Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Johann v. Leiden im Gefängniß.
gehalten worden. Der König zeigte sich anfangs sehr trotzig,
dutzte wohl den Bischof, scherzte mit denen, die ihm seine
Vielweiberei vorwarfen, vermaß sich, daß er die Stadt nie-
mals aufgegeben haben würde und wären alle seine Leute
an Hunger gestorben. Auch in dem ersten Gespräch, das
ein paar hessische Theologen mit ihm hielten, zeigte er sich
eher starrsinnig. Aber gar bald ließ er selbst ein zweites
fordern, wo er denn bemerkte, daß sie alle in Münster
vom tausendjährigen Reiche nichts gewisses gewußt, erst
im Gefängniß sey ihm die Einsicht davon gekommen; er
erklärte nun selbst den Widerstand, den er der Obrigkeit
geleistet, für unrechtmäßig, die Vielweiberei für übereilt,
ja selbst die Kindertaufe für eine Pflicht. 1 Er versprach,
wenn man ihn zu Gnaden annehme, mit Melchior Hof-
mann und seinen Frauen alle Täufer zum Stillschweigen
und zum Gehorsam zu bewegen. Er blieb in dieser Stim-
mung, auch als er schon wissen konnte, daß sie ihm nichts
helfen werde. Dem Caplan des Bischofs gestand er ein,
wenn er den Tod zehnmal leiden könne, so habe er ihn
zehnmal verdient. Knipperdolling und Krechting dagegen
zeigten sich überaus hartnäckig; sie erscheinen der theologi-
schen Streitfragen lange nicht so kundig, wie Johann von
Leiden, von minder durchgebildeter, aber um so unbeug-
samerer Ueberzeugung; sie blieben dabei, nur den Weisun-
gen Gottes gefolgt zu seyn. Sie wurden sämmtlich verur-

1 Gesprech oder Disputation Antonii Corvini und Johannis
Kymei mit Johann v. Leiden. Gleichzeitiger Wittenberger Druck.
Im Bogen G findet sich ein Bekenntniß von Johann v. Leiden
"mit miner eighene hand ondertekent."
Ranke d. Gesch. III. 36

Johann v. Leiden im Gefaͤngniß.
gehalten worden. Der König zeigte ſich anfangs ſehr trotzig,
dutzte wohl den Biſchof, ſcherzte mit denen, die ihm ſeine
Vielweiberei vorwarfen, vermaß ſich, daß er die Stadt nie-
mals aufgegeben haben würde und wären alle ſeine Leute
an Hunger geſtorben. Auch in dem erſten Geſpräch, das
ein paar heſſiſche Theologen mit ihm hielten, zeigte er ſich
eher ſtarrſinnig. Aber gar bald ließ er ſelbſt ein zweites
fordern, wo er denn bemerkte, daß ſie alle in Münſter
vom tauſendjährigen Reiche nichts gewiſſes gewußt, erſt
im Gefängniß ſey ihm die Einſicht davon gekommen; er
erklärte nun ſelbſt den Widerſtand, den er der Obrigkeit
geleiſtet, für unrechtmäßig, die Vielweiberei für übereilt,
ja ſelbſt die Kindertaufe für eine Pflicht. 1 Er verſprach,
wenn man ihn zu Gnaden annehme, mit Melchior Hof-
mann und ſeinen Frauen alle Täufer zum Stillſchweigen
und zum Gehorſam zu bewegen. Er blieb in dieſer Stim-
mung, auch als er ſchon wiſſen konnte, daß ſie ihm nichts
helfen werde. Dem Caplan des Biſchofs geſtand er ein,
wenn er den Tod zehnmal leiden könne, ſo habe er ihn
zehnmal verdient. Knipperdolling und Krechting dagegen
zeigten ſich überaus hartnäckig; ſie erſcheinen der theologi-
ſchen Streitfragen lange nicht ſo kundig, wie Johann von
Leiden, von minder durchgebildeter, aber um ſo unbeug-
ſamerer Ueberzeugung; ſie blieben dabei, nur den Weiſun-
gen Gottes gefolgt zu ſeyn. Sie wurden ſämmtlich verur-

