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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

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Abendmahl in Münster.
auf dessen Stuhl. Es war ihnen, wie man von den Wahn-
sinnigen sagt; ein tieferes Bewußtseyn von der Unwahr-
heit ihrer Einbildungen konnten sie nicht übermeistern.
Knipperdolling entzweite sich wohl einmal ernstlich mit dem
König: dann aber versöhnten sie sich wieder; Knipperdol-
ling that Buße, und alles kehrte in das Geleise des gläu-
bigen Gchorsams zurück. Im October 1534 feierte die
ganze Stadt das Abendmahl folgender Gestalt. Es waren
Tische aufgerichtet für alle erwachsene Frauen, deren bei
weitem mehr als der Männer waren, und für die Männer,
welche nicht auf der Mauer Wacht hielten, 4200 Gedecke;
Johann von Leiden und seine Gemalin Divara erschienen
mit ihrem Hofgesinde und dienten bei Tisch; ein förmli-
ches Mahl ward gehalten. Hierauf nahmen sie Weizen-
kuchen, genossen zuerst davon und gaben ihn den andern,
der König das Brod, die Königin den Wein "Bruder,
Schwester nimm hin: wie die Weizenkörnlein zusammen-
gebacken, und die Trauben zusammengedrückt, so sind auch
wir eins." Darauf sangen sie das Lied "allein Gott in
der Höh sey Ehr." 1 In der That, man könnte dieß re-
ligiös, unschuldig finden. Aber man höre. Bei diesem
Abendmahl nahm der König unter den Seinen einen Frem-
den wahr, der "kein hochzeitliches Kleid anhatte." Er
bildete sich ein, das sey der Judas, ließ ihn hinaus füh-
ren, ging selbst und enthauptete ihn; er glaubte einen Be-
fehl Gottes dazu in sich empfunden zu haben; um so fröh-
licher kam er zu dem Gelage zurück. 2


1 Neuste Zeitung von den Wiedertäuffern zu Münster 1535.
2 Dorpius "und gefiel im selbs so wol über diesen mord, das
er sein noch lachet."

Abendmahl in Muͤnſter.
auf deſſen Stuhl. Es war ihnen, wie man von den Wahn-
ſinnigen ſagt; ein tieferes Bewußtſeyn von der Unwahr-
heit ihrer Einbildungen konnten ſie nicht übermeiſtern.
Knipperdolling entzweite ſich wohl einmal ernſtlich mit dem
König: dann aber verſöhnten ſie ſich wieder; Knipperdol-
ling that Buße, und alles kehrte in das Geleiſe des gläu-
bigen Gchorſams zurück. Im October 1534 feierte die
ganze Stadt das Abendmahl folgender Geſtalt. Es waren
Tiſche aufgerichtet für alle erwachſene Frauen, deren bei
weitem mehr als der Männer waren, und für die Männer,
welche nicht auf der Mauer Wacht hielten, 4200 Gedecke;
Johann von Leiden und ſeine Gemalin Divara erſchienen
mit ihrem Hofgeſinde und dienten bei Tiſch; ein förmli-
ches Mahl ward gehalten. Hierauf nahmen ſie Weizen-
kuchen, genoſſen zuerſt davon und gaben ihn den andern,
der König das Brod, die Königin den Wein „Bruder,
Schweſter nimm hin: wie die Weizenkörnlein zuſammen-
gebacken, und die Trauben zuſammengedrückt, ſo ſind auch
wir eins.“ Darauf ſangen ſie das Lied „allein Gott in
der Höh ſey Ehr.“ 1 In der That, man könnte dieß re-
ligiös, unſchuldig finden. Aber man höre. Bei dieſem
Abendmahl nahm der König unter den Seinen einen Frem-
den wahr, der „kein hochzeitliches Kleid anhatte.“ Er
bildete ſich ein, das ſey der Judas, ließ ihn hinaus füh-
ren, ging ſelbſt und enthauptete ihn; er glaubte einen Be-
fehl Gottes dazu in ſich empfunden zu haben; um ſo fröh-
licher kam er zu dem Gelage zurück. 2


1 Neuſte Zeitung von den Wiedertaͤuffern zu Muͤnſter 1535.
2 Dorpius „und gefiel im ſelbs ſo wol uͤber dieſen mord, das
er ſein noch lachet.“
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[541/0557] Abendmahl in Muͤnſter. auf deſſen Stuhl. Es war ihnen, wie man von den Wahn- ſinnigen ſagt; ein tieferes Bewußtſeyn von der Unwahr- heit ihrer Einbildungen konnten ſie nicht übermeiſtern. Knipperdolling entzweite ſich wohl einmal ernſtlich mit dem König: dann aber verſöhnten ſie ſich wieder; Knipperdol- ling that Buße, und alles kehrte in das Geleiſe des gläu- bigen Gchorſams zurück. Im October 1534 feierte die ganze Stadt das Abendmahl folgender Geſtalt. Es waren Tiſche aufgerichtet für alle erwachſene Frauen, deren bei weitem mehr als der Männer waren, und für die Männer, welche nicht auf der Mauer Wacht hielten, 4200 Gedecke; Johann von Leiden und ſeine Gemalin Divara erſchienen mit ihrem Hofgeſinde und dienten bei Tiſch; ein förmli- ches Mahl ward gehalten. Hierauf nahmen ſie Weizen- kuchen, genoſſen zuerſt davon und gaben ihn den andern, der König das Brod, die Königin den Wein „Bruder, Schweſter nimm hin: wie die Weizenkörnlein zuſammen- gebacken, und die Trauben zuſammengedrückt, ſo ſind auch wir eins.“ Darauf ſangen ſie das Lied „allein Gott in der Höh ſey Ehr.“ 1 In der That, man könnte dieß re- ligiös, unſchuldig finden. Aber man höre. Bei dieſem Abendmahl nahm der König unter den Seinen einen Frem- den wahr, der „kein hochzeitliches Kleid anhatte.“ Er bildete ſich ein, das ſey der Judas, ließ ihn hinaus füh- ren, ging ſelbſt und enthauptete ihn; er glaubte einen Be- fehl Gottes dazu in ſich empfunden zu haben; um ſo fröh- licher kam er zu dem Gelage zurück. 2 1 Neuſte Zeitung von den Wiedertaͤuffern zu Muͤnſter 1535. 2 Dorpius „und gefiel im ſelbs ſo wol uͤber dieſen mord, das er ſein noch lachet.“

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 541. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/557>, abgerufen am 22.11.2024.