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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

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Zweites Buch. Drittes Capitel.

Die Geschäfte der Versammlung waren schon been-
digt, als Luther, sehr zufrieden nicht nach Rom gehn zu
müssen, sich aufmachte, um sich dem gemäß vor dem Car-
dinal zu stellen. Wahrhaft in niedriger Gestalt wanderte
er dahin: in einer geborgten Kutte, von Kloster zu Klo-
ster herbergend: durch Anfälle von Unwohlseyn zuweilen
bis zur Ohnmacht erschöpft. 1 Er hat später oft gesagt,
hätte ihn der Cardinal freundlich behandelt, so wäre er
leicht zum Schweigen zu bringen gewesen. Als er vor ihn
kam, fiel er vor ihm nieder.

Unglücklicherweise war aber dieser Legat, Thomas de
Vio von Gaeta, (Cajetan) nicht allein ein Repräsentant
der Curie, sondern zugleich der eifrigste Thomist. Seiner
Mutter, sagt man, träumte als sie mit ihm schwanger war,
St. Thomas in Person unterweise ihn und führe ihn darnach
mit sich gen Himmel. 2 So ungern man es dann in seiner
Familie auch sah, so ließ er sich doch nicht mehr abhalten,
ziemlich früh, in seinem 16ten Jahr, in ein Dominicaner-
kloster zu treten, wo er den Namen seines Heiligen an-
nahm (ursprünglich hieß er Jacob) und alle seine Kräfte
anstrengte, sich mit den Lehren desselben zu durchdringen.
Er hielt ihn für den vollkommensten Theologen der je-
mals gelebt habe. Er unternahm es, die Summa, sein
Hauptwerk, Schritt für Schritt gegen die Einwendungen
der Scotisten zu vertheidigen. 3


Da
1 L. an Spalatin 10 Oct. 1518 ib. 142.
2 So erzählt die Lebensbeschreibung bei Roccaberti Bibl. Max.
T. XIX p.
443.
3 Divi Thomae Summa cum commentariis Thomae de Vio
Zweites Buch. Drittes Capitel.

Die Geſchäfte der Verſammlung waren ſchon been-
digt, als Luther, ſehr zufrieden nicht nach Rom gehn zu
müſſen, ſich aufmachte, um ſich dem gemäß vor dem Car-
dinal zu ſtellen. Wahrhaft in niedriger Geſtalt wanderte
er dahin: in einer geborgten Kutte, von Kloſter zu Klo-
ſter herbergend: durch Anfälle von Unwohlſeyn zuweilen
bis zur Ohnmacht erſchöpft. 1 Er hat ſpäter oft geſagt,
hätte ihn der Cardinal freundlich behandelt, ſo wäre er
leicht zum Schweigen zu bringen geweſen. Als er vor ihn
kam, fiel er vor ihm nieder.

Unglücklicherweiſe war aber dieſer Legat, Thomas de
Vio von Gaeta, (Cajetan) nicht allein ein Repräſentant
der Curie, ſondern zugleich der eifrigſte Thomiſt. Seiner
Mutter, ſagt man, träumte als ſie mit ihm ſchwanger war,
St. Thomas in Perſon unterweiſe ihn und führe ihn darnach
mit ſich gen Himmel. 2 So ungern man es dann in ſeiner
Familie auch ſah, ſo ließ er ſich doch nicht mehr abhalten,
ziemlich früh, in ſeinem 16ten Jahr, in ein Dominicaner-
kloſter zu treten, wo er den Namen ſeines Heiligen an-
nahm (urſprünglich hieß er Jacob) und alle ſeine Kräfte
anſtrengte, ſich mit den Lehren deſſelben zu durchdringen.
Er hielt ihn für den vollkommenſten Theologen der je-
mals gelebt habe. Er unternahm es, die Summa, ſein
Hauptwerk, Schritt für Schritt gegen die Einwendungen
der Scotiſten zu vertheidigen. 3


Da
1 L. an Spalatin 10 Oct. 1518 ib. 142.
2 So erzaͤhlt die Lebensbeſchreibung bei Roccaberti Bibl. Max.
T. XIX p.
443.
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[384/0402] Zweites Buch. Drittes Capitel. Die Geſchäfte der Verſammlung waren ſchon been- digt, als Luther, ſehr zufrieden nicht nach Rom gehn zu müſſen, ſich aufmachte, um ſich dem gemäß vor dem Car- dinal zu ſtellen. Wahrhaft in niedriger Geſtalt wanderte er dahin: in einer geborgten Kutte, von Kloſter zu Klo- ſter herbergend: durch Anfälle von Unwohlſeyn zuweilen bis zur Ohnmacht erſchöpft. 1 Er hat ſpäter oft geſagt, hätte ihn der Cardinal freundlich behandelt, ſo wäre er leicht zum Schweigen zu bringen geweſen. Als er vor ihn kam, fiel er vor ihm nieder. Unglücklicherweiſe war aber dieſer Legat, Thomas de Vio von Gaeta, (Cajetan) nicht allein ein Repräſentant der Curie, ſondern zugleich der eifrigſte Thomiſt. Seiner Mutter, ſagt man, träumte als ſie mit ihm ſchwanger war, St. Thomas in Perſon unterweiſe ihn und führe ihn darnach mit ſich gen Himmel. 2 So ungern man es dann in ſeiner Familie auch ſah, ſo ließ er ſich doch nicht mehr abhalten, ziemlich früh, in ſeinem 16ten Jahr, in ein Dominicaner- kloſter zu treten, wo er den Namen ſeines Heiligen an- nahm (urſprünglich hieß er Jacob) und alle ſeine Kräfte anſtrengte, ſich mit den Lehren deſſelben zu durchdringen. Er hielt ihn für den vollkommenſten Theologen der je- mals gelebt habe. Er unternahm es, die Summa, ſein Hauptwerk, Schritt für Schritt gegen die Einwendungen der Scotiſten zu vertheidigen. 3 Da 1 L. an Spalatin 10 Oct. 1518 ib. 142. 2 So erzaͤhlt die Lebensbeſchreibung bei Roccaberti Bibl. Max. T. XIX p. 443. 3 Divi Thomae Summa cum commentariis Thomae de Vio

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 384. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/402>, abgerufen am 23.11.2024.