Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Einführung der symbolischen Bücher.
stigt, in der Regel dieselben Strömungen und Entwickelun-
gen der Ideen Statt gefunden. Auch in dem Norden löste
sich das religiöse und kirchliche Element von den eigentlich
politischen Bestrebungen ab; seine Wirkung war nur in
den geistigen Regionen.

Wir haben dasselbe Moment in allen Ereignissen die-
ser letzten Jahre wahrgenommen.

Zwingli, der mit der Reinigung der Lehre zugleich eine
Umbildung des Schweizer-Bundes beabsichtigte, überhaupt
die demokratischen Ideen beförderte, war gefallen; sein po-
litisches Unternehmen war mißlungen; in seinen letzten Ta-
gen, vielleicht Augenblicken konnte er sich nur noch der Zu-
kunft der Kirche trösten. Das wiedertäuferische Treiben,
das eine so vollkommene Umgestaltung der Welt in Aussicht
nahm, war erdrückt, in Deutschland vernichtet worden.
Auch jene allgemeine Bewegung der mittleren Classen in
den handeltreibenden Städten, die sich an die Unterneh-
mung von Lübeck knüpfte, erreichte ihr Ziel nicht und mußte
sich nunmehr beruhigen. Es war als könne das religiöse
Prinzip, das sich in seiner eigenthümlichen Kraft erhoben,
überhaupt keine so nahe Verbindung mit der Politik dulden.

Vielmehr war man beschäftigt, die Lehre vor allen
Auslegungen, die auf diese abweichenden Bahnen führen
könnten, sorgfältig zu bewahren.

Eben hierin liegt der Grund der Einführung der sym-
bolischen Bücher bei den Protestanten. Um sich vor der
Fortpflanzung anabaptistischer Meinungen sicher zu stellen,
erkannten die Wittenberger Lehrer die Beschlüsse der alten
Kirchenversammlungen, in welchen die Dogmen von der

Ranke d. Gesch. III. 39

Einfuͤhrung der ſymboliſchen Buͤcher.
ſtigt, in der Regel dieſelben Strömungen und Entwickelun-
gen der Ideen Statt gefunden. Auch in dem Norden löſte
ſich das religiöſe und kirchliche Element von den eigentlich
politiſchen Beſtrebungen ab; ſeine Wirkung war nur in
den geiſtigen Regionen.

Wir haben daſſelbe Moment in allen Ereigniſſen die-
ſer letzten Jahre wahrgenommen.

Zwingli, der mit der Reinigung der Lehre zugleich eine
Umbildung des Schweizer-Bundes beabſichtigte, überhaupt
die demokratiſchen Ideen beförderte, war gefallen; ſein po-
litiſches Unternehmen war mißlungen; in ſeinen letzten Ta-
gen, vielleicht Augenblicken konnte er ſich nur noch der Zu-
kunft der Kirche tröſten. Das wiedertäuferiſche Treiben,
das eine ſo vollkommene Umgeſtaltung der Welt in Ausſicht
nahm, war erdrückt, in Deutſchland vernichtet worden.
Auch jene allgemeine Bewegung der mittleren Claſſen in
den handeltreibenden Städten, die ſich an die Unterneh-
mung von Lübeck knüpfte, erreichte ihr Ziel nicht und mußte
ſich nunmehr beruhigen. Es war als könne das religiöſe
Prinzip, das ſich in ſeiner eigenthümlichen Kraft erhoben,
überhaupt keine ſo nahe Verbindung mit der Politik dulden.

Vielmehr war man beſchäftigt, die Lehre vor allen
Auslegungen, die auf dieſe abweichenden Bahnen führen
könnten, ſorgfältig zu bewahren.

Eben hierin liegt der Grund der Einführung der ſym-
boliſchen Bücher bei den Proteſtanten. Um ſich vor der
Fortpflanzung anabaptiſtiſcher Meinungen ſicher zu ſtellen,
erkannten die Wittenberger Lehrer die Beſchlüſſe der alten
Kirchenverſammlungen, in welchen die Dogmen von der

