Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 4. Berlin, 1843.trachte nach der churfürstlichen Würde von Sachsen. Mit dem Churfürsten von Brandenburg war er auch dann noch in einer Art von Eifersucht, als derselbe dem Bekenntniß beigetreten. Unter andern erregte jene Gesandtschaft an Lu- ther im J. 1541 sein Mißfallen, einmal weil er nicht gern sah, daß der wenigstens nicht geliebte Nachbar, an dessen Festigkeit er nicht glaubte, sich an seinen Doctor wendete, so- dann weil er, der Landesfürst, vorbeigegangen worden; er selbst kam mit seinem Canzler herbei, um der Antwort Lu- thers ihre Form zu geben. In dem Verhältniß zu König Ferdinand durchkreuzten sich unaufhörlich die Sachen der Reli- gion und der Wahl. Es versteht sich, wenn die weltlichen Interessen mit den geistlichen in Widerstreit kommen, zögert Johann Friedrich keinen Augenblick die erstern nachzusetzen; für ihn beginnt die Gefahr erst, wenn sie zusammenstimmen, in einander fallen: dann gewinnt auch das Geringste für ihn eine höhere Bedeutung und er hält es mit Hartnäckigkeit fest. Wer weiß nicht, wie oft kleine, nahe, dringende Rücksichten den Blick in großen Angelegenheiten beschränken? Es ist eine der Mangelhaftigkeiten in dem menschlichen Wesen überhaupt, daß sie zusammentreffen können. Wir werden Johann Friedrich noch einmal begegnen, wo in einem großartigen Unglück alle Schlacken von ihm weggeschmolzen sind und seine religiöse Gesinnung in voller Reinheit strahlt. Damals machte sein Verfahren wohl noch den Eindruck, als wolle er "über alle Augen halten, die er im Würfelspiel geworfen." 1 Er zeigte 1 Er führt wohl einmal selbst aus, wie so er sich nicht ent-
ziehen lassen könne, wozu er sich befugt halte. Ergründete Verant- wortung bei Hortleder I, iv, 9, nr. 103. trachte nach der churfürſtlichen Würde von Sachſen. Mit dem Churfürſten von Brandenburg war er auch dann noch in einer Art von Eiferſucht, als derſelbe dem Bekenntniß beigetreten. Unter andern erregte jene Geſandtſchaft an Lu- ther im J. 1541 ſein Mißfallen, einmal weil er nicht gern ſah, daß der wenigſtens nicht geliebte Nachbar, an deſſen Feſtigkeit er nicht glaubte, ſich an ſeinen Doctor wendete, ſo- dann weil er, der Landesfürſt, vorbeigegangen worden; er ſelbſt kam mit ſeinem Canzler herbei, um der Antwort Lu- thers ihre Form zu geben. In dem Verhältniß zu König Ferdinand durchkreuzten ſich unaufhörlich die Sachen der Reli- gion und der Wahl. Es verſteht ſich, wenn die weltlichen Intereſſen mit den geiſtlichen in Widerſtreit kommen, zögert Johann Friedrich keinen Augenblick die erſtern nachzuſetzen; für ihn beginnt die Gefahr erſt, wenn ſie zuſammenſtimmen, in einander fallen: dann gewinnt auch das Geringſte für ihn eine höhere Bedeutung und er hält es mit Hartnäckigkeit feſt. Wer weiß nicht, wie oft kleine, nahe, dringende Rückſichten den Blick in großen Angelegenheiten beſchränken? Es iſt eine der Mangelhaftigkeiten in dem menſchlichen Weſen überhaupt, daß ſie zuſammentreffen können. Wir werden Johann Friedrich noch einmal begegnen, wo in einem großartigen Unglück alle Schlacken von ihm weggeſchmolzen ſind und ſeine religiöſe Geſinnung in voller Reinheit ſtrahlt. Damals machte ſein Verfahren wohl noch den Eindruck, als wolle er „über alle Augen halten, die er im Würfelſpiel geworfen.“ 1 Er zeigte 1 Er fuͤhrt wohl einmal ſelbſt aus, wie ſo er ſich nicht ent-
