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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839.

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Drittes Buch. Sechstes Capitel.
Wien und Neustadt sprachen die Hauerknechte in den Wein-
bergen von einer Verbindung, die es ihnen möglich mache,
binnen wenigen Stunden bei zehntausend Mann ins Feld
zu stellen. 1

Indessen war der Aufruhr auch in Thüringen losgebro-
chen, und da in ein neues Stadium seiner Entwickelung
getreten.

Es sollte fast scheinen, als hätten in Thüringen und
am Harz Überlieferungen des flagellantischen Spiritualis-
mus, dessen Spuren wir dort noch bis ans Ende des funf-
zehnten Jahrhunderts begleiten, 2 den Boden für die bäuri-
schen Unruhen vorbereitet. Wenigstens waren hier die Mo-
tive religiöser Schwärmerei noch stärker als die politischen.
Jene Meinungen, welche Luther einst in Wittenberg be-
siegt, gegen deren Festsetzung in Thüringen er seinen Fürsten
gewarnt, fanden jetzt Gehör bei einer großen aufgeregten Po-
pulation. Münzer war nach Thüringen zurückgekehrt: in
Mühlhausen, wo wie in Rothenburg durch das Einver-
ständniß des Landvolkes und der geringeren Bürgerclasse
eine Änderung der Verfassung und des Rathes herbeige-
führt worden war, hatte er Aufnahme gefunden, und die
Gährung in weiten Kreisen um sich her verbreitet. Er ver-

1 Schreiben von Hofrath und Renntkammer bei Bucholtz VIII.
p.
88.
2 Nach Johann Lindners Onomasticon (bei Mencken II, p.
1521) war diese Secte besonders in Aschersleben und Sangerhau-
sen im Gange. Nach einem Document welches Förstemann in den
Provincialblättern für Sachsen mittheilt (1838 nr. 232) finden wir
noch eine Inquisition auf dem Schlosse Hoym gegen einen Geißler
im J. 1481. Ein Anschließungspunct möchte seyn, daß auch jene
ihren Prediger als Propheten behandelten, in ihm den Richter am
jüngsten Tage zu sehen meinten. Doch ist freilich alles metamorphosirt.

Drittes Buch. Sechstes Capitel.
Wien und Neuſtadt ſprachen die Hauerknechte in den Wein-
bergen von einer Verbindung, die es ihnen möglich mache,
binnen wenigen Stunden bei zehntauſend Mann ins Feld
zu ſtellen. 1

Indeſſen war der Aufruhr auch in Thüringen losgebro-
chen, und da in ein neues Stadium ſeiner Entwickelung
getreten.

Es ſollte faſt ſcheinen, als hätten in Thüringen und
am Harz Überlieferungen des flagellantiſchen Spiritualis-
mus, deſſen Spuren wir dort noch bis ans Ende des funf-
zehnten Jahrhunderts begleiten, 2 den Boden für die bäuri-
ſchen Unruhen vorbereitet. Wenigſtens waren hier die Mo-
tive religiöſer Schwärmerei noch ſtärker als die politiſchen.
Jene Meinungen, welche Luther einſt in Wittenberg be-
ſiegt, gegen deren Feſtſetzung in Thüringen er ſeinen Fürſten
gewarnt, fanden jetzt Gehör bei einer großen aufgeregten Po-
pulation. Münzer war nach Thüringen zurückgekehrt: in
Mühlhauſen, wo wie in Rothenburg durch das Einver-
ſtändniß des Landvolkes und der geringeren Bürgerclaſſe
eine Änderung der Verfaſſung und des Rathes herbeige-
führt worden war, hatte er Aufnahme gefunden, und die
Gährung in weiten Kreiſen um ſich her verbreitet. Er ver-

1 Schreiben von Hofrath und Renntkammer bei Bucholtz VIII.
p.
88.
2 Nach Johann Lindners Onomaſticon (bei Mencken II, p.
1521) war dieſe Secte beſonders in Aſchersleben und Sangerhau-
ſen im Gange. Nach einem Document welches Foͤrſtemann in den
Provincialblaͤttern fuͤr Sachſen mittheilt (1838 nr. 232) finden wir
noch eine Inquiſition auf dem Schloſſe Hoym gegen einen Geißler
im J. 1481. Ein Anſchließungspunct moͤchte ſeyn, daß auch jene
ihren Prediger als Propheten behandelten, in ihm den Richter am
juͤngſten Tage zu ſehen meinten. Doch iſt freilich alles metamorphoſirt.
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[206/0216] Drittes Buch. Sechstes Capitel. Wien und Neuſtadt ſprachen die Hauerknechte in den Wein- bergen von einer Verbindung, die es ihnen möglich mache, binnen wenigen Stunden bei zehntauſend Mann ins Feld zu ſtellen. 1 Indeſſen war der Aufruhr auch in Thüringen losgebro- chen, und da in ein neues Stadium ſeiner Entwickelung getreten. Es ſollte faſt ſcheinen, als hätten in Thüringen und am Harz Überlieferungen des flagellantiſchen Spiritualis- mus, deſſen Spuren wir dort noch bis ans Ende des funf- zehnten Jahrhunderts begleiten, 2 den Boden für die bäuri- ſchen Unruhen vorbereitet. Wenigſtens waren hier die Mo- tive religiöſer Schwärmerei noch ſtärker als die politiſchen. Jene Meinungen, welche Luther einſt in Wittenberg be- ſiegt, gegen deren Feſtſetzung in Thüringen er ſeinen Fürſten gewarnt, fanden jetzt Gehör bei einer großen aufgeregten Po- pulation. Münzer war nach Thüringen zurückgekehrt: in Mühlhauſen, wo wie in Rothenburg durch das Einver- ſtändniß des Landvolkes und der geringeren Bürgerclaſſe eine Änderung der Verfaſſung und des Rathes herbeige- führt worden war, hatte er Aufnahme gefunden, und die Gährung in weiten Kreiſen um ſich her verbreitet. Er ver- 1 Schreiben von Hofrath und Renntkammer bei Bucholtz VIII. p. 88. 2 Nach Johann Lindners Onomaſticon (bei Mencken II, p. 1521) war dieſe Secte beſonders in Aſchersleben und Sangerhau- ſen im Gange. Nach einem Document welches Foͤrſtemann in den Provincialblaͤttern fuͤr Sachſen mittheilt (1838 nr. 232) finden wir noch eine Inquiſition auf dem Schloſſe Hoym gegen einen Geißler im J. 1481. Ein Anſchließungspunct moͤchte ſeyn, daß auch jene ihren Prediger als Propheten behandelten, in ihm den Richter am juͤngſten Tage zu ſehen meinten. Doch iſt freilich alles metamorphoſirt.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/216>, abgerufen am 25.11.2024.