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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839.

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Drittes Buch. Drittes Capitel.
alleinseligmachende christliche Kirche erscheine: man findet
es anstößig zu sagen, die heilige Kirche befehle etwas oder
besitze etwas: dieses geistliche Institut, das durch die Ver-
werflichkeit seines Verhaltens die Idee Lügen straft auf die
es gegründet ist, unterscheidet man von dem geheimnißvol-
len Daseyn der seligen Gemeinschaft, die nicht äußerlich er-
scheint, an die man nach den Worten des Symbols nur
glaubt, und die allerdings Himmel und Erde vereinigt,
jedoch ohne den Papst. 1 "Es sey ferne," sagte der Pastor
Schmidt zu Küßnacht in einer Predigt, die vielen Ein-
druck machte, "daß die christliche Kirche ein so beflecktes,
sündenvolles Oberhaupt anerkenne wie der Papst ist, und
von Christus sich abwende, der von dem h. Paulus so
oft das Oberhaupt der Kirche genannt wird." 2

Damit hängt es zusammen, daß man dem Zwange,
alle seine Sünden zu beichten, jede insonderheit, der zu so
viel Greueln des Beichtstuhls, zu so viel Gewaltsamkeiten
einer starren und herrschsüchtigen Rechtgläubigkeit Anlaß
gab und Anlaß giebt, die an keine priesterliche Vermitte-
lung gebundene Verheißung des Nachtmahls entgegensetzte.
Mit der Gewißheit der realen Gegenwart bestreitet man die
Willkühr welche die Priester bei der Absolution ausüben;
man widerräth sogar das lange Durchdenken einzelner Sün-
den, das nur erneuerten Kitzel oder Verzweiflung hervor-
bringe, und fordert nichts als ein getrostes, fröhliches und

1 Ain sermon oder predig von der christlichen kirchen welches
doch sey die hailig christlich kirche, davon unser glaub sagt: gepredi-
get zu Ulm von Bruder Heinrich von Kettenbach. 1522.
2 Myconius ad Zwinglium. Epp. Zw. p. 195.

Drittes Buch. Drittes Capitel.
alleinſeligmachende chriſtliche Kirche erſcheine: man findet
es anſtößig zu ſagen, die heilige Kirche befehle etwas oder
beſitze etwas: dieſes geiſtliche Inſtitut, das durch die Ver-
werflichkeit ſeines Verhaltens die Idee Lügen ſtraft auf die
es gegründet iſt, unterſcheidet man von dem geheimnißvol-
len Daſeyn der ſeligen Gemeinſchaft, die nicht äußerlich er-
ſcheint, an die man nach den Worten des Symbols nur
glaubt, und die allerdings Himmel und Erde vereinigt,
jedoch ohne den Papſt. 1 „Es ſey ferne,“ ſagte der Paſtor
Schmidt zu Küßnacht in einer Predigt, die vielen Ein-
druck machte, „daß die chriſtliche Kirche ein ſo beflecktes,
ſündenvolles Oberhaupt anerkenne wie der Papſt iſt, und
von Chriſtus ſich abwende, der von dem h. Paulus ſo
oft das Oberhaupt der Kirche genannt wird.“ 2

Damit hängt es zuſammen, daß man dem Zwange,
alle ſeine Sünden zu beichten, jede inſonderheit, der zu ſo
viel Greueln des Beichtſtuhls, zu ſo viel Gewaltſamkeiten
einer ſtarren und herrſchſüchtigen Rechtgläubigkeit Anlaß
gab und Anlaß giebt, die an keine prieſterliche Vermitte-
lung gebundene Verheißung des Nachtmahls entgegenſetzte.
Mit der Gewißheit der realen Gegenwart beſtreitet man die
Willkühr welche die Prieſter bei der Abſolution ausüben;
man widerräth ſogar das lange Durchdenken einzelner Sün-
den, das nur erneuerten Kitzel oder Verzweiflung hervor-
bringe, und fordert nichts als ein getroſtes, fröhliches und

1 Ain ſermon oder predig von der chriſtlichen kirchen welches
doch ſey die hailig chriſtlich kirche, davon unſer glaub ſagt: gepredi-
get zu Ulm von Bruder Heinrich von Kettenbach. 1522.
2 Myconius ad Zwinglium. Epp. Zw. p. 195.
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[92/0102] Drittes Buch. Drittes Capitel. alleinſeligmachende chriſtliche Kirche erſcheine: man findet es anſtößig zu ſagen, die heilige Kirche befehle etwas oder beſitze etwas: dieſes geiſtliche Inſtitut, das durch die Ver- werflichkeit ſeines Verhaltens die Idee Lügen ſtraft auf die es gegründet iſt, unterſcheidet man von dem geheimnißvol- len Daſeyn der ſeligen Gemeinſchaft, die nicht äußerlich er- ſcheint, an die man nach den Worten des Symbols nur glaubt, und die allerdings Himmel und Erde vereinigt, jedoch ohne den Papſt. 1 „Es ſey ferne,“ ſagte der Paſtor Schmidt zu Küßnacht in einer Predigt, die vielen Ein- druck machte, „daß die chriſtliche Kirche ein ſo beflecktes, ſündenvolles Oberhaupt anerkenne wie der Papſt iſt, und von Chriſtus ſich abwende, der von dem h. Paulus ſo oft das Oberhaupt der Kirche genannt wird.“ 2 Damit hängt es zuſammen, daß man dem Zwange, alle ſeine Sünden zu beichten, jede inſonderheit, der zu ſo viel Greueln des Beichtſtuhls, zu ſo viel Gewaltſamkeiten einer ſtarren und herrſchſüchtigen Rechtgläubigkeit Anlaß gab und Anlaß giebt, die an keine prieſterliche Vermitte- lung gebundene Verheißung des Nachtmahls entgegenſetzte. Mit der Gewißheit der realen Gegenwart beſtreitet man die Willkühr welche die Prieſter bei der Abſolution ausüben; man widerräth ſogar das lange Durchdenken einzelner Sün- den, das nur erneuerten Kitzel oder Verzweiflung hervor- bringe, und fordert nichts als ein getroſtes, fröhliches und 1 Ain ſermon oder predig von der chriſtlichen kirchen welches doch ſey die hailig chriſtlich kirche, davon unſer glaub ſagt: gepredi- get zu Ulm von Bruder Heinrich von Kettenbach. 1522. 2 Myconius ad Zwinglium. Epp. Zw. p. 195.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/102>, abgerufen am 23.11.2024.