Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 4. Berlin, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

Siebentes Buch. Erstes Capitel.
eben schloß er einen Vertrag mit den Osmanen; er nahm
wieder eine Stellung ein, wie er sie vor dem Frieden von Cam-
brai
besessen, und unmöglich konnte er diese gegen eine Ver-
sorgung seines jüngsten Sohnes aufgeben, der doch nichts
als ein kleiner italienischer Fürst unter dem Einfluß des
Kaisers geworden wäre.

Die kaiserlichen Räthe waren überzeugt, daß der König
nicht allein nichts herausgeben, sondern immer weiter vor-
dringen werde: es wäre denn daß man ihn mit Gewalt be-
zwinge. Man müsse ihn entweder zum Frieden nöthigen
oder überhaupt unschädlich machen.

Von jeher hatten sie geglaubt, das beste Mittel, den
König von Frankreich zu überwältigen, sey ein Einfall in
Frankreich. Wie oft war früher eine Verbindung von nie-
derländischen und oberdeutschen, spanischen und italienischen
Kräften zu diesem Zwecke versucht worden! Auch jetzt mein-
ten sie, nur damit zu Ende kommen zu können. Antonio
Leiva
soll gesagt haben: ein Raubthier müsse man in seiner
Höle aufsuchen. 1

Man dürfte dem Kaiser nicht die bestimmte Absicht
oder Hofnung beimessen, Frankreich zu erobern oder etwa
einer großen Provinz zu berauben. Seiner Schwester schreibt

1 Bei Bellay zwar heißt es, Antonio Leiva habe sich wider
die Unternehmung erklärt "jusques a se vouloir faire mettre a ge-
noux hors de sa chaire", XIX,
296. Dagegen wissen wir von
denen die im kaiserlichen Lager waren, z. B. dem Bischof von Fos-
sombrone
, Lettere di principi III, 45, daß Leiva dort im Lager fast
als der Urheber der ganzen Unternehmung betrachtet wurde. Über-
haupt verkennt Bellay wie den General so auch den Kaiser: er ge-
fällt sich darin, den Kaiser ruhmredig bis zum Aberwitz darzustellen,
was sein Fehler sonst eben nicht war.

Siebentes Buch. Erſtes Capitel.
eben ſchloß er einen Vertrag mit den Osmanen; er nahm
wieder eine Stellung ein, wie er ſie vor dem Frieden von Cam-
brai
beſeſſen, und unmöglich konnte er dieſe gegen eine Ver-
ſorgung ſeines jüngſten Sohnes aufgeben, der doch nichts
als ein kleiner italieniſcher Fürſt unter dem Einfluß des
Kaiſers geworden wäre.

Die kaiſerlichen Räthe waren überzeugt, daß der König
nicht allein nichts herausgeben, ſondern immer weiter vor-
dringen werde: es wäre denn daß man ihn mit Gewalt be-
zwinge. Man müſſe ihn entweder zum Frieden nöthigen
oder überhaupt unſchädlich machen.

Von jeher hatten ſie geglaubt, das beſte Mittel, den
König von Frankreich zu überwältigen, ſey ein Einfall in
Frankreich. Wie oft war früher eine Verbindung von nie-
derländiſchen und oberdeutſchen, ſpaniſchen und italieniſchen
Kräften zu dieſem Zwecke verſucht worden! Auch jetzt mein-
ten ſie, nur damit zu Ende kommen zu können. Antonio
Leiva
ſoll geſagt haben: ein Raubthier müſſe man in ſeiner
Höle aufſuchen. 1

Man dürfte dem Kaiſer nicht die beſtimmte Abſicht
oder Hofnung beimeſſen, Frankreich zu erobern oder etwa
einer großen Provinz zu berauben. Seiner Schweſter ſchreibt