1 Geſprech oder Disputation Antonii Corvini und Johannis
Kymei mit Johann v. Leiden. Gleichzeitiger Wittenberger Druck.
Im Bogen G findet ſich ein Bekenntniß von Johann v. Leiden
„mit miner eighene hand ondertekent.“
Ranke d. Geſch. III. 36
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0577" n="561"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Johann v. Leiden im Gefa&#x0364;ngniß</hi>.</fw><lb/>
gehalten worden. Der König zeigte &#x017F;ich anfangs &#x017F;ehr trotzig,<lb/>
dutzte wohl den Bi&#x017F;chof, &#x017F;cherzte mit denen, die ihm &#x017F;eine<lb/>
Vielweiberei vorwarfen, vermaß &#x017F;ich, daß er die Stadt nie-<lb/>
mals aufgegeben haben würde und wären alle &#x017F;eine Leute<lb/>
an Hunger ge&#x017F;torben. Auch in dem er&#x017F;ten Ge&#x017F;präch, das<lb/>
ein paar he&#x017F;&#x017F;i&#x017F;che Theologen mit ihm hielten, zeigte er &#x017F;ich<lb/>
eher &#x017F;tarr&#x017F;innig. Aber gar bald ließ er &#x017F;elb&#x017F;t ein zweites<lb/>
fordern, wo er denn bemerkte, daß &#x017F;ie alle in Mün&#x017F;ter<lb/>
vom tau&#x017F;endjährigen Reiche nichts gewi&#x017F;&#x017F;es gewußt, er&#x017F;t<lb/>
im Gefängniß &#x017F;ey ihm die Ein&#x017F;icht davon gekommen; er<lb/>
erklärte nun &#x017F;elb&#x017F;t den Wider&#x017F;tand, den er der Obrigkeit<lb/>
gelei&#x017F;tet, für unrechtmäßig, die Vielweiberei für übereilt,<lb/>
ja &#x017F;elb&#x017F;t die Kindertaufe für eine Pflicht. <note place="foot" n="1">Ge&#x017F;prech oder Disputation Antonii Corvini und Johannis<lb/>
Kymei mit Johann v. Leiden. Gleichzeitiger Wittenberger Druck.<lb/>
Im Bogen G findet &#x017F;ich ein Bekenntniß von Johann v. Leiden<lb/>
&#x201E;mit miner eighene hand ondertekent.&#x201C;</note> Er ver&#x017F;prach,<lb/>
wenn man ihn zu Gnaden annehme, mit Melchior Hof-<lb/>
mann und &#x017F;einen Frauen alle Täufer zum Still&#x017F;chweigen<lb/>
und zum Gehor&#x017F;am zu bewegen. Er blieb in die&#x017F;er Stim-<lb/>
mung, auch als er &#x017F;chon wi&#x017F;&#x017F;en konnte, daß &#x017F;ie ihm nichts<lb/>
helfen werde. Dem Caplan des Bi&#x017F;chofs ge&#x017F;tand er ein,<lb/>
wenn er den Tod zehnmal leiden könne, &#x017F;o habe er ihn<lb/>
zehnmal verdient. Knipperdolling und Krechting dagegen<lb/>
zeigten &#x017F;ich überaus hartnäckig; &#x017F;ie er&#x017F;cheinen der theologi-<lb/>
&#x017F;chen Streitfragen lange nicht &#x017F;o kundig, wie Johann von<lb/>
Leiden, von minder durchgebildeter, aber um &#x017F;o unbeug-<lb/>
&#x017F;amerer Ueberzeugung; &#x017F;ie blieben dabei, nur den Wei&#x017F;un-<lb/>
gen Gottes gefolgt zu &#x017F;eyn. Sie wurden &#x017F;ämmtlich verur-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Ranke d. Ge&#x017F;ch. <hi rendition="#aq">III.</hi> 36</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[561/0577] Johann v. Leiden im Gefaͤngniß. gehalten worden. Der König zeigte ſich anfangs ſehr trotzig, dutzte wohl den Biſchof, ſcherzte mit denen, die ihm ſeine Vielweiberei vorwarfen, vermaß ſich, daß er die Stadt nie- mals aufgegeben haben würde und wären alle ſeine Leute an Hunger geſtorben. Auch in dem erſten Geſpräch, das ein paar heſſiſche Theologen mit ihm hielten, zeigte er ſich eher ſtarrſinnig. Aber gar bald ließ er ſelbſt ein zweites fordern, wo er denn bemerkte, daß ſie alle in Münſter vom tauſendjährigen Reiche nichts gewiſſes gewußt, erſt im Gefängniß ſey ihm die Einſicht davon gekommen; er erklärte nun ſelbſt den Widerſtand, den er der Obrigkeit geleiſtet, für unrechtmäßig, die Vielweiberei für übereilt, ja ſelbſt die Kindertaufe für eine Pflicht. 1 Er verſprach, wenn man ihn zu Gnaden annehme, mit Melchior Hof- mann und ſeinen Frauen alle Täufer zum Stillſchweigen und zum Gehorſam zu bewegen. Er blieb in dieſer Stim- mung, auch als er ſchon wiſſen konnte, daß ſie ihm nichts helfen werde. Dem Caplan des Biſchofs geſtand er ein, wenn er den Tod zehnmal leiden könne, ſo habe er ihn zehnmal verdient. Knipperdolling und Krechting dagegen zeigten ſich überaus hartnäckig; ſie erſcheinen der theologi- ſchen Streitfragen lange nicht ſo kundig, wie Johann von Leiden, von minder durchgebildeter, aber um ſo unbeug- ſamerer Ueberzeugung; ſie blieben dabei, nur den Weiſun- gen Gottes gefolgt zu ſeyn. Sie wurden ſämmtlich verur- 1 Geſprech oder Disputation Antonii Corvini und Johannis Kymei mit Johann v. Leiden. Gleichzeitiger Wittenberger Druck. Im Bogen G findet ſich ein Bekenntniß von Johann v. Leiden „mit miner eighene hand ondertekent.“ Ranke d. Geſch. III. 36

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/577
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 561. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/577>, abgerufen am 18.05.2024.