Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite
Sechstes Buch. Neuntes Capitel.

Von allen Erscheinungen einer so ungeheuern Verir-
rung ist diese Vermischung von Frömmigkeit, Genußsucht
und Blutdurst die widerwärtigste; und wir müssen, wie
ungern auch immer, schon daran gehn, ihrer weiter zu
gedenken. Es war zu Münster ein Weib, das sich ge-
rühmt, kein Mann werde sie bändigen können; eben dieß
hatte den Jan von Leiden gereizt, sie unter der Zahl sei-
ner Weiber aufzunehmen; aber nach einiger Zeit war sie
seines Umgangs überdrüssig und gab ihm seine Geschenke
zurück. Der wiedertäuferische König hielt dieß für das
äußerste aller Verbrechen; führte sie selbst auf den Markt,
enthauptete sie da, und stieß den Leichnam mit den Füßen
von sich. Hierauf stimmten seine übrigen Weiber das Lied
an "Allein Gott in der Höh sey Ehr."

Nachdem alles gestürzt, umgearbeitet, die allgemeine
Gleichheit eingeführt ist, bleibt nichts übrig, als das Selbst-
gefühl des Schwärmers, dem Alle eine freiwillige Vereh-
rung widmen. In dem aber bilden geistlicher Hochmuth
und fleischliche Selbstsucht, Schwung und Rohheit eine selt-
same, man möchte sagen groteske Seelenmischung, die so
zu sagen als psychologisches Naturproduct merkwürdig ist.
Denn wo wäre noch an Freiheit zu denken, wo man sich
Trieben so verabscheuungswürdiger Art überlassen hat.

Wie contrastirt dieses Wesen so entsetzlich mit der
Unschuld, in der sich jene Gartenbrüder, die kleine Secte
in Salzburg, darstellen.

Und dennoch fesselte es die Menschen: man kämpfte
dafür mit äußerster Erbitterung.

Eine Friesländerin von Sneek, Hille Feike, die nach

Sechstes Buch. Neuntes Capitel.

Von allen Erſcheinungen einer ſo ungeheuern Verir-
rung iſt dieſe Vermiſchung von Frömmigkeit, Genußſucht
und Blutdurſt die widerwärtigſte; und wir müſſen, wie
ungern auch immer, ſchon daran gehn, ihrer weiter zu
gedenken. Es war zu Münſter ein Weib, das ſich ge-
rühmt, kein Mann werde ſie bändigen können; eben dieß
hatte den Jan von Leiden gereizt, ſie unter der Zahl ſei-
ner Weiber aufzunehmen; aber nach einiger Zeit war ſie
ſeines Umgangs überdrüſſig und gab ihm ſeine Geſchenke
zurück. Der wiedertäuferiſche König hielt dieß für das
äußerſte aller Verbrechen; führte ſie ſelbſt auf den Markt,
enthauptete ſie da, und ſtieß den Leichnam mit den Füßen
von ſich. Hierauf ſtimmten ſeine übrigen Weiber das Lied
an „Allein Gott in der Höh ſey Ehr.“

Nachdem alles geſtürzt, umgearbeitet, die allgemeine
Gleichheit eingeführt iſt, bleibt nichts übrig, als das Selbſt-
gefühl des Schwärmers, dem Alle eine freiwillige Vereh-
rung widmen. In dem aber bilden geiſtlicher Hochmuth
und fleiſchliche Selbſtſucht, Schwung und Rohheit eine ſelt-
ſame, man möchte ſagen groteske Seelenmiſchung, die ſo
zu ſagen als pſychologiſches Naturproduct merkwürdig iſt.
Denn wo wäre noch an Freiheit zu denken, wo man ſich
Trieben ſo verabſcheuungswürdiger Art überlaſſen hat.

Wie contraſtirt dieſes Weſen ſo entſetzlich mit der
Unſchuld, in der ſich jene Gartenbrüder, die kleine Secte
in Salzburg, darſtellen.

Und dennoch feſſelte es die Menſchen: man kämpfte
dafür mit äußerſter Erbitterung.

