweiung, welche längſt die Gemüther ergriffen: es
ſchien wohl, als ob es zu einem mitten durch das Reich
ſchneidenden Gegenſatz einer franzöſiſch-proteſtantiſchen und
einer öſtreichiſch-katholiſchen Partei kommen müßte.

Das erſte Moment was eine Rettung aus dieſer Ge-
fahr darbot, lag darin, daß der römiſche König weder die
Abſichten noch auch das Intereſſe ſeines Bruders vollkom-
men theilte. Unmittelbar vor dem Aufbruch des Kriegs-
heers erinnerte Churfürſt Joachim von Brandenburg ſeinen
Nachbar Moritz, ſich doch an König Ferdinand zu wenden,
der es immer gemißbilligt daß der Landgraf gefangen genom-

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[255/0267] Verhandlungen zu Linz und zu Paſſau. Wer auf ein einigermaßen freiwilliges Zurücktreten des Kaiſers von den einmal ergriffenen Planen rechnete, der kannte ihn ſchlecht; noch viel weniger aber wären die Fran- zoſen gemeint geweſen, ſich mit einer Auseinanderſetzung der gegenſeitigen Anſprüche zu begnügen, und die Plätze die ſie vom Reich eingenommen, ſo leicht wieder zu verlaſſen. Vielmehr war nichts anderes zu erwarten als ein lang- wieriger und gefährlicher Krieg, der leicht auf deutſchem Bo- den ſelber ausgefochten werden, alles vollends entzweien, den Türken eher den Weg nach Deutſchland eröffnen konnte. In Epochen dieſer Art zeigt ſich am beſten, ob in ei- ner Nation noch jene Kraft vorhanden iſt, welche Staaten bildet und erhält, ein conſtitutiver Genius, der wenn das Bisher-beſtandene zerfällt, die Fähigkeit entwickelt etwas Neues und Angemeſſeneres hervorzubringen. Leicht war es in unſerm Falle nicht, einen Ausweg zu treffen. Die alte Parteiung zwiſchen Öſtreich und Frank- reich, die alle Intereſſen anregte, berührte ſich mit der reli- giöſen Entzweiung, welche längſt die Gemüther ergriffen: es ſchien wohl, als ob es zu einem mitten durch das Reich ſchneidenden Gegenſatz einer franzöſiſch-proteſtantiſchen und einer öſtreichiſch-katholiſchen Partei kommen müßte. Das erſte Moment was eine Rettung aus dieſer Ge- fahr darbot, lag darin, daß der römiſche König weder die Abſichten noch auch das Intereſſe ſeines Bruders vollkom- men theilte. Unmittelbar vor dem Aufbruch des Kriegs- heers erinnerte Churfürſt Joachim von Brandenburg ſeinen Nachbar Moritz, ſich doch an König Ferdinand zu wenden, der es immer gemißbilligt daß der Landgraf gefangen genom-

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843/267>, abgerufen am 22.11.2024.