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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839.

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Ausbreitung der Lehre.
einsamer Waldung leben, in Baumrinde gekleidet, nur von
Wasser und Luft und Laub sich nähren, frei von Begierde,
Herrn ihrer Sinne, schon selig, eine sichere Zuflucht der Be-
drängten, 1 von denen wohl auch das Mönchthum des
Occidents eine Nachahmung war; aber wie so ganz hatte
es sich hier von seiner Idee entfernt! es nahm Antheil
an allen Bestrebungen, Entzweiungen, Verwirrungen der
Welt; zur Aufrechthaltung einer geistlich-weltlichen Herr-
schaft durch gleichgesinnte gleichwirkende Massen war es
angelegt; durch unfreie, häufig um eigennütziger Rücksich-
ten willen geleistete Gelübde ward es zusammengehalten,
denen man sich dann so viel irgend möglich entzog: so wie
die Gültigkeit dieser Gelübde, ihr religiöser Werth für der
Seelen Seligkeit zweifelhaft wurde, fiel alles auseinander;
ja aus dem Institut, auf welches die abendländische Kirche
vornehmlich gegründet war, giengen eben die rüstigsten Be-
kämpfer ihrer hierarchischen Entwickelung hervor.

Dieser allgemeinen Bewegung der Klostergeistlichkeit
traten nun allenthalben Weltgeistliche von hohem und nie-
derem Range zur Seite.

Unter den Bischöfen gab es wenigstens Einen, Polenz
von Samland, der sich offen für Luther erklärte, zuweilen
wohl selbst die Kanzel zu Königsberg bestieg, hauptsächlich
aber dafür sorgte, daß an vielen Orten seiner Diöces Pre-
diger dieser Gesinnung aufgestellt wurden. Luthern gieng
das Herz auf, indem er das wahrnahm: so eine ruhige
gesetzmäßige Umwandlung entsprach seinen Wünschen voll-
kommen. 2


1 Nalas: Zwölfter Gesang.
2 Lutheri Dedicatio in Deuteronomium: Reverendo -- Ge-

Ausbreitung der Lehre.
einſamer Waldung leben, in Baumrinde gekleidet, nur von
Waſſer und Luft und Laub ſich nähren, frei von Begierde,
Herrn ihrer Sinne, ſchon ſelig, eine ſichere Zuflucht der Be-
drängten, 1 von denen wohl auch das Mönchthum des
Occidents eine Nachahmung war; aber wie ſo ganz hatte
es ſich hier von ſeiner Idee entfernt! es nahm Antheil
an allen Beſtrebungen, Entzweiungen, Verwirrungen der
Welt; zur Aufrechthaltung einer geiſtlich-weltlichen Herr-
ſchaft durch gleichgeſinnte gleichwirkende Maſſen war es
angelegt; durch unfreie, häufig um eigennütziger Rückſich-
ten willen geleiſtete Gelübde ward es zuſammengehalten,
denen man ſich dann ſo viel irgend möglich entzog: ſo wie
die Gültigkeit dieſer Gelübde, ihr religiöſer Werth für der
Seelen Seligkeit zweifelhaft wurde, fiel alles auseinander;
ja aus dem Inſtitut, auf welches die abendländiſche Kirche
vornehmlich gegründet war, giengen eben die rüſtigſten Be-
kämpfer ihrer hierarchiſchen Entwickelung hervor.

Dieſer allgemeinen Bewegung der Kloſtergeiſtlichkeit
traten nun allenthalben Weltgeiſtliche von hohem und nie-
derem Range zur Seite.

Unter den Biſchöfen gab es wenigſtens Einen, Polenz
von Samland, der ſich offen für Luther erklärte, zuweilen
wohl ſelbſt die Kanzel zu Königsberg beſtieg, hauptſächlich
aber dafür ſorgte, daß an vielen Orten ſeiner Diöces Pre-
diger dieſer Geſinnung aufgeſtellt wurden. Luthern gieng
das Herz auf, indem er das wahrnahm: ſo eine ruhige
geſetzmäßige Umwandlung entſprach ſeinen Wünſchen voll-
kommen. 2


1 Nalas: Zwoͤlfter Geſang.
2 Lutheri Dedicatio in Deuteronomium: Reverendo — Ge-
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[71/0081] Ausbreitung der Lehre. einſamer Waldung leben, in Baumrinde gekleidet, nur von Waſſer und Luft und Laub ſich nähren, frei von Begierde, Herrn ihrer Sinne, ſchon ſelig, eine ſichere Zuflucht der Be- drängten, 1 von denen wohl auch das Mönchthum des Occidents eine Nachahmung war; aber wie ſo ganz hatte es ſich hier von ſeiner Idee entfernt! es nahm Antheil an allen Beſtrebungen, Entzweiungen, Verwirrungen der Welt; zur Aufrechthaltung einer geiſtlich-weltlichen Herr- ſchaft durch gleichgeſinnte gleichwirkende Maſſen war es angelegt; durch unfreie, häufig um eigennütziger Rückſich- ten willen geleiſtete Gelübde ward es zuſammengehalten, denen man ſich dann ſo viel irgend möglich entzog: ſo wie die Gültigkeit dieſer Gelübde, ihr religiöſer Werth für der Seelen Seligkeit zweifelhaft wurde, fiel alles auseinander; ja aus dem Inſtitut, auf welches die abendländiſche Kirche vornehmlich gegründet war, giengen eben die rüſtigſten Be- kämpfer ihrer hierarchiſchen Entwickelung hervor. Dieſer allgemeinen Bewegung der Kloſtergeiſtlichkeit traten nun allenthalben Weltgeiſtliche von hohem und nie- derem Range zur Seite. Unter den Biſchöfen gab es wenigſtens Einen, Polenz von Samland, der ſich offen für Luther erklärte, zuweilen wohl ſelbſt die Kanzel zu Königsberg beſtieg, hauptſächlich aber dafür ſorgte, daß an vielen Orten ſeiner Diöces Pre- diger dieſer Geſinnung aufgeſtellt wurden. Luthern gieng das Herz auf, indem er das wahrnahm: ſo eine ruhige geſetzmäßige Umwandlung entſprach ſeinen Wünſchen voll- kommen. 2 1 Nalas: Zwoͤlfter Geſang. 2 Lutheri Dedicatio in Deuteronomium: Reverendo — Ge-

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/81>, abgerufen am 24.11.2024.