gang April versammelte er seine Ritter und Getreuen von den Städten in Alsfeld; auf seine Frage betheuerten sie ihm mit aufgereckten Fingern, bei ihm leben und sterben zu wollen. Vor allem suchte er nun seine eignen Grenzen zu schützen: er beruhigte Hersfeld und Fulda, und zwar nicht ohne Gewaltthat, obwohl sie die Sage mythisch vergrö- ßert hat; dann stieg er über das Gebirg nach Thüringen, um hier seinen sächsischen Vettern, mit denen er in alter Erbeinigung stand, zu Hülfe zu kommen. 1
Hier war in dem Augenblick, als sich diese Stürme am gewaltigsten erhoben, der Churfürst Friedrich gestorben. Wie contrastirt mit der ungestümen Kampfeswuth, welche Deutschland erfüllte, das stille Zimmer zu Lochau, wo Frie- drich, gefaßt in seinen peinlichen Schmerzen, den Tod er- wartete. "Ihr thut Recht," sagte er zu seinem Prediger und Secretär Spalatin, der sich nach langem Bedenken das Herz gefaßt hatte, sich bei ihm melden zu lassen, "daß ihr zu mir kommt, denn Kranke soll man besuchen," ließ den niedrigen Sessel auf dem er saß an den Tisch rollen, legte seine Hand in die Hand dieses Vertrauten seiner letzten Jahre, und sprach noch einmal mit ihm von den Dingen der Welt, von dem Bauernaufruhr, von Dr Luther, und von seinem nahen Heimgang. Er war seinen armen Leu- ten immer ein milder Herr gewesen: auch jetzt ermahnte er seinen Bruder, vorsichtig und nachgiebig zu Werke zu gehn; 2 vor der Gefahr daß die Bauern Herrn werden möch-
1 Haarer. Warhafftige Beschreibung des Bawernkriegs c. 49 in Göbels Beiträgen p. 139. Rommel I, 108.
2 Seine Briefe vom 14 April, 4 Mai bei Walch L. W. XVI, p. 140.
Drittes Buch. Sechstes Capitel.
gang April verſammelte er ſeine Ritter und Getreuen von den Städten in Alsfeld; auf ſeine Frage betheuerten ſie ihm mit aufgereckten Fingern, bei ihm leben und ſterben zu wollen. Vor allem ſuchte er nun ſeine eignen Grenzen zu ſchützen: er beruhigte Hersfeld und Fulda, und zwar nicht ohne Gewaltthat, obwohl ſie die Sage mythiſch vergrö- ßert hat; dann ſtieg er über das Gebirg nach Thüringen, um hier ſeinen ſächſiſchen Vettern, mit denen er in alter Erbeinigung ſtand, zu Hülfe zu kommen. 1
Hier war in dem Augenblick, als ſich dieſe Stürme am gewaltigſten erhoben, der Churfürſt Friedrich geſtorben. Wie contraſtirt mit der ungeſtümen Kampfeswuth, welche Deutſchland erfüllte, das ſtille Zimmer zu Lochau, wo Frie- drich, gefaßt in ſeinen peinlichen Schmerzen, den Tod er- wartete. „Ihr thut Recht,“ ſagte er zu ſeinem Prediger und Secretär Spalatin, der ſich nach langem Bedenken das Herz gefaßt hatte, ſich bei ihm melden zu laſſen, „daß ihr zu mir kommt, denn Kranke ſoll man beſuchen,“ ließ den niedrigen Seſſel auf dem er ſaß an den Tiſch rollen, legte ſeine Hand in die Hand dieſes Vertrauten ſeiner letzten Jahre, und ſprach noch einmal mit ihm von den Dingen der Welt, von dem Bauernaufruhr, von Dr Luther, und von ſeinem nahen Heimgang. Er war ſeinen armen Leu- ten immer ein milder Herr geweſen: auch jetzt ermahnte er ſeinen Bruder, vorſichtig und nachgiebig zu Werke zu gehn; 2 vor der Gefahr daß die Bauern Herrn werden möch-
