war es nun in allen Orden. Nicht selten wurden die Obern am lebendigsten ergriffen: wie jene Prioren der Augu- stiner und Carmeliterconvente, so unter andern der Propst am Johanniskloster zu Halberstadt, Eberhard Widensee, und durch dessen Einfluß die Pröpste zu Neuenwerk, Gottes- Gnaden, zu St. Moritz zu Halle, der Abt Paulus Lem- berg zu Sagan, der sich wohl vernehmen ließ, einen Mönch der sich durch sein Bleiben im Gewissen beschwert fühle, würde er statt ihn zurückzuhalten, lieber auf seinen Schul- tern aus dem Kloster tragen. 1
Bei näherer Betrachtung finde ich doch nicht, daß Weltlust, unordentliche Begierde sich dem Klosterzwange zu entziehen hier viel gewirkt habe, wenigstens bei den Be- deutenderen nicht, deren Motive die Zeitgenossen aufbe- wahrt haben: da ist es immer eine tiefere Überzeugung, sey es daß sie sich allmählig entwickelt, oder daß sie auch plötz- lich, etwa beim Anblick einer schlagenden Bibelstelle ent- springt; -- Viele giengen nicht von selbst, sie wurden ver- jagt; Andern, an und für sich friedfertigen Gemüthern, ver- leideten doch die entstehenden Zwistigkeiten den Aufenthalt in den engen Mauern; die Bettelmönche ekelte selbst vor ihrem Gewerbe: einen Franciscaner, der mit seiner Büchse in eine Schmiede zu Nürnberg tritt, fragt der Meister, warum er sich nicht lieber sein Brod mit seiner Hände Arbeit verdiene: der starke Mensch wirft den Habit von sich und tritt als Schmiedeknecht an, Kutte und Büchse schickt man an sein Kloster.
Wer erinnert sich nicht der indischen Büßer, die in
1Catalogus Abbatum Saganensium in Stentzel Scriptt. Rer. Siles. I, p. 457.
Drittes Buch. Drittes Capitel.
war es nun in allen Orden. Nicht ſelten wurden die Obern am lebendigſten ergriffen: wie jene Prioren der Augu- ſtiner und Carmeliterconvente, ſo unter andern der Propſt am Johanniskloſter zu Halberſtadt, Eberhard Widenſee, und durch deſſen Einfluß die Pröpſte zu Neuenwerk, Gottes- Gnaden, zu St. Moritz zu Halle, der Abt Paulus Lem- berg zu Sagan, der ſich wohl vernehmen ließ, einen Mönch der ſich durch ſein Bleiben im Gewiſſen beſchwert fühle, würde er ſtatt ihn zurückzuhalten, lieber auf ſeinen Schul- tern aus dem Kloſter tragen. 1
Bei näherer Betrachtung finde ich doch nicht, daß Weltluſt, unordentliche Begierde ſich dem Kloſterzwange zu entziehen hier viel gewirkt habe, wenigſtens bei den Be- deutenderen nicht, deren Motive die Zeitgenoſſen aufbe- wahrt haben: da iſt es immer eine tiefere Überzeugung, ſey es daß ſie ſich allmählig entwickelt, oder daß ſie auch plötz- lich, etwa beim Anblick einer ſchlagenden Bibelſtelle ent- ſpringt; — Viele giengen nicht von ſelbſt, ſie wurden ver- jagt; Andern, an und für ſich friedfertigen Gemüthern, ver- leideten doch die entſtehenden Zwiſtigkeiten den Aufenthalt in den engen Mauern; die Bettelmönche ekelte ſelbſt vor ihrem Gewerbe: einen Franciscaner, der mit ſeiner Büchſe in eine Schmiede zu Nürnberg tritt, fragt der Meiſter, warum er ſich nicht lieber ſein Brod mit ſeiner Hände Arbeit verdiene: der ſtarke Menſch wirft den Habit von ſich und tritt als Schmiedeknecht an, Kutte und Büchſe ſchickt man an ſein Kloſter.
Wer erinnert ſich nicht der indiſchen Büßer, die in
1Catalogus Abbatum Saganensium in Stentzel Scriptt. Rer. Siles. I, p. 457.
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Drittes Buch. Drittes Capitel.
war es nun in allen Orden. Nicht ſelten wurden die
Obern am lebendigſten ergriffen: wie jene Prioren der Augu-
ſtiner und Carmeliterconvente, ſo unter andern der Propſt
am Johanniskloſter zu Halberſtadt, Eberhard Widenſee, und
durch deſſen Einfluß die Pröpſte zu Neuenwerk, Gottes-
Gnaden, zu St. Moritz zu Halle, der Abt Paulus Lem-
berg zu Sagan, der ſich wohl vernehmen ließ, einen Mönch
der ſich durch ſein Bleiben im Gewiſſen beſchwert fühle,
würde er ſtatt ihn zurückzuhalten, lieber auf ſeinen Schul-
tern aus dem Kloſter tragen. 1
Bei näherer Betrachtung finde ich doch nicht, daß
Weltluſt, unordentliche Begierde ſich dem Kloſterzwange
zu entziehen hier viel gewirkt habe, wenigſtens bei den Be-
deutenderen nicht, deren Motive die Zeitgenoſſen aufbe-
wahrt haben: da iſt es immer eine tiefere Überzeugung, ſey
es daß ſie ſich allmählig entwickelt, oder daß ſie auch plötz-
lich, etwa beim Anblick einer ſchlagenden Bibelſtelle ent-
ſpringt; — Viele giengen nicht von ſelbſt, ſie wurden ver-
jagt; Andern, an und für ſich friedfertigen Gemüthern, ver-
leideten doch die entſtehenden Zwiſtigkeiten den Aufenthalt
in den engen Mauern; die Bettelmönche ekelte ſelbſt vor
ihrem Gewerbe: einen Franciscaner, der mit ſeiner Büchſe
in eine Schmiede zu Nürnberg tritt, fragt der Meiſter,
warum er ſich nicht lieber ſein Brod mit ſeiner Hände
Arbeit verdiene: der ſtarke Menſch wirft den Habit von
ſich und tritt als Schmiedeknecht an, Kutte und Büchſe
ſchickt man an ſein Kloſter.
Wer erinnert ſich nicht der indiſchen Büßer, die in
1 Catalogus Abbatum Saganensium in Stentzel Scriptt.
Rer. Siles. I, p. 457.
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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/80>, abgerufen am 16.02.2025.
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