Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 4. Berlin, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

Neuerungen Heinrichs VIII.
schen des Königs, der indeß seine Ehe mit Anna Boleyn
vollzogen.

Doch wurden hiebei wohl nicht allein die Interessen des
Königs in Betracht gezogen. Der Gewalt oder vielmehr der
Bedrohung kam die Neigung, sich zu unterwerfen, entgegen.
Auch der Geistlichkeit mußte daran liegen, der Eingriffe von
Rom überhoben zu werden. Es war ihr ohne Zweifel nütz-
licher, sich der parlamentarischen Verfassung von England an-
zuschließen und an der Omnipotenz der Staatsgewalt An-
theil zu nehmen, als den Widerspruch aufrecht zu erhalten, in
dem sie bisher mit derselben gestanden. War es nicht ein un-
ermeßlicher Fortschritt ihrer Autorität, wenn sie eine Sache
entschied, über welche zu urtheilen der römische Stuhl sich
vorbehalten hatte? Auf das ernstlichste ward überhaupt die
richterliche Oberhoheit der Curie verworfen. Noch in dersel-
ben Sitzung faßte man den Beschluß, daß fortan jede Appel-
lation nach Rom in geistlichen Angelegenheiten aufhören solle.
Man gieng dabei von dem Grundsatz aus, daß das Reich
wie mit weltlichen, so auch mit geistlichen Personen genügend
versehen sey, um jede innerhalb seiner Grenzen entstandene
Streitigkeit zu schlichten.

Unmöglich konnte nun aber der römische Stuhl sich dieß
gefallen lassen oder dazu schweigen.

Es waren die Zeiten in welchen Clemens VII durch sei-
nen Besuch bei König Franz I in Marseille, und durch die
Vermählung seiner Nichte an einen französischen Prinzen sich

cation, er habe sie gesehen. Meines Erachtens wäre überhaupt eine
kritische Revision der Acten von 1529 bis 34 zu wünschen. Eben über
das Factische finden sich noch allerlei Zweifel.
Ranke D. Gesch. IV. 4

Neuerungen Heinrichs VIII.
ſchen des Königs, der indeß ſeine Ehe mit Anna Boleyn
vollzogen.

Doch wurden hiebei wohl nicht allein die Intereſſen des
Königs in Betracht gezogen. Der Gewalt oder vielmehr der
Bedrohung kam die Neigung, ſich zu unterwerfen, entgegen.
Auch der Geiſtlichkeit mußte daran liegen, der Eingriffe von
Rom überhoben zu werden. Es war ihr ohne Zweifel nütz-
licher, ſich der parlamentariſchen Verfaſſung von England an-
zuſchließen und an der Omnipotenz der Staatsgewalt An-
theil zu nehmen, als den Widerſpruch aufrecht zu erhalten, in
dem ſie bisher mit derſelben geſtanden. War es nicht ein un-
ermeßlicher Fortſchritt ihrer Autorität, wenn ſie eine Sache
entſchied, über welche zu urtheilen der römiſche Stuhl ſich
vorbehalten hatte? Auf das ernſtlichſte ward überhaupt die
richterliche Oberhoheit der Curie verworfen. Noch in derſel-
ben Sitzung faßte man den Beſchluß, daß fortan jede Appel-
lation nach Rom in geiſtlichen Angelegenheiten aufhören ſolle.
Man gieng dabei von dem Grundſatz aus, daß das Reich
wie mit weltlichen, ſo auch mit geiſtlichen Perſonen genügend
verſehen ſey, um jede innerhalb ſeiner Grenzen entſtandene
Streitigkeit zu ſchlichten.

Unmöglich konnte nun aber der römiſche Stuhl ſich dieß
gefallen laſſen oder dazu ſchweigen.

Es waren die Zeiten in welchen Clemens VII durch ſei-
nen Beſuch bei König Franz I in Marſeille, und durch die
Vermählung ſeiner Nichte an einen franzöſiſchen Prinzen ſich