1 Haarer. Warhafftige Beſchreibung des Bawernkriegs c. 49 in Goͤbels Beitraͤgen p. 139. Rommel I, 108.
2 Seine Briefe vom 14 April, 4 Mai bei Walch L. W. XVI, p. 140.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0224"n="214"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Drittes Buch. Sechstes Capitel</hi>.</fw><lb/>
gang April verſammelte er ſeine Ritter und Getreuen von<lb/>
den Städten in Alsfeld; auf ſeine Frage betheuerten ſie<lb/>
ihm mit aufgereckten Fingern, bei ihm leben und ſterben zu<lb/>
wollen. Vor allem ſuchte er nun ſeine eignen Grenzen zu<lb/>ſchützen: er beruhigte Hersfeld und Fulda, und zwar nicht<lb/>
ohne Gewaltthat, obwohl ſie die Sage mythiſch vergrö-<lb/>
ßert hat; dann ſtieg er über das Gebirg nach Thüringen,<lb/>
um hier ſeinen ſächſiſchen Vettern, mit denen er in alter<lb/>
Erbeinigung ſtand, zu Hülfe zu kommen. <noteplace="foot"n="1">Haarer. Warhafftige Beſchreibung des Bawernkriegs <hirendition="#aq">c.</hi> 49<lb/>
in Goͤbels Beitraͤgen <hirendition="#aq">p.</hi> 139. Rommel <hirendition="#aq">I,</hi> 108.</note></p><lb/><p>Hier war in dem Augenblick, als ſich dieſe Stürme<lb/>
am gewaltigſten erhoben, der Churfürſt Friedrich geſtorben.<lb/>
Wie contraſtirt mit der ungeſtümen Kampfeswuth, welche<lb/>
Deutſchland erfüllte, das ſtille Zimmer zu Lochau, wo Frie-<lb/>
drich, gefaßt in ſeinen peinlichen Schmerzen, den Tod er-<lb/>
wartete. „Ihr thut Recht,“ſagte er zu ſeinem Prediger und<lb/>
Secretär Spalatin, der ſich nach langem Bedenken das<lb/>
Herz gefaßt hatte, ſich bei ihm melden zu laſſen, „daß ihr<lb/>
zu mir kommt, denn Kranke ſoll man beſuchen,“ ließ den<lb/>
niedrigen Seſſel auf dem er ſaß an den Tiſch rollen, legte<lb/>ſeine Hand in die Hand dieſes Vertrauten ſeiner letzten<lb/>
Jahre, und ſprach noch einmal mit ihm von den Dingen<lb/>
der Welt, von dem Bauernaufruhr, von Dr Luther, und<lb/>
von ſeinem nahen Heimgang. Er war ſeinen armen Leu-<lb/>
ten immer ein milder Herr geweſen: auch jetzt ermahnte<lb/>
er ſeinen Bruder, vorſichtig und nachgiebig zu Werke zu<lb/>
gehn; <noteplace="foot"n="2">Seine Briefe vom 14 April, 4 Mai bei Walch L. W.<lb/><hirendition="#aq">XVI, p.</hi> 140.</note> vor der Gefahr daß die Bauern Herrn werden möch-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[214/0224]
Drittes Buch. Sechstes Capitel.
gang April verſammelte er ſeine Ritter und Getreuen von
den Städten in Alsfeld; auf ſeine Frage betheuerten ſie
ihm mit aufgereckten Fingern, bei ihm leben und ſterben zu
wollen. Vor allem ſuchte er nun ſeine eignen Grenzen zu
ſchützen: er beruhigte Hersfeld und Fulda, und zwar nicht
ohne Gewaltthat, obwohl ſie die Sage mythiſch vergrö-
ßert hat; dann ſtieg er über das Gebirg nach Thüringen,
um hier ſeinen ſächſiſchen Vettern, mit denen er in alter
Erbeinigung ſtand, zu Hülfe zu kommen. 1
Hier war in dem Augenblick, als ſich dieſe Stürme
am gewaltigſten erhoben, der Churfürſt Friedrich geſtorben.
Wie contraſtirt mit der ungeſtümen Kampfeswuth, welche
Deutſchland erfüllte, das ſtille Zimmer zu Lochau, wo Frie-
drich, gefaßt in ſeinen peinlichen Schmerzen, den Tod er-
wartete. „Ihr thut Recht,“ ſagte er zu ſeinem Prediger und
Secretär Spalatin, der ſich nach langem Bedenken das
Herz gefaßt hatte, ſich bei ihm melden zu laſſen, „daß ihr
zu mir kommt, denn Kranke ſoll man beſuchen,“ ließ den
niedrigen Seſſel auf dem er ſaß an den Tiſch rollen, legte
ſeine Hand in die Hand dieſes Vertrauten ſeiner letzten
Jahre, und ſprach noch einmal mit ihm von den Dingen
der Welt, von dem Bauernaufruhr, von Dr Luther, und
von ſeinem nahen Heimgang. Er war ſeinen armen Leu-
ten immer ein milder Herr geweſen: auch jetzt ermahnte
er ſeinen Bruder, vorſichtig und nachgiebig zu Werke zu
gehn; 2 vor der Gefahr daß die Bauern Herrn werden möch-
1 Haarer. Warhafftige Beſchreibung des Bawernkriegs c. 49
in Goͤbels Beitraͤgen p. 139. Rommel I, 108.
2 Seine Briefe vom 14 April, 4 Mai bei Walch L. W.
XVI, p. 140.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/224>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.