Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

Zehntes Buch. Erstes Capitel.
det und zu weit verbreitet, als daß auch nur eine beschränkte
Unterordnung unter dieselbe sich hätte wiederherstellen lassen.

Den aus der Vergangenheit aufsteigenden Ideen der
formellen Einheit setzten sich Tendenzen politischer und reli-
giöser Unabhängigkeit entgegen, welche den abendländischen
Nationen eine neue Zukunft eröffneten.

Es bedurfte eigentlich nur einer Verbindung des poli-
tischen und des religiösen Gegensatzes, um die geistlich-welt-
liche Autorität zu zertrümmern, die sich über beide zu erhe-
ben suchte.

Da nun aber das Kaiserthum, das zu so umfassenden
Planen Anlaß und Rechtstitel gab, wie es auf der deutschen
Nation beruhte, so auch die Staatsgewalt in derselben bil-
dete, so trat die Gefahr ein, daß durch einen Angriff auf
dasselbe auch diese zersprengt, und entweder die Anarchie
wieder zurückgerufen, oder einer fremden Macht ein verderb-
licher Einfluß eingeräumt werden möchte.

Glücklich die Zeiten wo ein einziger nationaler Gedanke
alle Gemüther ergreift, weil er alle befriedigt: hier war dieß
nicht der Fall.

Bei dem ihm selbst unerwarteten Fortgang seines Glückes
gab zuweilen auch Moritz der Hofnung auf baldigen Frieden
Raum: man versicherte ihm, der Kaiser werde im Reich solche
Vorsehung thun, daß den Ständen augsburgischer Confession
ihr Glaube, allen ihre Freiheit unangetastet bleibe: er werde
sich auch mit dem König von Frankreich über dessen An-
sprache an ihn vertragen, worauf alle Macht der Christenheit
gegen die Türken gewandt werden könne: wie wäre das aber
wirklich zu erwarten gewesen!


Zehntes Buch. Erſtes Capitel.
det und zu weit verbreitet, als daß auch nur eine beſchränkte
Unterordnung unter dieſelbe ſich hätte wiederherſtellen laſſen.

Den aus der Vergangenheit aufſteigenden Ideen der
formellen Einheit ſetzten ſich Tendenzen politiſcher und reli-
giöſer Unabhängigkeit entgegen, welche den abendländiſchen
Nationen eine neue Zukunft eröffneten.

Es bedurfte eigentlich nur einer Verbindung des poli-
tiſchen und des religiöſen Gegenſatzes, um die geiſtlich-welt-
liche Autorität zu zertrümmern, die ſich über beide zu erhe-
ben ſuchte.

Da nun aber das Kaiſerthum, das zu ſo umfaſſenden
Planen Anlaß und Rechtstitel gab, wie es auf der deutſchen
Nation beruhte, ſo auch die Staatsgewalt in derſelben bil-
dete, ſo trat die Gefahr ein, daß durch einen Angriff auf
daſſelbe auch dieſe zerſprengt, und entweder die Anarchie
wieder zurückgerufen, oder einer fremden Macht ein verderb-
licher Einfluß eingeräumt werden möchte.

Glücklich die Zeiten wo ein einziger nationaler Gedanke
alle Gemüther ergreift, weil er alle befriedigt: hier war dieß
nicht der Fall.

Bei dem ihm ſelbſt unerwarteten Fortgang ſeines Glückes
gab zuweilen auch Moritz der Hofnung auf baldigen Frieden
Raum: man verſicherte ihm, der Kaiſer werde im Reich ſolche
Vorſehung thun, daß den Ständen augsburgiſcher Confeſſion
ihr Glaube, allen ihre Freiheit unangetaſtet bleibe: er werde
ſich auch mit dem König von Frankreich über deſſen An-
ſprache an ihn vertragen, worauf alle Macht der Chriſtenheit
gegen die Türken gewandt werden könne: wie wäre das aber
wirklich zu erwarten geweſen!


