Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Sechstes Buch. Zehntes Capitel.
und Reiche in allen politischen Beziehungen. Es lag ein
welthistorischer Widerspruch darin, daß Lübeck, indem es
sich von der Hierarchie losriß, doch die Oberherrschaft sei-
nes Handels behaupten wollte, und zwar nicht durch das
natürliche Uebergewicht der Betriebsamkeit, des Capitals
oder der Waare, sondern durch erzwungene Staatsverträge.

Man dürfte aber nicht glauben, daß dadurch nun auch
der Einfluß Deutschlands auf den Norden zerstört wor-
den sey. Im Gegentheil ward er, aber nur auf eine freiere
Weise, auf dem geistigen Gebiete jetzt erst wahrhaft stark.
Wer weiß nicht, welche Versuche man in frühern Jahrhun-
derten gemacht hat, das Christenthum von Deutschland aus
im Norden einzuführen? Eine nähere Betrachtung lehrt je-
doch, daß dieß damals bei weitem mehr von England aus
geschehen ist. Was nun Anscharius und dessen Nachfolger
nicht vermocht, eine eigenthümliche religiöse Verbindung zwi-
schen Germanien und den nordischen Reichen zu stiften, das
geschah, wiewohl in einem andern Sinne, jetzt durch die Re-
formation. Die Beseitigung des Einflusses von Lübeck scha-
dete dem Protestantismus nicht; kaum hatte Christian III
Kopenhagen eingenommen, so schritt er zur Einführung der
Lehre, wie sie in Deutschland gepredigt ward, unter der Leitung
desselben wittenberger Theologen, der so viele niederdeutsche
Gebiete reformirt hatte, des Doctor Bugenhagen. Dadurch
aber, daß diese Lehre hier eben so rasch und tief wie
in Deutschland Wurzel schlug, ward der engste Zusammen-
hang des gesammten geistigen Lebens im Norden mit dem
deutschen begründet. Seitdem haben hier und dort, wie
das die nahe Verwandtschaft der Nationen an sich begün-

Sechstes Buch. Zehntes Capitel.
und Reiche in allen politiſchen Beziehungen. Es lag ein
welthiſtoriſcher Widerſpruch darin, daß Lübeck, indem es
ſich von der Hierarchie losriß, doch die Oberherrſchaft ſei-
nes Handels behaupten wollte, und zwar nicht durch das
natürliche Uebergewicht der Betriebſamkeit, des Capitals
oder der Waare, ſondern durch erzwungene Staatsverträge.