1 Bei Bellay zwar heißt es, Antonio Leiva habe ſich wider
die Unternehmung erklaͤrt „jusques à se vouloir faire mettre à ge-
noux hors de sa chaire“, XIX,
296. Dagegen wiſſen wir von
denen die im kaiſerlichen Lager waren, z. B. dem Biſchof von Foſ-
ſombrone
, Lettere di principi III, 45, daß Leiva dort im Lager faſt
als der Urheber der ganzen Unternehmung betrachtet wurde. Uͤber-
haupt verkennt Bellay wie den General ſo auch den Kaiſer: er ge-
faͤllt ſich darin, den Kaiſer ruhmredig bis zum Aberwitz darzuſtellen,
was ſein Fehler ſonſt eben nicht war.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0042" n="30"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Siebentes Buch. Er&#x017F;tes Capitel</hi>.</fw><lb/>
eben &#x017F;chloß er einen Vertrag mit den Osmanen; er nahm<lb/>
wieder eine Stellung ein, wie er &#x017F;ie vor dem Frieden von <placeName>Cam-<lb/>
brai</placeName> be&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en, und unmöglich konnte er die&#x017F;e gegen eine Ver-<lb/>
&#x017F;orgung &#x017F;eines jüng&#x017F;ten Sohnes aufgeben, der doch nichts<lb/>
als ein kleiner italieni&#x017F;cher Für&#x017F;t unter dem Einfluß des<lb/>
Kai&#x017F;ers geworden wäre.</p><lb/>
            <p>Die kai&#x017F;erlichen Räthe waren überzeugt, daß der König<lb/>
nicht allein nichts herausgeben, &#x017F;ondern immer weiter vor-<lb/>
dringen werde: es wäre denn daß man ihn mit Gewalt be-<lb/>
zwinge. Man mü&#x017F;&#x017F;e ihn entweder zum Frieden nöthigen<lb/>
oder überhaupt un&#x017F;chädlich machen.</p><lb/>
            <p>Von jeher hatten &#x017F;ie geglaubt, das be&#x017F;te Mittel, den<lb/>
König von <placeName>Frankreich</placeName> zu überwältigen, &#x017F;ey ein Einfall in<lb/><placeName>Frankreich</placeName>. Wie oft war früher eine Verbindung von nie-<lb/>
derländi&#x017F;chen und oberdeut&#x017F;chen, &#x017F;pani&#x017F;chen und italieni&#x017F;chen<lb/>
Kräften zu die&#x017F;em Zwecke ver&#x017F;ucht worden! Auch jetzt mein-<lb/>
ten &#x017F;ie, nur damit zu Ende kommen zu können. <persName ref="http://d-nb.info/gnd/1026430437">Antonio<lb/>
Leiva</persName> &#x017F;oll ge&#x017F;agt haben: ein Raubthier mü&#x017F;&#x017F;e man in &#x017F;einer<lb/>
Höle auf&#x017F;uchen. <note place="foot" n="1">Bei <persName ref="http://d-nb.info/gnd/129084794">Bellay</persName> zwar heißt es, <persName ref="http://d-nb.info/gnd/1026430437">Antonio Leiva</persName> habe &#x017F;ich wider<lb/>
die Unternehmung erkla&#x0364;rt <hi rendition="#aq">&#x201E;jusques à se vouloir faire mettre à ge-<lb/>
noux hors de sa chaire&#x201C;, XIX,</hi> 296. Dagegen wi&#x017F;&#x017F;en wir von<lb/>
denen die im kai&#x017F;erlichen Lager waren, z. B. dem Bi&#x017F;chof von <placeName>Fo&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ombrone</placeName>, <hi rendition="#aq">Lettere di principi III,</hi> 45, daß <persName ref="http://d-nb.info/gnd/1026430437">Leiva</persName> dort im Lager fa&#x017F;t<lb/>
als der Urheber der ganzen Unternehmung betrachtet wurde. U&#x0364;ber-<lb/>
haupt verkennt <persName ref="http://d-nb.info/gnd/129084794">Bellay</persName> wie den General &#x017F;o auch den Kai&#x017F;er: er ge-<lb/>
fa&#x0364;llt &#x017F;ich darin, den Kai&#x017F;er ruhmredig bis zum Aberwitz darzu&#x017F;tellen,<lb/>
was &#x017F;ein Fehler &#x017F;on&#x017F;t eben nicht war.</note></p><lb/>
            <p>Man dürfte dem Kai&#x017F;er nicht die be&#x017F;timmte Ab&#x017F;icht<lb/>
oder Hofnung beime&#x017F;&#x017F;en, <placeName>Frankreich</placeName> zu erobern oder etwa<lb/>
einer großen Provinz zu berauben. Seiner Schwe&#x017F;ter &#x017F;chreibt<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[30/0042] Siebentes Buch. Erſtes Capitel. eben ſchloß er einen Vertrag mit den Osmanen; er nahm wieder eine Stellung ein, wie er ſie vor dem Frieden von Cam- brai beſeſſen, und unmöglich konnte er dieſe gegen eine Ver- ſorgung ſeines jüngſten Sohnes aufgeben, der doch nichts als ein kleiner italieniſcher Fürſt unter dem Einfluß des Kaiſers geworden wäre. Die kaiſerlichen Räthe waren überzeugt, daß der König nicht allein nichts herausgeben, ſondern immer weiter vor- dringen werde: es wäre denn daß man ihn mit Gewalt be- zwinge. Man müſſe ihn entweder zum Frieden nöthigen oder überhaupt unſchädlich machen. Von jeher hatten ſie geglaubt, das beſte Mittel, den König von Frankreich zu überwältigen, ſey ein Einfall in Frankreich. Wie oft war früher eine Verbindung von nie- derländiſchen und oberdeutſchen, ſpaniſchen und italieniſchen Kräften zu dieſem Zwecke verſucht worden! Auch jetzt mein- ten ſie, nur damit zu Ende kommen zu können. Antonio Leiva ſoll geſagt haben: ein Raubthier müſſe man in ſeiner Höle aufſuchen. 1 Man dürfte dem Kaiſer nicht die beſtimmte Abſicht oder Hofnung beimeſſen, Frankreich zu erobern oder etwa einer großen Provinz zu berauben. Seiner Schweſter ſchreibt 1 Bei Bellay zwar heißt es, Antonio Leiva habe ſich wider die Unternehmung erklaͤrt „jusques à se vouloir faire mettre à ge- noux hors de sa chaire“, XIX, 296. Dagegen wiſſen wir von denen die im kaiſerlichen Lager waren, z. B. dem Biſchof von Foſ- ſombrone, Lettere di principi III, 45, daß Leiva dort im Lager faſt als der Urheber der ganzen Unternehmung betrachtet wurde. Uͤber- haupt verkennt Bellay wie den General ſo auch den Kaiſer: er ge- faͤllt ſich darin, den Kaiſer ruhmredig bis zum Aberwitz darzuſtellen, was ſein Fehler ſonſt eben nicht war.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation04_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation04_1843/42
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 4. Berlin, 1843, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation04_1843/42>, abgerufen am 23.04.2024.