Ranke d. Geſch. III. 39
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0617" n="601"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Einfu&#x0364;hrung der &#x017F;ymboli&#x017F;chen Bu&#x0364;cher</hi>.</fw><lb/>
&#x017F;tigt, in der Regel die&#x017F;elben Strömungen und Entwickelun-<lb/>
gen der Ideen Statt gefunden. Auch in dem Norden lö&#x017F;te<lb/>
&#x017F;ich das religiö&#x017F;e und kirchliche Element von den eigentlich<lb/>
politi&#x017F;chen Be&#x017F;trebungen ab; &#x017F;eine Wirkung war nur in<lb/>
den gei&#x017F;tigen Regionen.</p><lb/>
          <p>Wir haben da&#x017F;&#x017F;elbe Moment in allen Ereigni&#x017F;&#x017F;en die-<lb/>
&#x017F;er letzten Jahre wahrgenommen.</p><lb/>
          <p>Zwingli, der mit der Reinigung der Lehre zugleich eine<lb/>
Umbildung des Schweizer-Bundes beab&#x017F;ichtigte, überhaupt<lb/>
die demokrati&#x017F;chen Ideen beförderte, war gefallen; &#x017F;ein po-<lb/>
liti&#x017F;ches Unternehmen war mißlungen; in &#x017F;einen letzten Ta-<lb/>
gen, vielleicht Augenblicken konnte er &#x017F;ich nur noch der Zu-<lb/>
kunft der Kirche trö&#x017F;ten. Das wiedertäuferi&#x017F;che Treiben,<lb/>
das eine &#x017F;o vollkommene Umge&#x017F;taltung der Welt in Aus&#x017F;icht<lb/>
nahm, war erdrückt, in Deut&#x017F;chland vernichtet worden.<lb/>
Auch jene allgemeine Bewegung der mittleren Cla&#x017F;&#x017F;en in<lb/>
den handeltreibenden Städten, die &#x017F;ich an die Unterneh-<lb/>
mung von Lübeck knüpfte, erreichte ihr Ziel nicht und mußte<lb/>
&#x017F;ich nunmehr beruhigen. Es war als könne das religiö&#x017F;e<lb/>
Prinzip, das &#x017F;ich in &#x017F;einer eigenthümlichen Kraft erhoben,<lb/>
überhaupt keine &#x017F;o nahe Verbindung mit der Politik dulden.</p><lb/>
          <p>Vielmehr war man be&#x017F;chäftigt, die Lehre vor allen<lb/>
Auslegungen, die auf die&#x017F;e abweichenden Bahnen führen<lb/>
könnten, &#x017F;orgfältig zu bewahren.</p><lb/>
          <p>Eben hierin liegt der Grund der Einführung der &#x017F;ym-<lb/>
boli&#x017F;chen Bücher bei den Prote&#x017F;tanten. Um &#x017F;ich vor der<lb/>
Fortpflanzung anabapti&#x017F;ti&#x017F;cher Meinungen &#x017F;icher zu &#x017F;tellen,<lb/>
erkannten die Wittenberger Lehrer die Be&#x017F;chlü&#x017F;&#x017F;e der alten<lb/>
Kirchenver&#x017F;ammlungen, in welchen die Dogmen von der<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Ranke d. Ge&#x017F;ch. <hi rendition="#aq">III.</hi> 39</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[601/0617] Einfuͤhrung der ſymboliſchen Buͤcher. ſtigt, in der Regel dieſelben Strömungen und Entwickelun- gen der Ideen Statt gefunden. Auch in dem Norden löſte ſich das religiöſe und kirchliche Element von den eigentlich politiſchen Beſtrebungen ab; ſeine Wirkung war nur in den geiſtigen Regionen. Wir haben daſſelbe Moment in allen Ereigniſſen die- ſer letzten Jahre wahrgenommen. Zwingli, der mit der Reinigung der Lehre zugleich eine Umbildung des Schweizer-Bundes beabſichtigte, überhaupt die demokratiſchen Ideen beförderte, war gefallen; ſein po- litiſches Unternehmen war mißlungen; in ſeinen letzten Ta- gen, vielleicht Augenblicken konnte er ſich nur noch der Zu- kunft der Kirche tröſten. Das wiedertäuferiſche Treiben, das eine ſo vollkommene Umgeſtaltung der Welt in Ausſicht nahm, war erdrückt, in Deutſchland vernichtet worden. Auch jene allgemeine Bewegung der mittleren Claſſen in den handeltreibenden Städten, die ſich an die Unterneh- mung von Lübeck knüpfte, erreichte ihr Ziel nicht und mußte ſich nunmehr beruhigen. Es war als könne das religiöſe Prinzip, das ſich in ſeiner eigenthümlichen Kraft erhoben, überhaupt keine ſo nahe Verbindung mit der Politik dulden. Vielmehr war man beſchäftigt, die Lehre vor allen Auslegungen, die auf dieſe abweichenden Bahnen führen könnten, ſorgfältig zu bewahren. Eben hierin liegt der Grund der Einführung der ſym- boliſchen Bücher bei den Proteſtanten. Um ſich vor der Fortpflanzung anabaptiſtiſcher Meinungen ſicher zu ſtellen, erkannten die Wittenberger Lehrer die Beſchlüſſe der alten Kirchenverſammlungen, in welchen die Dogmen von der Ranke d. Geſch. III. 39

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/617
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 601. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/617>, abgerufen am 24.11.2024.