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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839.

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Ausbreitung der Lehre.
gelassenes Vertrauen auf den barmherzigen Gott und seine
gegenwärtige Gnade. 1

Entscheidend ist endlich der Gegensatz zwischen Men-
schenlehre und Gotteswort. Auch da ist aber nicht von
der Tradition die Rede, etwa nach den feineren Auffassun-
gen einer späteren Zeit, so daß sie nur der sich fortpflan-
zende christliche Sinn, das im Herzen der Gläubigen le-
bende Wort wäre: 2 es ist vielmehr das ganze, im Laufe
der Jahrhunderte, durch die hierarchische Gewalt und die
Scholastik entwickelte, eine unbedingte Autorität in Anspruch
nehmende System der lateinischen Kirche, dem man sich
entgegensetzt. Man bemerkt, daß die Kirchenväter geirrt,
Hieronymus sehr häufig, sogar Augustin zuweilen, was
sie denn auch selber sehr gut gewußt, -- dennoch habe
man auf ihre Aussprüche ein System gegründet, und mit
Hülfe heidnischer Philosophie weiter ausgesponnen, von
dem keine Abweichung erlaubt seyn solle. Aber eben damit
habe man sich dem Menschenwahn hingegeben: kein Lehrer
führe mehr zu wahrem Verstand des Evangeliums. Und
dieser Menschenlehre nun, die in sich widersprechend, untröst-
lich, mit allen Mißbräuchen verbündet sey, setzt man das
ewige Gottes Wort entgegen, "das so edel, rein, herzlich,
fest und tröstlich ist, das man denn auch ungefälscht und

1 Eyn verstendig trostlich Leer uber das Wort St. Paulus:
Der Mensch sol sich selbst probieren und alßo von dem Brott essen
und von dem Kelch trinken: zu Hall in Innthal von D. Jacob
Strauß geprediget. MDXXII. Der Leib Christi und sein Blut wird
genommen als das allersicherste Zeichen seiner barmherzigen Zu-
sage uns im Glauben die Sünde zu vergeben. Auch in einigen spä-
tern Schriften dieses Autors tritt dieser Gegensatz hervor.
2 Möhler Symbolik p. 361.

Ausbreitung der Lehre.
gelaſſenes Vertrauen auf den barmherzigen Gott und ſeine
gegenwärtige Gnade. 1

Entſcheidend iſt endlich der Gegenſatz zwiſchen Men-
ſchenlehre und Gotteswort. Auch da iſt aber nicht von
der Tradition die Rede, etwa nach den feineren Auffaſſun-
gen einer ſpäteren Zeit, ſo daß ſie nur der ſich fortpflan-
zende chriſtliche Sinn, das im Herzen der Gläubigen le-
bende Wort wäre: 2 es iſt vielmehr das ganze, im Laufe
der Jahrhunderte, durch die hierarchiſche Gewalt und die
Scholaſtik entwickelte, eine unbedingte Autorität in Anſpruch
nehmende Syſtem der lateiniſchen Kirche, dem man ſich
entgegenſetzt. Man bemerkt, daß die Kirchenväter geirrt,
Hieronymus ſehr häufig, ſogar Auguſtin zuweilen, was
ſie denn auch ſelber ſehr gut gewußt, — dennoch habe
man auf ihre Ausſprüche ein Syſtem gegründet, und mit
Hülfe heidniſcher Philoſophie weiter ausgeſponnen, von
dem keine Abweichung erlaubt ſeyn ſolle. Aber eben damit
habe man ſich dem Menſchenwahn hingegeben: kein Lehrer
führe mehr zu wahrem Verſtand des Evangeliums. Und
dieſer Menſchenlehre nun, die in ſich widerſprechend, untröſt-
lich, mit allen Mißbräuchen verbündet ſey, ſetzt man das
ewige Gottes Wort entgegen, „das ſo edel, rein, herzlich,
feſt und tröſtlich iſt, das man denn auch ungefälſcht und

1 Eyn verſtendig troſtlich Leer uber das Wort St. Paulus:
Der Menſch ſol ſich ſelbſt probieren und alßo von dem Brott eſſen
und von dem Kelch trinken: zu Hall in Innthal von D. Jacob
Strauß geprediget. MDXXII. Der Leib Chriſti und ſein Blut wird
genommen als das allerſicherſte Zeichen ſeiner barmherzigen Zu-
ſage uns im Glauben die Suͤnde zu vergeben. Auch in einigen ſpaͤ-
tern Schriften dieſes Autors tritt dieſer Gegenſatz hervor.
2 Moͤhler Symbolik p. 361.
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[93/0103] Ausbreitung der Lehre. gelaſſenes Vertrauen auf den barmherzigen Gott und ſeine gegenwärtige Gnade. 1 Entſcheidend iſt endlich der Gegenſatz zwiſchen Men- ſchenlehre und Gotteswort. Auch da iſt aber nicht von der Tradition die Rede, etwa nach den feineren Auffaſſun- gen einer ſpäteren Zeit, ſo daß ſie nur der ſich fortpflan- zende chriſtliche Sinn, das im Herzen der Gläubigen le- bende Wort wäre: 2 es iſt vielmehr das ganze, im Laufe der Jahrhunderte, durch die hierarchiſche Gewalt und die Scholaſtik entwickelte, eine unbedingte Autorität in Anſpruch nehmende Syſtem der lateiniſchen Kirche, dem man ſich entgegenſetzt. Man bemerkt, daß die Kirchenväter geirrt, Hieronymus ſehr häufig, ſogar Auguſtin zuweilen, was ſie denn auch ſelber ſehr gut gewußt, — dennoch habe man auf ihre Ausſprüche ein Syſtem gegründet, und mit Hülfe heidniſcher Philoſophie weiter ausgeſponnen, von dem keine Abweichung erlaubt ſeyn ſolle. Aber eben damit habe man ſich dem Menſchenwahn hingegeben: kein Lehrer führe mehr zu wahrem Verſtand des Evangeliums. Und dieſer Menſchenlehre nun, die in ſich widerſprechend, untröſt- lich, mit allen Mißbräuchen verbündet ſey, ſetzt man das ewige Gottes Wort entgegen, „das ſo edel, rein, herzlich, feſt und tröſtlich iſt, das man denn auch ungefälſcht und 1 Eyn verſtendig troſtlich Leer uber das Wort St. Paulus: Der Menſch ſol ſich ſelbſt probieren und alßo von dem Brott eſſen und von dem Kelch trinken: zu Hall in Innthal von D. Jacob Strauß geprediget. MDXXII. Der Leib Chriſti und ſein Blut wird genommen als das allerſicherſte Zeichen ſeiner barmherzigen Zu- ſage uns im Glauben die Suͤnde zu vergeben. Auch in einigen ſpaͤ- tern Schriften dieſes Autors tritt dieſer Gegenſatz hervor. 2 Moͤhler Symbolik p. 361.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/103>, abgerufen am 23.11.2024.