Eine Friesländerin von Sneek, Hille Feike, die nach

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0558" n="542"/>
            <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Sechstes Buch. Neuntes Capitel</hi>.</fw><lb/>
            <p>Von allen Er&#x017F;cheinungen einer &#x017F;o ungeheuern Verir-<lb/>
rung i&#x017F;t die&#x017F;e Vermi&#x017F;chung von Frömmigkeit, Genuß&#x017F;ucht<lb/>
und Blutdur&#x017F;t die widerwärtig&#x017F;te; und wir mü&#x017F;&#x017F;en, wie<lb/>
ungern auch immer, &#x017F;chon daran gehn, ihrer weiter zu<lb/>
gedenken. Es war zu Mün&#x017F;ter ein Weib, das &#x017F;ich ge-<lb/>
rühmt, kein Mann werde &#x017F;ie bändigen können; eben dieß<lb/>
hatte den Jan von Leiden gereizt, &#x017F;ie unter der Zahl &#x017F;ei-<lb/>
ner Weiber aufzunehmen; aber nach einiger Zeit war &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;eines Umgangs überdrü&#x017F;&#x017F;ig und gab ihm &#x017F;eine Ge&#x017F;chenke<lb/>
zurück. Der wiedertäuferi&#x017F;che König hielt dieß für das<lb/>
äußer&#x017F;te aller Verbrechen; führte &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t auf den Markt,<lb/>
enthauptete &#x017F;ie da, und &#x017F;tieß den Leichnam mit den Füßen<lb/>
von &#x017F;ich. Hierauf &#x017F;timmten &#x017F;eine übrigen Weiber das Lied<lb/>
an &#x201E;Allein Gott in der Höh &#x017F;ey Ehr.&#x201C;</p><lb/>
            <p>Nachdem alles ge&#x017F;türzt, umgearbeitet, die allgemeine<lb/>
Gleichheit eingeführt i&#x017F;t, bleibt nichts übrig, als das Selb&#x017F;t-<lb/>
gefühl des Schwärmers, dem Alle eine freiwillige Vereh-<lb/>
rung widmen. In dem aber bilden gei&#x017F;tlicher Hochmuth<lb/>
und flei&#x017F;chliche Selb&#x017F;t&#x017F;ucht, Schwung und Rohheit eine &#x017F;elt-<lb/>
&#x017F;ame, man möchte &#x017F;agen groteske Seelenmi&#x017F;chung, die &#x017F;o<lb/>
zu &#x017F;agen als p&#x017F;ychologi&#x017F;ches Naturproduct merkwürdig i&#x017F;t.<lb/>
Denn wo wäre noch an Freiheit zu denken, wo man &#x017F;ich<lb/>
Trieben &#x017F;o verab&#x017F;cheuungswürdiger Art überla&#x017F;&#x017F;en hat.</p><lb/>
            <p>Wie contra&#x017F;tirt die&#x017F;es We&#x017F;en &#x017F;o ent&#x017F;etzlich mit der<lb/>
Un&#x017F;chuld, in der &#x017F;ich jene Gartenbrüder, die kleine Secte<lb/>
in Salzburg, dar&#x017F;tellen.</p><lb/>
            <p>Und dennoch fe&#x017F;&#x017F;elte es die Men&#x017F;chen: man kämpfte<lb/>
dafür mit äußer&#x017F;ter Erbitterung.</p><lb/>
            <p>Eine Friesländerin von Sneek, Hille Feike, die nach<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[542/0558] Sechstes Buch. Neuntes Capitel. Von allen Erſcheinungen einer ſo ungeheuern Verir- rung iſt dieſe Vermiſchung von Frömmigkeit, Genußſucht und Blutdurſt die widerwärtigſte; und wir müſſen, wie ungern auch immer, ſchon daran gehn, ihrer weiter zu gedenken. Es war zu Münſter ein Weib, das ſich ge- rühmt, kein Mann werde ſie bändigen können; eben dieß hatte den Jan von Leiden gereizt, ſie unter der Zahl ſei- ner Weiber aufzunehmen; aber nach einiger Zeit war ſie ſeines Umgangs überdrüſſig und gab ihm ſeine Geſchenke zurück. Der wiedertäuferiſche König hielt dieß für das äußerſte aller Verbrechen; führte ſie ſelbſt auf den Markt, enthauptete ſie da, und ſtieß den Leichnam mit den Füßen von ſich. Hierauf ſtimmten ſeine übrigen Weiber das Lied an „Allein Gott in der Höh ſey Ehr.“ Nachdem alles geſtürzt, umgearbeitet, die allgemeine Gleichheit eingeführt iſt, bleibt nichts übrig, als das Selbſt- gefühl des Schwärmers, dem Alle eine freiwillige Vereh- rung widmen. In dem aber bilden geiſtlicher Hochmuth und fleiſchliche Selbſtſucht, Schwung und Rohheit eine ſelt- ſame, man möchte ſagen groteske Seelenmiſchung, die ſo zu ſagen als pſychologiſches Naturproduct merkwürdig iſt. Denn wo wäre noch an Freiheit zu denken, wo man ſich Trieben ſo verabſcheuungswürdiger Art überlaſſen hat. Wie contraſtirt dieſes Weſen ſo entſetzlich mit der Unſchuld, in der ſich jene Gartenbrüder, die kleine Secte in Salzburg, darſtellen. Und dennoch feſſelte es die Menſchen: man kämpfte dafür mit äußerſter Erbitterung. Eine Friesländerin von Sneek, Hille Feike, die nach

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/558
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 542. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/558>, abgerufen am 23.05.2024.