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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

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Sechstes Buch. Neuntes Capitel.
Sieg verschaffte, aber die Verwaltung des Reiches hatte bei
weitem nicht Energie genug, nun auch die Sache selbst in
ihre Hand zu nehmen. Vielmehr benutzten Capitel und
Ritterschaft die Gelegenheit, die bürgerliche Selbständigkeit
der Stadt, die ihnen längst verhaßt gewesen, nunmehr voll-
ständig zu unterdrücken. Trotz jener Einrede ward doch
beschlossen, eine Festung in Münster zu errichten und zwar
auf Kosten der Stadt selbst: die Hälfte ihrer Einkünfte
sollte dazu dienen; der Befehlshaber der Feste sollte aus der
einheimischen Ritterschaft genommen, nur mit Einwilligung
von Capitel und Ritterschaft ernannt werden, auch die-
sen seinen Eid leisten 1 und den Befehl führen, selbst wenn
der Fürst zugegen sey. Auch der Rath der Stadt sollte
von dem Fürsten in Zukunft mit Beirath des Capitels
und der Ritterschaft ernannt werden. Hatte sich die Stadt
einst der Einwirkung von Adel und Geistlichkeit schon bei-
nahe entzogen gehabt, so geschah nun in Folge des Auf-
ruhrs, daß sie derselben aufs neue unterlag. Capitel
und Ritterschaft setzten sich bei weitem mehr als der Fürst
in Besitz der Gewalt; noch Bischof Franz sollte später
ihre mächtige Opposition erfahren. Es versteht sich gleich-
sam von selbst, daß bei diesem Gange der Dinge auch der
Katholicismus in aller seiner Strenge wiederhergestellt ward.

Indessen war auch über den gefangenen König und
seine Räthe, Knipperdolling und Krechting bereits Gericht

1 Bei Kersenbroik finden sich articuli de propugnaculo --
die in der deutschen Rückübersetzung nicht ganz richtig lauten. Z. B.
§. 4 "neque hic sine capituli et nobilitatis consensu inauctora-
bitur neque exauctorabitur;"
die Uebersetzung: er solle ohne Einwil-
ligung des Capitels weder ein noch abgesetzt werden.

Sechstes Buch. Neuntes Capitel.
Sieg verſchaffte, aber die Verwaltung des Reiches hatte bei
weitem nicht Energie genug, nun auch die Sache ſelbſt in
ihre Hand zu nehmen. Vielmehr benutzten Capitel und
Ritterſchaft die Gelegenheit, die bürgerliche Selbſtändigkeit
der Stadt, die ihnen längſt verhaßt geweſen, nunmehr voll-
ſtändig zu unterdrücken. Trotz jener Einrede ward doch
beſchloſſen, eine Feſtung in Münſter zu errichten und zwar
auf Koſten der Stadt ſelbſt: die Hälfte ihrer Einkünfte
ſollte dazu dienen; der Befehlshaber der Feſte ſollte aus der
einheimiſchen Ritterſchaft genommen, nur mit Einwilligung
von Capitel und Ritterſchaft ernannt werden, auch die-
ſen ſeinen Eid leiſten 1 und den Befehl führen, ſelbſt wenn
der Fürſt zugegen ſey. Auch der Rath der Stadt ſollte
von dem Fürſten in Zukunft mit Beirath des Capitels
und der Ritterſchaft ernannt werden. Hatte ſich die Stadt
einſt der Einwirkung von Adel und Geiſtlichkeit ſchon bei-
nahe entzogen gehabt, ſo geſchah nun in Folge des Auf-
ruhrs, daß ſie derſelben aufs neue unterlag. Capitel
und Ritterſchaft ſetzten ſich bei weitem mehr als der Fürſt
in Beſitz der Gewalt; noch Biſchof Franz ſollte ſpäter
ihre mächtige Oppoſition erfahren. Es verſteht ſich gleich-
ſam von ſelbſt, daß bei dieſem Gange der Dinge auch der
Katholicismus in aller ſeiner Strenge wiederhergeſtellt ward.

Indeſſen war auch über den gefangenen König und
ſeine Räthe, Knipperdolling und Krechting bereits Gericht

1 Bei Kerſenbroik finden ſich articuli de propugnaculo
die in der deutſchen Ruͤckuͤberſetzung nicht ganz richtig lauten. Z. B.
§. 4 „neque hic sine capituli et nobilitatis consensu inauctora-
bitur neque exauctorabitur;“
die Ueberſetzung: er ſolle ohne Einwil-
ligung des Capitels weder ein noch abgeſetzt werden.
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[560/0576] Sechstes Buch. Neuntes Capitel. Sieg verſchaffte, aber die Verwaltung des Reiches hatte bei weitem nicht Energie genug, nun auch die Sache ſelbſt in ihre Hand zu nehmen. Vielmehr benutzten Capitel und Ritterſchaft die Gelegenheit, die bürgerliche Selbſtändigkeit der Stadt, die ihnen längſt verhaßt geweſen, nunmehr voll- ſtändig zu unterdrücken. Trotz jener Einrede ward doch beſchloſſen, eine Feſtung in Münſter zu errichten und zwar auf Koſten der Stadt ſelbſt: die Hälfte ihrer Einkünfte ſollte dazu dienen; der Befehlshaber der Feſte ſollte aus der einheimiſchen Ritterſchaft genommen, nur mit Einwilligung von Capitel und Ritterſchaft ernannt werden, auch die- ſen ſeinen Eid leiſten 1 und den Befehl führen, ſelbſt wenn der Fürſt zugegen ſey. Auch der Rath der Stadt ſollte von dem Fürſten in Zukunft mit Beirath des Capitels und der Ritterſchaft ernannt werden. Hatte ſich die Stadt einſt der Einwirkung von Adel und Geiſtlichkeit ſchon bei- nahe entzogen gehabt, ſo geſchah nun in Folge des Auf- ruhrs, daß ſie derſelben aufs neue unterlag. Capitel und Ritterſchaft ſetzten ſich bei weitem mehr als der Fürſt in Beſitz der Gewalt; noch Biſchof Franz ſollte ſpäter ihre mächtige Oppoſition erfahren. Es verſteht ſich gleich- ſam von ſelbſt, daß bei dieſem Gange der Dinge auch der Katholicismus in aller ſeiner Strenge wiederhergeſtellt ward. Indeſſen war auch über den gefangenen König und ſeine Räthe, Knipperdolling und Krechting bereits Gericht 1 Bei Kerſenbroik finden ſich articuli de propugnaculo — die in der deutſchen Ruͤckuͤberſetzung nicht ganz richtig lauten. Z. B. §. 4 „neque hic sine capituli et nobilitatis consensu inauctora- bitur neque exauctorabitur;“ die Ueberſetzung: er ſolle ohne Einwil- ligung des Capitels weder ein noch abgeſetzt werden.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 560. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/576>, abgerufen am 24.05.2024.