cation, er habe ſie geſehen. Meines Erachtens waͤre uͤberhaupt eine
kritiſche Reviſion der Acten von 1529 bis 34 zu wuͤnſchen. Eben uͤber
das Factiſche finden ſich noch allerlei Zweifel.
Ranke D. Geſch. IV. 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0061" n="49"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Neuerungen <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118548204">Heinrichs <hi rendition="#aq">VIII.</hi></persName></hi></fw><lb/>
&#x017F;chen des Königs, der indeß &#x017F;eine Ehe mit <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118649442">Anna Boleyn</persName><lb/>
vollzogen.</p><lb/>
            <p>Doch wurden hiebei wohl nicht allein die Intere&#x017F;&#x017F;en des<lb/>
Königs in Betracht gezogen. Der Gewalt oder vielmehr der<lb/>
Bedrohung kam die Neigung, &#x017F;ich zu unterwerfen, entgegen.<lb/>
Auch der Gei&#x017F;tlichkeit mußte daran liegen, der Eingriffe von<lb/><placeName>Rom</placeName> überhoben zu werden. Es war ihr ohne Zweifel nütz-<lb/>
licher, &#x017F;ich der parlamentari&#x017F;chen Verfa&#x017F;&#x017F;ung von <placeName>England</placeName> an-<lb/>
zu&#x017F;chließen und an der Omnipotenz der Staatsgewalt An-<lb/>
theil zu nehmen, als den Wider&#x017F;pruch aufrecht zu erhalten, in<lb/>
dem &#x017F;ie bisher mit der&#x017F;elben ge&#x017F;tanden. War es nicht ein un-<lb/>
ermeßlicher Fort&#x017F;chritt ihrer Autorität, wenn &#x017F;ie eine Sache<lb/>
ent&#x017F;chied, über welche zu urtheilen der römi&#x017F;che Stuhl &#x017F;ich<lb/>
vorbehalten hatte? Auf das ern&#x017F;tlich&#x017F;te ward überhaupt die<lb/>
richterliche Oberhoheit der Curie verworfen. Noch in der&#x017F;el-<lb/>
ben Sitzung faßte man den Be&#x017F;chluß, daß fortan jede Appel-<lb/>
lation nach <placeName>Rom</placeName> in gei&#x017F;tlichen Angelegenheiten aufhören &#x017F;olle.<lb/>
Man gieng dabei von dem Grund&#x017F;atz aus, daß das Reich<lb/>
wie mit weltlichen, &#x017F;o auch mit gei&#x017F;tlichen Per&#x017F;onen genügend<lb/>
ver&#x017F;ehen &#x017F;ey, um jede innerhalb &#x017F;einer Grenzen ent&#x017F;tandene<lb/>
Streitigkeit zu &#x017F;chlichten.</p><lb/>
            <p>Unmöglich konnte nun aber der römi&#x017F;che Stuhl &#x017F;ich dieß<lb/>
gefallen la&#x017F;&#x017F;en oder dazu &#x017F;chweigen.</p><lb/>
            <p>Es waren die Zeiten in welchen <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118723510">Clemens <hi rendition="#aq">VII</hi></persName> durch &#x017F;ei-<lb/>
nen Be&#x017F;uch bei König <persName ref=" http://d-nb.info/gnd/118534947">Franz <hi rendition="#aq">I</hi></persName> in <placeName>Mar&#x017F;eille</placeName>, und durch die<lb/>
Vermählung &#x017F;einer Nichte an einen franzö&#x017F;i&#x017F;chen Prinzen &#x017F;ich<lb/><note xml:id="fn3f" prev="#fn3i" place="foot" n="1">cation, er habe &#x017F;ie ge&#x017F;ehen. Meines Erachtens wa&#x0364;re u&#x0364;berhaupt eine<lb/>
kriti&#x017F;che Revi&#x017F;ion der Acten von 1529 bis 34 zu wu&#x0364;n&#x017F;chen. Eben u&#x0364;ber<lb/>
das Facti&#x017F;che finden &#x017F;ich noch allerlei Zweifel.</note><lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118598279">Ranke</persName> D. Ge&#x017F;ch. <hi rendition="#aq">IV.</hi> 4</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[49/0061] Neuerungen Heinrichs VIII. ſchen des Königs, der indeß ſeine Ehe mit Anna Boleyn vollzogen. Doch wurden hiebei wohl nicht allein die Intereſſen des Königs in Betracht gezogen. Der Gewalt oder vielmehr der Bedrohung kam die Neigung, ſich zu unterwerfen, entgegen. Auch der Geiſtlichkeit mußte daran liegen, der Eingriffe von Rom überhoben zu werden. Es war ihr ohne Zweifel nütz- licher, ſich der parlamentariſchen Verfaſſung von England an- zuſchließen und an der Omnipotenz der Staatsgewalt An- theil zu nehmen, als den Widerſpruch aufrecht zu erhalten, in dem ſie bisher mit derſelben geſtanden. War es nicht ein un- ermeßlicher Fortſchritt ihrer Autorität, wenn ſie eine Sache entſchied, über welche zu urtheilen der römiſche Stuhl ſich vorbehalten hatte? Auf das ernſtlichſte ward überhaupt die richterliche Oberhoheit der Curie verworfen. Noch in derſel- ben Sitzung faßte man den Beſchluß, daß fortan jede Appel- lation nach Rom in geiſtlichen Angelegenheiten aufhören ſolle. Man gieng dabei von dem Grundſatz aus, daß das Reich wie mit weltlichen, ſo auch mit geiſtlichen Perſonen genügend verſehen ſey, um jede innerhalb ſeiner Grenzen entſtandene Streitigkeit zu ſchlichten. Unmöglich konnte nun aber der römiſche Stuhl ſich dieß gefallen laſſen oder dazu ſchweigen. Es waren die Zeiten in welchen Clemens VII durch ſei- nen Beſuch bei König Franz I in Marſeille, und durch die Vermählung ſeiner Nichte an einen franzöſiſchen Prinzen ſich 1 1 cation, er habe ſie geſehen. Meines Erachtens waͤre uͤberhaupt eine kritiſche Reviſion der Acten von 1529 bis 34 zu wuͤnſchen. Eben uͤber das Factiſche finden ſich noch allerlei Zweifel. Ranke D. Geſch. IV. 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation04_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation04_1843/61
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 4. Berlin, 1843, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation04_1843/61>, abgerufen am 22.11.2024.