Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843.Neuntes Buch. Drittes Capitel. als ein Urtheil in eigner Sache. 1 Er kam auf den Gedan-ken zurück, daß man unparteiische Prälaten und Fürsten, die freilich zuerst ihrer Eidespflicht gegen den Papst zu entledi- gen seyen, aufstellen müsse, um zwischen beiden Parteien zu entscheiden. In verwandtem Sinn wurden Ende Septem- ber auch die würtenbergischen Gesandten instruirt, obwohl man hier, wo man der Gewalt so viel näher war, noch mehr Anlaß hatte, Rücksicht zu nehmen. Die päpstlichen Le- gaten sollten nicht mehr präsidiren: sie sollten nicht das Vor- recht haben die consultirenden Theologen anzustellen: den Cle- rikern sollten nicht allein die entscheidenden Stimmen zustehen: vor allem wollten sie auch über die bereits entschiedenen Ar- tikel gehört seyn. 2 Wenigstens die erste dieser Forderungen war dem Kai- Höchst merkwürdig: der kaiserliche Orator am Concil, 1 Sententia et judicium Melanthonis de concilio triden- tino. Corp. Ref. VII, 738. 2 Instruction des Herzogs von Würtenberg an seine Gesand-
ten nach Trient, 29 Sept. 1551. Sattler IV, Urkk. 30. Neuntes Buch. Drittes Capitel. als ein Urtheil in eigner Sache. 1 Er kam auf den Gedan-ken zurück, daß man unparteiiſche Prälaten und Fürſten, die freilich zuerſt ihrer Eidespflicht gegen den Papſt zu entledi- gen ſeyen, aufſtellen müſſe, um zwiſchen beiden Parteien zu entſcheiden. In verwandtem Sinn wurden Ende Septem- ber auch die würtenbergiſchen Geſandten inſtruirt, obwohl man hier, wo man der Gewalt ſo viel näher war, noch mehr Anlaß hatte, Rückſicht zu nehmen. Die päpſtlichen Le- gaten ſollten nicht mehr präſidiren: ſie ſollten nicht das Vor- recht haben die conſultirenden Theologen anzuſtellen: den Cle- rikern ſollten nicht allein die entſcheidenden Stimmen zuſtehen: vor allem wollten ſie auch über die bereits entſchiedenen Ar- tikel gehört ſeyn. 2 Wenigſtens die erſte dieſer Forderungen war dem Kai- Höchſt merkwürdig: der kaiſerliche Orator am Concil, 1 Sententia et judicium Melanthonis de concilio triden- tino. Corp. Ref. VII, 738. 2 Inſtruction des Herzogs von Wuͤrtenberg an ſeine Geſand-
ten nach Trient, 29 Sept. 1551. Sattler IV, Urkk. 30. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0144" n="132"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Neuntes Buch. Drittes Capitel</hi>.</fw><lb/> als ein Urtheil in eigner Sache. <note place="foot" n="1"><hi rendition="#aq">Sententia et judicium Melanthonis de concilio triden-<lb/> tino. Corp. Ref. VII,</hi> 738.</note> Er kam auf den Gedan-<lb/> ken zurück, daß man unparteiiſche Prälaten und Fürſten, die<lb/> freilich zuerſt ihrer Eidespflicht gegen den Papſt zu entledi-<lb/> gen ſeyen, aufſtellen müſſe, um zwiſchen beiden Parteien zu<lb/> entſcheiden. In verwandtem Sinn wurden Ende Septem-<lb/> ber auch die würtenbergiſchen Geſandten inſtruirt, obwohl<lb/> man hier, wo man der Gewalt ſo viel näher war, noch<lb/> mehr Anlaß hatte, Rückſicht zu nehmen. Die päpſtlichen Le-<lb/> gaten ſollten nicht mehr präſidiren: ſie ſollten nicht das Vor-<lb/> recht haben die conſultirenden Theologen anzuſtellen: den Cle-<lb/> rikern ſollten nicht allein die entſcheidenden Stimmen zuſtehen:<lb/> vor allem wollten ſie auch über die bereits entſchiedenen Ar-<lb/> tikel gehört ſeyn. <note place="foot" n="2">Inſtruction des Herzogs von Wuͤrtenberg an ſeine Geſand-<lb/> ten nach Trient, 29 Sept. 1551. Sattler <hi rendition="#aq">IV,</hi> Urkk. 30.