ziehen laſſen koͤnne, wozu er ſich befugt halte. Ergruͤndete Verant- wortung bei Hortleder I, iv, 9, nr. 103. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0279" n="267"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118712373">Johann Friedrich</persName></hi>.</fw><lb/> trachte nach der churfürſtlichen Würde von <placeName>Sachſen</placeName>. Mit<lb/> dem Churfürſten von <placeName>Brandenburg</placeName> war er auch dann noch<lb/> in einer Art von Eiferſucht, als derſelbe dem Bekenntniß<lb/> beigetreten. Unter andern erregte jene Geſandtſchaft an <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118575449">Lu-<lb/> ther</persName> im J. 1541 ſein Mißfallen, einmal weil er nicht gern<lb/> ſah, daß der wenigſtens nicht geliebte Nachbar, an deſſen<lb/> Feſtigkeit er nicht glaubte, ſich an ſeinen Doctor wendete, ſo-<lb/> dann weil er, der Landesfürſt, vorbeigegangen worden; er<lb/> ſelbſt kam mit ſeinem Canzler herbei, um der Antwort <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118575449">Lu-<lb/> thers</persName> ihre Form zu geben. In dem Verhältniß zu König<lb/><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118532502">Ferdinand</persName> durchkreuzten ſich unaufhörlich die Sachen der Reli-<lb/> gion und der Wahl. Es verſteht ſich, wenn die weltlichen<lb/> Intereſſen mit den geiſtlichen in Widerſtreit kommen, zögert<lb/><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118712373">Johann Friedrich</persName> keinen Augenblick die erſtern nachzuſetzen;<lb/> für ihn beginnt die Gefahr erſt, wenn ſie zuſammenſtimmen,<lb/> in einander fallen: dann gewinnt auch das Geringſte für ihn<lb/> eine höhere Bedeutung und er hält es mit Hartnäckigkeit feſt.<lb/> Wer weiß nicht, wie oft kleine, nahe, dringende Rückſichten den<lb/> Blick in großen Angelegenheiten beſchränken? Es iſt eine der<lb/> Mangelhaftigkeiten in dem menſchlichen Weſen überhaupt, daß<lb/> ſie zuſammentreffen können. Wir werden <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118712373">Johann Friedrich</persName><lb/> noch einmal begegnen, wo in einem großartigen Unglück alle<lb/> Schlacken von ihm weggeſchmolzen ſind und ſeine religiöſe<lb/> Geſinnung in voller Reinheit ſtrahlt. Damals machte ſein<lb/> Verfahren wohl noch den Eindruck, als wolle er „über alle<lb/> Augen halten, die er im Würfelſpiel geworfen.“ <note place="foot" n="1">Er fuͤhrt wohl einmal ſelbſt aus, wie ſo er ſich nicht ent-<lb/> ziehen laſſen koͤnne, wozu er ſich befugt halte. Ergruͤndete Verant-<lb/> wortung bei <persName ref="http://d-nb.info/gnd/117011312">Hortleder</persName> <hi rendition="#aq">I, <hi rendition="#k">iv</hi>, 9, nr.</hi> 103.</note> Er zeigte<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [267/0279]
Johann Friedrich.
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dem Churfürſten von Brandenburg war er auch dann noch
in einer Art von Eiferſucht, als derſelbe dem Bekenntniß
beigetreten. Unter andern erregte jene Geſandtſchaft an Lu-
ther im J. 1541 ſein Mißfallen, einmal weil er nicht gern
ſah, daß der wenigſtens nicht geliebte Nachbar, an deſſen
Feſtigkeit er nicht glaubte, ſich an ſeinen Doctor wendete, ſo-
dann weil er, der Landesfürſt, vorbeigegangen worden; er
ſelbſt kam mit ſeinem Canzler herbei, um der Antwort Lu-
thers ihre Form zu geben. In dem Verhältniß zu König
Ferdinand durchkreuzten ſich unaufhörlich die Sachen der Reli-
gion und der Wahl. Es verſteht ſich, wenn die weltlichen
Intereſſen mit den geiſtlichen in Widerſtreit kommen, zögert
Johann Friedrich keinen Augenblick die erſtern nachzuſetzen;
für ihn beginnt die Gefahr erſt, wenn ſie zuſammenſtimmen,
in einander fallen: dann gewinnt auch das Geringſte für ihn
eine höhere Bedeutung und er hält es mit Hartnäckigkeit feſt.
Wer weiß nicht, wie oft kleine, nahe, dringende Rückſichten den
Blick in großen Angelegenheiten beſchränken? Es iſt eine der
Mangelhaftigkeiten in dem menſchlichen Weſen überhaupt, daß
ſie zuſammentreffen können. Wir werden Johann Friedrich
noch einmal begegnen, wo in einem großartigen Unglück alle
Schlacken von ihm weggeſchmolzen ſind und ſeine religiöſe
Geſinnung in voller Reinheit ſtrahlt. Damals machte ſein
Verfahren wohl noch den Eindruck, als wolle er „über alle
Augen halten, die er im Würfelſpiel geworfen.“ 1 Er zeigte
1 Er fuͤhrt wohl einmal ſelbſt aus, wie ſo er ſich nicht ent-
ziehen laſſen koͤnne, wozu er ſich befugt halte. Ergruͤndete Verant-
wortung bei Hortleder I, iv, 9, nr. 103.
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