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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839.

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Drittes Buch. Fünftes Capitel.
waren, an ungewohnter Richtstatt, auf einer Wiese vor der
Stadt, im Nonnthal, eines Morgens früh heimlich ent-
haupten. Selbst der Scharfrichter hatte ein Bedenken,
weil die Verurtheilten nicht rechtlich überwunden seyen:
der Beamte des Bischofs sagte: "Thu was ich dich heiße
und laß es den Fürsten verantworten." 1

In Wien war ein Bürgersmann, Caspar Tauber,
der über die Fürbitte der Heiligen, das Fegfeuer, die
Beichte und das Geheimniß des Abendmahls unkatholische
Meinungen geäußert, zum Widerruf verurtheilt worden:
an einem hohen Festtag, Mariä Geburt, wurden zu dem
Ende auf dem Kirchhof bei St. Stephan zwei Kanzeln
errichtet, die eine für den Chormeister, die andre für Tau-
ber, dem man die Formel des Widerrufs einhändigte, die
er ablesen sollte. Aber sey es nun, daß er das niemals
versprochen, oder daß sich jetzt eine entgegengesetzte stärkere
Überzeugung plötzlich in ihm hervordrängte: als er die
Kanzel bestiegen, und alles Volk den Widerruf erwartete,
erklärte er, daß er sich für unwiderlegt halte, und appellirte
an das heil. Röm. Reich. Er konnte wohl wissen, daß
ihm dieß nichts helfen werde, er ist kurz darauf enthaup-
tet, seine Leiche verbrannt worden; aber sein Muth, seine
Beständigkeit hinterließen einen unauslöschlichen Eindruck. 2

Noch einige andere waren mit Tauber gefangen worden:
durch sein Beispiel geschreckt leisteten sie den Widerruf, den
man ihnen auflegte, und kamen mit Verbannung davon. 3


1 Zauner IV, 381.
2 Eyn warhafstig geschicht, wie Caspar Tawber Burger zu
Wien in Osterreich für ein Ketzer und zu dem Todt verurtaylt und
außgefürt worden ist. 1524. (Die Hinrichtung am 17ten Sept.)
3 Sententia contra Joannem Vaesel, -- einer dieser Verur-

Drittes Buch. Fuͤnftes Capitel.
waren, an ungewohnter Richtſtatt, auf einer Wieſe vor der
Stadt, im Nonnthal, eines Morgens früh heimlich ent-
haupten. Selbſt der Scharfrichter hatte ein Bedenken,
weil die Verurtheilten nicht rechtlich überwunden ſeyen:
der Beamte des Biſchofs ſagte: „Thu was ich dich heiße
und laß es den Fürſten verantworten.“ 1

In Wien war ein Bürgersmann, Caspar Tauber,
der über die Fürbitte der Heiligen, das Fegfeuer, die
Beichte und das Geheimniß des Abendmahls unkatholiſche
Meinungen geäußert, zum Widerruf verurtheilt worden:
an einem hohen Feſttag, Mariä Geburt, wurden zu dem
Ende auf dem Kirchhof bei St. Stephan zwei Kanzeln
errichtet, die eine für den Chormeiſter, die andre für Tau-
ber, dem man die Formel des Widerrufs einhändigte, die
er ableſen ſollte. Aber ſey es nun, daß er das niemals
verſprochen, oder daß ſich jetzt eine entgegengeſetzte ſtärkere
Überzeugung plötzlich in ihm hervordrängte: als er die
Kanzel beſtiegen, und alles Volk den Widerruf erwartete,
erklärte er, daß er ſich für unwiderlegt halte, und appellirte
an das heil. Röm. Reich. Er konnte wohl wiſſen, daß
ihm dieß nichts helfen werde, er iſt kurz darauf enthaup-
tet, ſeine Leiche verbrannt worden; aber ſein Muth, ſeine
Beſtändigkeit hinterließen einen unauslöſchlichen Eindruck. 2

Noch einige andere waren mit Tauber gefangen worden:
durch ſein Beiſpiel geſchreckt leiſteten ſie den Widerruf, den
man ihnen auflegte, und kamen mit Verbannung davon. 3


1 Zauner IV, 381.
2 Eyn warhafſtig geſchicht, wie Caspar Tawber Burger zu
Wien in Oſterreich fuͤr ein Ketzer und zu dem Todt verurtaylt und
außgefuͤrt worden iſt. 1524. (Die Hinrichtung am 17ten Sept.)
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[172/0182] Drittes Buch. Fuͤnftes Capitel. waren, an ungewohnter Richtſtatt, auf einer Wieſe vor der Stadt, im Nonnthal, eines Morgens früh heimlich ent- haupten. Selbſt der Scharfrichter hatte ein Bedenken, weil die Verurtheilten nicht rechtlich überwunden ſeyen: der Beamte des Biſchofs ſagte: „Thu was ich dich heiße und laß es den Fürſten verantworten.“ 1 In Wien war ein Bürgersmann, Caspar Tauber, der über die Fürbitte der Heiligen, das Fegfeuer, die Beichte und das Geheimniß des Abendmahls unkatholiſche Meinungen geäußert, zum Widerruf verurtheilt worden: an einem hohen Feſttag, Mariä Geburt, wurden zu dem Ende auf dem Kirchhof bei St. Stephan zwei Kanzeln errichtet, die eine für den Chormeiſter, die andre für Tau- ber, dem man die Formel des Widerrufs einhändigte, die er ableſen ſollte. Aber ſey es nun, daß er das niemals verſprochen, oder daß ſich jetzt eine entgegengeſetzte ſtärkere Überzeugung plötzlich in ihm hervordrängte: als er die Kanzel beſtiegen, und alles Volk den Widerruf erwartete, erklärte er, daß er ſich für unwiderlegt halte, und appellirte an das heil. Röm. Reich. Er konnte wohl wiſſen, daß ihm dieß nichts helfen werde, er iſt kurz darauf enthaup- tet, ſeine Leiche verbrannt worden; aber ſein Muth, ſeine Beſtändigkeit hinterließen einen unauslöſchlichen Eindruck. 2 Noch einige andere waren mit Tauber gefangen worden: durch ſein Beiſpiel geſchreckt leiſteten ſie den Widerruf, den man ihnen auflegte, und kamen mit Verbannung davon. 3 1 Zauner IV, 381. 2 Eyn warhafſtig geſchicht, wie Caspar Tawber Burger zu Wien in Oſterreich fuͤr ein Ketzer und zu dem Todt verurtaylt und außgefuͤrt worden iſt. 1524. (Die Hinrichtung am 17ten Sept.) 3 Sententia contra Joannem Vaesel, — einer dieſer Verur-

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/182>, abgerufen am 26.11.2024.