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0266" n="254"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zehntes Buch. Er&#x017F;tes Capitel</hi>.</fw><lb/>
det und zu weit verbreitet, als daß auch nur eine be&#x017F;chränkte<lb/>
Unterordnung unter die&#x017F;elbe &#x017F;ich hätte wiederher&#x017F;tellen la&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>Den aus der Vergangenheit auf&#x017F;teigenden Ideen der<lb/>
formellen Einheit &#x017F;etzten &#x017F;ich Tendenzen politi&#x017F;cher und reli-<lb/>
giö&#x017F;er Unabhängigkeit entgegen, welche den abendländi&#x017F;chen<lb/>
Nationen eine neue Zukunft eröffneten.</p><lb/>
          <p>Es bedurfte eigentlich nur einer Verbindung des poli-<lb/>
ti&#x017F;chen und des religiö&#x017F;en Gegen&#x017F;atzes, um die gei&#x017F;tlich-welt-<lb/>
liche Autorität zu zertrümmern, die &#x017F;ich über beide zu erhe-<lb/>
ben &#x017F;uchte.</p><lb/>
          <p>Da nun aber das Kai&#x017F;erthum, das zu &#x017F;o umfa&#x017F;&#x017F;enden<lb/>
Planen Anlaß und Rechtstitel gab, wie es auf der deut&#x017F;chen<lb/>
Nation beruhte, &#x017F;o auch die Staatsgewalt in der&#x017F;elben bil-<lb/>
dete, &#x017F;o trat die Gefahr ein, daß durch einen Angriff auf<lb/>
da&#x017F;&#x017F;elbe auch die&#x017F;e zer&#x017F;prengt, und entweder die Anarchie<lb/>
wieder zurückgerufen, oder einer fremden Macht ein verderb-<lb/>
licher Einfluß eingeräumt werden möchte.</p><lb/>
          <p>Glücklich die Zeiten wo ein einziger nationaler Gedanke<lb/>
alle Gemüther ergreift, weil er alle befriedigt: hier war dieß<lb/>
nicht der Fall.</p><lb/>
          <p>Bei dem ihm &#x017F;elb&#x017F;t unerwarteten Fortgang &#x017F;eines Glückes<lb/>
gab zuweilen auch Moritz der Hofnung auf baldigen Frieden<lb/>
Raum: man ver&#x017F;icherte ihm, der Kai&#x017F;er werde im Reich &#x017F;olche<lb/>
Vor&#x017F;ehung thun, daß den Ständen augsburgi&#x017F;cher Confe&#x017F;&#x017F;ion<lb/>
ihr Glaube, allen ihre Freiheit unangeta&#x017F;tet bleibe: er werde<lb/>
&#x017F;ich auch mit dem König von Frankreich über de&#x017F;&#x017F;en An-<lb/>
&#x017F;prache an ihn vertragen, worauf alle Macht der Chri&#x017F;tenheit<lb/>
gegen die Türken gewandt werden könne: wie wäre das aber<lb/>
wirklich zu erwarten gewe&#x017F;en!</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[254/0266] Zehntes Buch. Erſtes Capitel. det und zu weit verbreitet, als daß auch nur eine beſchränkte Unterordnung unter dieſelbe ſich hätte wiederherſtellen laſſen. Den aus der Vergangenheit aufſteigenden Ideen der formellen Einheit ſetzten ſich Tendenzen politiſcher und reli- giöſer Unabhängigkeit entgegen, welche den abendländiſchen Nationen eine neue Zukunft eröffneten. Es bedurfte eigentlich nur einer Verbindung des poli- tiſchen und des religiöſen Gegenſatzes, um die geiſtlich-welt- liche Autorität zu zertrümmern, die ſich über beide zu erhe- ben ſuchte. Da nun aber das Kaiſerthum, das zu ſo umfaſſenden Planen Anlaß und Rechtstitel gab, wie es auf der deutſchen Nation beruhte, ſo auch die Staatsgewalt in derſelben bil- dete, ſo trat die Gefahr ein, daß durch einen Angriff auf daſſelbe auch dieſe zerſprengt, und entweder die Anarchie wieder zurückgerufen, oder einer fremden Macht ein verderb- licher Einfluß eingeräumt werden möchte. Glücklich die Zeiten wo ein einziger nationaler Gedanke alle Gemüther ergreift, weil er alle befriedigt: hier war dieß nicht der Fall. Bei dem ihm ſelbſt unerwarteten Fortgang ſeines Glückes gab zuweilen auch Moritz der Hofnung auf baldigen Frieden Raum: man verſicherte ihm, der Kaiſer werde im Reich ſolche Vorſehung thun, daß den Ständen augsburgiſcher Confeſſion ihr Glaube, allen ihre Freiheit unangetaſtet bleibe: er werde ſich auch mit dem König von Frankreich über deſſen An- ſprache an ihn vertragen, worauf alle Macht der Chriſtenheit gegen die Türken gewandt werden könne: wie wäre das aber wirklich zu erwarten geweſen!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843/266
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843/266>, abgerufen am 23.11.2024.