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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 4. Berlin, 1843.

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Achtes Buch. Fünftes Capitel.
ihren Feind so stattlich gerüstet, in seinem Vortheile vor sich
stehn sahen. Ist es aber nicht, als müßten die Norddeut-
schen erst ein großes Mißgeschick erleben, um sich der tie-
fern Antriebe ihres geistigen Lebens vollkommen bewußt zu
werden? Dieser Haufe, der einzige der die protestantischen
Fahnen noch aufrecht erhielt, war auch der erste der von
dem Gefühle der Sache die er verfocht durchdrungen war.
Die Prediger und Obersten erinnerten die Leute, daß sie in
Vertheidigung des göttlichen Namens und Wortes begriffen
seyen, welches Papst, Kaiser und der vor ihnen liegende
Haufe dämpfen wolle. Alles Volk fiel drei Mal in die
Knie, um Gott den einigen Nothhelfer um seinen Beistand
zu bitten: zwei Psalmen wurden gesungen; dann mit dem
Geschrei "Gott sey mit uns" stürzten sie gegen die Anhöhe,
auf welcher der Feind sich aufgestellt. Der ließ sein Ge-
schütz abfeuern, das jedoch zu hoch gieng und keinen Scha-
den that; ehe es zum zweiten Male geladen worden, war er
schon von allen Seiten angegriffen, geworfen und zur Flucht
genöthigt. Ein Theil des Heeres entkam mit dem Herzog glück-
lich durch eine Furt der Weser; allein "mancher feine Held",
sagt die Chronik, "kam um, beides im Wasser und auf dem
Sande": man zählte vierthalbtausend Todte und über dritt-
halbtausend Gefangene; die Rüstwagen und alles Geschütz
fielen in die Hände der Sieger. Während man schlug, war
auch Wrisberg in die Nähe gekommen: doch begnügte er
sich das wenig bewachte Gepäck anzufallen und die Kriegs-
casse mit sich fortzunehmen. Die Grafen hielten der Sitte
gemäß auf der Wahlstatt, und nahmen dann ihren Weg
nach Bremen. Hier wenigstens konnte man Pfingsten mit

Achtes Buch. Fuͤnftes Capitel.
ihren Feind ſo ſtattlich gerüſtet, in ſeinem Vortheile vor ſich
ſtehn ſahen. Iſt es aber nicht, als müßten die Norddeut-
ſchen erſt ein großes Mißgeſchick erleben, um ſich der tie-
fern Antriebe ihres geiſtigen Lebens vollkommen bewußt zu
werden? Dieſer Haufe, der einzige der die proteſtantiſchen
Fahnen noch aufrecht erhielt, war auch der erſte der von
dem Gefühle der Sache die er verfocht durchdrungen war.
Die Prediger und Oberſten erinnerten die Leute, daß ſie in
Vertheidigung des göttlichen Namens und Wortes begriffen
ſeyen, welches Papſt, Kaiſer und der vor ihnen liegende
Haufe dämpfen wolle. Alles Volk fiel drei Mal in die
Knie, um Gott den einigen Nothhelfer um ſeinen Beiſtand
zu bitten: zwei Pſalmen wurden geſungen; dann mit dem
Geſchrei „Gott ſey mit uns“ ſtürzten ſie gegen die Anhöhe,
auf welcher der Feind ſich aufgeſtellt. Der ließ ſein Ge-
ſchütz abfeuern, das jedoch zu hoch gieng und keinen Scha-
den that; ehe es zum zweiten Male geladen worden, war er
ſchon von allen Seiten angegriffen, geworfen und zur Flucht
genöthigt. Ein Theil des Heeres entkam mit dem Herzog glück-
lich durch eine Furt der Weſer; allein „mancher feine Held“,
ſagt die Chronik, „kam um, beides im Waſſer und auf dem
Sande“: man zählte vierthalbtauſend Todte und über dritt-
halbtauſend Gefangene; die Rüſtwagen und alles Geſchütz
fielen in die Hände der Sieger. Während man ſchlug, war
auch Wrisberg in die Nähe gekommen: doch begnügte er
ſich das wenig bewachte Gepäck anzufallen und die Kriegs-
caſſe mit ſich fortzunehmen. Die Grafen hielten der Sitte
gemäß auf der Wahlſtatt, und nahmen dann ihren Weg
nach Bremen. Hier wenigſtens konnte man Pfingſten mit

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[540/0552] Achtes Buch. Fuͤnftes Capitel. ihren Feind ſo ſtattlich gerüſtet, in ſeinem Vortheile vor ſich ſtehn ſahen. Iſt es aber nicht, als müßten die Norddeut- ſchen erſt ein großes Mißgeſchick erleben, um ſich der tie- fern Antriebe ihres geiſtigen Lebens vollkommen bewußt zu werden? Dieſer Haufe, der einzige der die proteſtantiſchen Fahnen noch aufrecht erhielt, war auch der erſte der von dem Gefühle der Sache die er verfocht durchdrungen war. Die Prediger und Oberſten erinnerten die Leute, daß ſie in Vertheidigung des göttlichen Namens und Wortes begriffen ſeyen, welches Papſt, Kaiſer und der vor ihnen liegende Haufe dämpfen wolle. Alles Volk fiel drei Mal in die Knie, um Gott den einigen Nothhelfer um ſeinen Beiſtand zu bitten: zwei Pſalmen wurden geſungen; dann mit dem Geſchrei „Gott ſey mit uns“ ſtürzten ſie gegen die Anhöhe, auf welcher der Feind ſich aufgeſtellt. Der ließ ſein Ge- ſchütz abfeuern, das jedoch zu hoch gieng und keinen Scha- den that; ehe es zum zweiten Male geladen worden, war er ſchon von allen Seiten angegriffen, geworfen und zur Flucht genöthigt. Ein Theil des Heeres entkam mit dem Herzog glück- lich durch eine Furt der Weſer; allein „mancher feine Held“, ſagt die Chronik, „kam um, beides im Waſſer und auf dem Sande“: man zählte vierthalbtauſend Todte und über dritt- halbtauſend Gefangene; die Rüſtwagen und alles Geſchütz fielen in die Hände der Sieger. Während man ſchlug, war auch Wrisberg in die Nähe gekommen: doch begnügte er ſich das wenig bewachte Gepäck anzufallen und die Kriegs- caſſe mit ſich fortzunehmen. Die Grafen hielten der Sitte gemäß auf der Wahlſtatt, und nahmen dann ihren Weg nach Bremen. Hier wenigſtens konnte man Pfingſten mit

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 4. Berlin, 1843, S. 540. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation04_1843/552>, abgerufen am 27.04.2024.