</note></p><lb/> <p>Wenigſtens die erſte dieſer Forderungen war dem Kai-<lb/> ſer ſchon am Reichstag vorgelegt worden; er fand jedoch<lb/> damals nicht rathſam, weder ſie anzunehmen noch ſie zurück-<lb/> zuweiſen: er fürchtete Streitfragen anzuregen, welche alles<lb/> verderben könnten. Jetzt aber war kein längeres Verziehen<lb/> möglich: eine feſte Meinung mußte ergriffen werden, ſey es<lb/> von ihm oder von ſeinen Bevollmächtigten.</p><lb/> <p>Höchſt merkwürdig: der kaiſerliche Orator am Concil,<lb/> Licentiat Vargas, erklärte ſich ganz im Sinne der Proteſtan-<lb/> ten. In einem ſeiner Briefe an den Biſchof von Arras<lb/> heißt es, die bereits verhandelten Artikel müßten alle wieder<lb/> aufgenommen werden, von dem erſten über die Erbſünde bis<lb/> auf die letzte Controverſe.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [132/0144]
Neuntes Buch. Drittes Capitel.
als ein Urtheil in eigner Sache. 1 Er kam auf den Gedan-
ken zurück, daß man unparteiiſche Prälaten und Fürſten, die
freilich zuerſt ihrer Eidespflicht gegen den Papſt zu entledi-
gen ſeyen, aufſtellen müſſe, um zwiſchen beiden Parteien zu
entſcheiden. In verwandtem Sinn wurden Ende Septem-
ber auch die würtenbergiſchen Geſandten inſtruirt, obwohl
man hier, wo man der Gewalt ſo viel näher war, noch
mehr Anlaß hatte, Rückſicht zu nehmen. Die päpſtlichen Le-
gaten ſollten nicht mehr präſidiren: ſie ſollten nicht das Vor-
recht haben die conſultirenden Theologen anzuſtellen: den Cle-
rikern ſollten nicht allein die entſcheidenden Stimmen zuſtehen:
vor allem wollten ſie auch über die bereits entſchiedenen Ar-
tikel gehört ſeyn. 2
Wenigſtens die erſte dieſer Forderungen war dem Kai-
ſer ſchon am Reichstag vorgelegt worden; er fand jedoch
damals nicht rathſam, weder ſie anzunehmen noch ſie zurück-
zuweiſen: er fürchtete Streitfragen anzuregen, welche alles
verderben könnten. Jetzt aber war kein längeres Verziehen
möglich: eine feſte Meinung mußte ergriffen werden, ſey es
von ihm oder von ſeinen Bevollmächtigten.
Höchſt merkwürdig: der kaiſerliche Orator am Concil,
Licentiat Vargas, erklärte ſich ganz im Sinne der Proteſtan-
ten. In einem ſeiner Briefe an den Biſchof von Arras
heißt es, die bereits verhandelten Artikel müßten alle wieder
aufgenommen werden, von dem erſten über die Erbſünde bis
auf die letzte Controverſe.
1 Sententia et judicium Melanthonis de concilio triden-
tino. Corp. Ref. VII, 738.
2 Inſtruction des Herzogs von Wuͤrtenberg an ſeine Geſand-
ten nach Trient, 29 Sept. 1551. Sattler IV, Urkk. 30.
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Zitationshilfe: | Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843/144>, abgerufen am 23.07.2024. |