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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

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Cajetan.

Da war ihm nun Luther schon als Nominalist, als
Widersacher der theologischen Alleinherrschaft des St. Tho-
mas, Anführer einer thätigen Gegenpartei auf einer eben
aufkommenden Universität höchlich verhaßt. Die Demuth
Luthers erwiederte er anfangs mit dem officiellen väterli-
chen Bezeigen eines geistlichen Obern. Aber sehr bald trat
der natürliche Widerstreit zwischen ihnen hervor. Der Car-
dinal war nicht gemeint, sich mit Stillschweigen zu begnü-
gen, er wollte es auch zu keiner Disputation kommen las-
sen, wie Luther vorgeschlagen: er glaubte ihm in wenig
Worten seinen Irrthum nachgewiesen zu haben, und for-
derte einen Widerruf. Da erwachte auch in Luther der
Gegensatz, der keine Unterordnung kennt, weder geistliche
noch weltliche, der Wissenschaft, des Systemes wieder zu
vollem Bewußtseyn. Es wollte ihm scheinen, als verstehe
der Cardinal seine Meinung, namentlich seine Idee vom
Glauben, gar nicht einmal, geschweige daß er sie wider-
legen könnte; es kam zu einem Wortwechsel, in welchem
Luther doch mehr Belesenheit Sicherheit und Tiefe ent-
wickelte, als ihm der Legat zugetraut; Speculationen so
außerordentlicher Art waren ihm noch nicht vorgekommen:
diese tiefen, glitzernden Augen machten ihm Grauen; er
rief endlich aus, Luther möge entweder widerrufen, oder
er dürfe sich nicht wieder vor ihm blicken lassen. 1

Es war das dominicanische System, das hier mit dem

Lugduni 1587. Praefatio: inter theologos quem divo Thomae
Aquinati praeferre ausis, invenies neminem.
1 Die Relation Luthers, in den Actis Augustanis, seine Briefe,
die Schreiben des Legaten, endlich auch ein Schreiben von Staupitz
bei Grimm (a. a. O. p. 123) geben über den Gang dieser Ver-
Ranke d. Gesch. I. 25
Cajetan.

Da war ihm nun Luther ſchon als Nominaliſt, als
Widerſacher der theologiſchen Alleinherrſchaft des St. Tho-
mas, Anführer einer thätigen Gegenpartei auf einer eben
aufkommenden Univerſität höchlich verhaßt. Die Demuth
Luthers erwiederte er anfangs mit dem officiellen väterli-
chen Bezeigen eines geiſtlichen Obern. Aber ſehr bald trat
der natürliche Widerſtreit zwiſchen ihnen hervor. Der Car-
dinal war nicht gemeint, ſich mit Stillſchweigen zu begnü-
gen, er wollte es auch zu keiner Disputation kommen laſ-
ſen, wie Luther vorgeſchlagen: er glaubte ihm in wenig
Worten ſeinen Irrthum nachgewieſen zu haben, und for-
derte einen Widerruf. Da erwachte auch in Luther der
Gegenſatz, der keine Unterordnung kennt, weder geiſtliche
noch weltliche, der Wiſſenſchaft, des Syſtemes wieder zu
vollem Bewußtſeyn. Es wollte ihm ſcheinen, als verſtehe
der Cardinal ſeine Meinung, namentlich ſeine Idee vom
Glauben, gar nicht einmal, geſchweige daß er ſie wider-
legen könnte; es kam zu einem Wortwechſel, in welchem
Luther doch mehr Beleſenheit Sicherheit und Tiefe ent-
wickelte, als ihm der Legat zugetraut; Speculationen ſo
außerordentlicher Art waren ihm noch nicht vorgekommen:
dieſe tiefen, glitzernden Augen machten ihm Grauen; er
rief endlich aus, Luther möge entweder widerrufen, oder
er dürfe ſich nicht wieder vor ihm blicken laſſen. 1

Es war das dominicaniſche Syſtem, das hier mit dem

Lugduni 1587. Praefatio: inter theologos quem divo Thomae
Aquinati praeferre ausis, invenies neminem.
1 Die Relation Luthers, in den Actis Augustanis, ſeine Briefe,
die Schreiben des Legaten, endlich auch ein Schreiben von Staupitz
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Ranke d. Geſch. I. 25
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[385/0403] Cajetan. Da war ihm nun Luther ſchon als Nominaliſt, als Widerſacher der theologiſchen Alleinherrſchaft des St. Tho- mas, Anführer einer thätigen Gegenpartei auf einer eben aufkommenden Univerſität höchlich verhaßt. Die Demuth Luthers erwiederte er anfangs mit dem officiellen väterli- chen Bezeigen eines geiſtlichen Obern. Aber ſehr bald trat der natürliche Widerſtreit zwiſchen ihnen hervor. Der Car- dinal war nicht gemeint, ſich mit Stillſchweigen zu begnü- gen, er wollte es auch zu keiner Disputation kommen laſ- ſen, wie Luther vorgeſchlagen: er glaubte ihm in wenig Worten ſeinen Irrthum nachgewieſen zu haben, und for- derte einen Widerruf. Da erwachte auch in Luther der Gegenſatz, der keine Unterordnung kennt, weder geiſtliche noch weltliche, der Wiſſenſchaft, des Syſtemes wieder zu vollem Bewußtſeyn. Es wollte ihm ſcheinen, als verſtehe der Cardinal ſeine Meinung, namentlich ſeine Idee vom Glauben, gar nicht einmal, geſchweige daß er ſie wider- legen könnte; es kam zu einem Wortwechſel, in welchem Luther doch mehr Beleſenheit Sicherheit und Tiefe ent- wickelte, als ihm der Legat zugetraut; Speculationen ſo außerordentlicher Art waren ihm noch nicht vorgekommen: dieſe tiefen, glitzernden Augen machten ihm Grauen; er rief endlich aus, Luther möge entweder widerrufen, oder er dürfe ſich nicht wieder vor ihm blicken laſſen. 1 Es war das dominicaniſche Syſtem, das hier mit dem 3 1 Die Relation Luthers, in den Actis Augustanis, ſeine Briefe, die Schreiben des Legaten, endlich auch ein Schreiben von Staupitz bei Grimm (a. a. O. p. 123) geben uͤber den Gang dieſer Ver- 3 Lugduni 1587. Praefatio: inter theologos quem divo Thomae Aquinati praeferre ausis, invenies neminem. Ranke d. Geſch. I. 25

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 385. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/403>, abgerufen am 22.11.2024.