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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 4. Berlin, 1843.

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Gespräch zu Regensburg.
sischen Prediger Pistorius von der andern Seite, zu Collo-
cutoren. Unter den sechs Zeugen waren drei erklärte Prote-
stanten, und ein vierter, der pfälzische Vicecanzler, wenigstens
zweifelhaft; den Vorsitz vertraute er einem Fürsten der fried-
fertigsten Gesinnung, dem Pfalzgrafen Friedrich, und dem Ver-
trauten seiner Politik, Granvella.

Unter diesen Auspicien begann noch einmal ein dialektisch-
dogmatisches Gefecht, das an dieser Stelle, nachdem die ge-
mäßigten Meinungen zu beiden Seiten so große Fortschritte
gemacht und die höchste Gewalt im Reiche durch ihre eigen-
sten Interessen mit denselben in Berührung gekommen war,
eine neue große Bedeutung hatte.

Man begann mit den speculativen Fragen, deren Mit-
telpunct in der Lehre von der Rechtfertigung liegt.

Merkwürdig, wie da die eigensten protestantischen Ideen
so ganz entschieden das Übergewicht gewannen. Unter der
Autorität eines päpstlichen Legaten wurden sie angenommen,
ohne daß der römische Stuhl sie hätte verwerfen mögen.
In der Lehre vom Urstand ist von keinem Unterschied der
Ordnungen der Natur und der Gnade die Rede: es wird
ausdrücklich eingeräumt daß der Mensch durch den ersten Fall
die Freiheit des Willens verloren habe: 1 der Ursprung der
Sünde wird fast mit den Worten der Confession angegeben:
die Erbsünde wird als wahre tödtliche Sünde bezeichnet: und
sogar ein Satz, der in Leos X Bulle verdammt worden, die

1 art. 2. Concreata libertas per hominis lapsum est amissa,
während es in dem Tridentinum heißt: Si quis liberum hominis
arbitrium post Adae peccatum amissum et extinctum esse dixe-
rit, anathema sit.
Ranke D. Gesch. IV. 14

Geſpraͤch zu Regensburg.
ſiſchen Prediger Piſtorius von der andern Seite, zu Collo-
cutoren. Unter den ſechs Zeugen waren drei erklärte Prote-
ſtanten, und ein vierter, der pfälziſche Vicecanzler, wenigſtens
zweifelhaft; den Vorſitz vertraute er einem Fürſten der fried-
fertigſten Geſinnung, dem Pfalzgrafen Friedrich, und dem Ver-
trauten ſeiner Politik, Granvella.

Unter dieſen Auſpicien begann noch einmal ein dialektiſch-
dogmatiſches Gefecht, das an dieſer Stelle, nachdem die ge-
mäßigten Meinungen zu beiden Seiten ſo große Fortſchritte
gemacht und die höchſte Gewalt im Reiche durch ihre eigen-
ſten Intereſſen mit denſelben in Berührung gekommen war,
eine neue große Bedeutung hatte.

Man begann mit den ſpeculativen Fragen, deren Mit-
telpunct in der Lehre von der Rechtfertigung liegt.

Merkwürdig, wie da die eigenſten proteſtantiſchen Ideen
ſo ganz entſchieden das Übergewicht gewannen. Unter der
Autorität eines päpſtlichen Legaten wurden ſie angenommen,
ohne daß der römiſche Stuhl ſie hätte verwerfen mögen.
In der Lehre vom Urſtand iſt von keinem Unterſchied der
Ordnungen der Natur und der Gnade die Rede: es wird
ausdrücklich eingeräumt daß der Menſch durch den erſten Fall
die Freiheit des Willens verloren habe: 1 der Urſprung der
Sünde wird faſt mit den Worten der Confeſſion angegeben:
die Erbſünde wird als wahre tödtliche Sünde bezeichnet: und
ſogar ein Satz, der in Leos X Bulle verdammt worden, die

1 art. 2. Concreata libertas per hominis lapsum est amissa,
waͤhrend es in dem Tridentinum heißt: Si quis liberum hominis
arbitrium post Adae peccatum amissum et extinctum esse dixe-
rit, anathema sit.
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[209/0221] Geſpraͤch zu Regensburg. ſiſchen Prediger Piſtorius von der andern Seite, zu Collo- cutoren. Unter den ſechs Zeugen waren drei erklärte Prote- ſtanten, und ein vierter, der pfälziſche Vicecanzler, wenigſtens zweifelhaft; den Vorſitz vertraute er einem Fürſten der fried- fertigſten Geſinnung, dem Pfalzgrafen Friedrich, und dem Ver- trauten ſeiner Politik, Granvella. Unter dieſen Auſpicien begann noch einmal ein dialektiſch- dogmatiſches Gefecht, das an dieſer Stelle, nachdem die ge- mäßigten Meinungen zu beiden Seiten ſo große Fortſchritte gemacht und die höchſte Gewalt im Reiche durch ihre eigen- ſten Intereſſen mit denſelben in Berührung gekommen war, eine neue große Bedeutung hatte. Man begann mit den ſpeculativen Fragen, deren Mit- telpunct in der Lehre von der Rechtfertigung liegt. Merkwürdig, wie da die eigenſten proteſtantiſchen Ideen ſo ganz entſchieden das Übergewicht gewannen. Unter der Autorität eines päpſtlichen Legaten wurden ſie angenommen, ohne daß der römiſche Stuhl ſie hätte verwerfen mögen. In der Lehre vom Urſtand iſt von keinem Unterſchied der Ordnungen der Natur und der Gnade die Rede: es wird ausdrücklich eingeräumt daß der Menſch durch den erſten Fall die Freiheit des Willens verloren habe: 1 der Urſprung der Sünde wird faſt mit den Worten der Confeſſion angegeben: die Erbſünde wird als wahre tödtliche Sünde bezeichnet: und ſogar ein Satz, der in Leos X Bulle verdammt worden, die 1 art. 2. Concreata libertas per hominis lapsum est amissa, waͤhrend es in dem Tridentinum heißt: Si quis liberum hominis arbitrium post Adae peccatum amissum et extinctum esse dixe- rit, anathema sit. Ranke D. Geſch. IV. 14

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 4. Berlin, 1843, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation04_1843/221>, abgerufen am 23.11.2024.