Man dürfte aber nicht glauben, daß dadurch nun auch
der Einfluß Deutſchlands auf den Norden zerſtört wor-
den ſey. Im Gegentheil ward er, aber nur auf eine freiere
Weiſe, auf dem geiſtigen Gebiete jetzt erſt wahrhaft ſtark.
Wer weiß nicht, welche Verſuche man in frühern Jahrhun-
derten gemacht hat, das Chriſtenthum von Deutſchland aus
im Norden einzuführen? Eine nähere Betrachtung lehrt je-
doch, daß dieß damals bei weitem mehr von England aus
geſchehen iſt. Was nun Anſcharius und deſſen Nachfolger
nicht vermocht, eine eigenthümliche religiöſe Verbindung zwi-
ſchen Germanien und den nordiſchen Reichen zu ſtiften, das
geſchah, wiewohl in einem andern Sinne, jetzt durch die Re-
formation. Die Beſeitigung des Einfluſſes von Lübeck ſcha-
dete dem Proteſtantismus nicht; kaum hatte Chriſtian III
Kopenhagen eingenommen, ſo ſchritt er zur Einführung der
Lehre, wie ſie in Deutſchland gepredigt ward, unter der Leitung
deſſelben wittenberger Theologen, der ſo viele niederdeutſche
Gebiete reformirt hatte, des Doctor Bugenhagen. Dadurch
aber, daß dieſe Lehre hier eben ſo raſch und tief wie
in Deutſchland Wurzel ſchlug, ward der engſte Zuſammen-
hang des geſammten geiſtigen Lebens im Norden mit dem
deutſchen begründet. Seitdem haben hier und dort, wie
das die nahe Verwandtſchaft der Nationen an ſich begün-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0616" n="600"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Sechstes Buch. Zehntes Capitel</hi>.</fw><lb/>
und Reiche in allen politi&#x017F;chen Beziehungen. Es lag ein<lb/>
welthi&#x017F;tori&#x017F;cher Wider&#x017F;pruch darin, daß Lübeck, indem es<lb/>
&#x017F;ich von der Hierarchie losriß, doch die Oberherr&#x017F;chaft &#x017F;ei-<lb/>
nes Handels behaupten wollte, und zwar nicht durch das<lb/>
natürliche Uebergewicht der Betrieb&#x017F;amkeit, des Capitals<lb/>
oder der Waare, &#x017F;ondern durch erzwungene Staatsverträge.</p><lb/>
          <p>Man dürfte aber nicht glauben, daß dadurch nun auch<lb/>
der Einfluß Deut&#x017F;chlands auf den Norden zer&#x017F;tört wor-<lb/>
den &#x017F;ey. Im Gegentheil ward er, aber nur auf eine freiere<lb/>
Wei&#x017F;e, auf dem gei&#x017F;tigen Gebiete jetzt er&#x017F;t wahrhaft &#x017F;tark.<lb/>
Wer weiß nicht, welche Ver&#x017F;uche man in frühern Jahrhun-<lb/>
derten gemacht hat, das Chri&#x017F;tenthum von Deut&#x017F;chland aus<lb/>
im Norden einzuführen? Eine nähere Betrachtung lehrt je-<lb/>
doch, daß dieß damals bei weitem mehr von England aus<lb/>
ge&#x017F;chehen i&#x017F;t. Was nun An&#x017F;charius und de&#x017F;&#x017F;en Nachfolger<lb/>
nicht vermocht, eine eigenthümliche religiö&#x017F;e Verbindung zwi-<lb/>
&#x017F;chen Germanien und den nordi&#x017F;chen Reichen zu &#x017F;tiften, das<lb/>
ge&#x017F;chah, wiewohl in einem andern Sinne, jetzt durch die Re-<lb/>
formation. Die Be&#x017F;eitigung des Einflu&#x017F;&#x017F;es von Lübeck &#x017F;cha-<lb/>
dete dem Prote&#x017F;tantismus nicht; kaum hatte Chri&#x017F;tian <hi rendition="#aq">III</hi><lb/>
Kopenhagen eingenommen, &#x017F;o &#x017F;chritt er zur Einführung der<lb/>
Lehre, wie &#x017F;ie in Deut&#x017F;chland gepredigt ward, unter der Leitung<lb/>
de&#x017F;&#x017F;elben wittenberger Theologen, der &#x017F;o viele niederdeut&#x017F;che<lb/>
Gebiete reformirt hatte, des Doctor Bugenhagen. Dadurch<lb/>
aber, daß die&#x017F;e Lehre hier eben &#x017F;o ra&#x017F;ch und tief wie<lb/>
in Deut&#x017F;chland Wurzel &#x017F;chlug, ward der eng&#x017F;te Zu&#x017F;ammen-<lb/>
hang des ge&#x017F;ammten gei&#x017F;tigen Lebens im Norden mit dem<lb/>
deut&#x017F;chen begründet. Seitdem haben hier und dort, wie<lb/>
das die nahe Verwandt&#x017F;chaft der Nationen an &#x017F;ich begün-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[600/0616] Sechstes Buch. Zehntes Capitel. und Reiche in allen politiſchen Beziehungen. Es lag ein welthiſtoriſcher Widerſpruch darin, daß Lübeck, indem es ſich von der Hierarchie losriß, doch die Oberherrſchaft ſei- nes Handels behaupten wollte, und zwar nicht durch das natürliche Uebergewicht der Betriebſamkeit, des Capitals oder der Waare, ſondern durch erzwungene Staatsverträge. Man dürfte aber nicht glauben, daß dadurch nun auch der Einfluß Deutſchlands auf den Norden zerſtört wor- den ſey. Im Gegentheil ward er, aber nur auf eine freiere Weiſe, auf dem geiſtigen Gebiete jetzt erſt wahrhaft ſtark. Wer weiß nicht, welche Verſuche man in frühern Jahrhun- derten gemacht hat, das Chriſtenthum von Deutſchland aus im Norden einzuführen? Eine nähere Betrachtung lehrt je- doch, daß dieß damals bei weitem mehr von England aus geſchehen iſt. Was nun Anſcharius und deſſen Nachfolger nicht vermocht, eine eigenthümliche religiöſe Verbindung zwi- ſchen Germanien und den nordiſchen Reichen zu ſtiften, das geſchah, wiewohl in einem andern Sinne, jetzt durch die Re- formation. Die Beſeitigung des Einfluſſes von Lübeck ſcha- dete dem Proteſtantismus nicht; kaum hatte Chriſtian III Kopenhagen eingenommen, ſo ſchritt er zur Einführung der Lehre, wie ſie in Deutſchland gepredigt ward, unter der Leitung deſſelben wittenberger Theologen, der ſo viele niederdeutſche Gebiete reformirt hatte, des Doctor Bugenhagen. Dadurch aber, daß dieſe Lehre hier eben ſo raſch und tief wie in Deutſchland Wurzel ſchlug, ward der engſte Zuſammen- hang des geſammten geiſtigen Lebens im Norden mit dem deutſchen begründet. Seitdem haben hier und dort, wie das die nahe Verwandtſchaft der Nationen an ſich begün-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/616
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 600. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/616>, abgerufen am 04.05.2024.