Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweites Buch. Drittes Capitel.
Purpur bekleidet, den Gegner von sich stieß. Luther glaubte,
obwohl er sich ein kaiserliches Geleite verschafft, doch selbst
vor Gewaltthätigkeiten nicht mehr sicher zu seyn; er ver-
faßte noch eine Appellation an den besser zu informiren-
den Papst; dann entfloh er. Sein Gehen entsprach sei-
nem Kommen. Durch eine geheime Pforte die ihm seine
Augsburger Gönner bei Nacht öffnen ließen, auf einem
Pferde das ihm sein Provincial Staupitz verschafft hatte,
in seiner Kutte, ohne Stiefel noch Beinkleider, ritt er da-
von, von einem wegekundigen Ausreiter begleitet, acht große
Meilen den ersten Tag: als er abstieg, fiel er todtmüde
neben seinem Pferde in die Streu. Doch war er glück-
lich außer dem unmittelbaren Bereiche des Legaten.

Und nun suchten ihn zwar gar bald die Anklagen des-
selben auch in Sachsen auf. Der Legat beschwur den
Churfürsten, nicht um eines ketzerischen Klosterbruders wil-
len den Ruhm seines Hauses zu beflecken: wolle er densel-
ben ja nicht nach Rom schicken, so möge er ihn wenigstens
aus seinem Lande schaffen: in Rom werde man diese Sache
niemals fallen lassen. Allein er machte damit keinen Ein-
druck mehr: durch sein unklug-heftiges Verfahren hatte er
sein Ansehn bei Friedrich eingebüßt. Die Universität schrieb
ihrem Fürsten, sie wisse nicht anders, als daß Luther der
Kirche und selbst dem Papst alle Ehre erweise: wäre Bosheit
in dem Manne, so würde sie das zuerst bemerken. Es ver-
droß die Corporation, daß der Legat eines ihrer Mitglieder
als einen Ketzer behandle, ehe noch ein Urtheil erfolgt war. 1

handlung hinreichende Auskunft. Schade daß die Relation des Le-
gaten nach Rom nie zum Vorschein gekommen ist.
1 Von dem Breve, worin von einem schon gefällten Urtel die

Zweites Buch. Drittes Capitel.
Purpur bekleidet, den Gegner von ſich ſtieß. Luther glaubte,
obwohl er ſich ein kaiſerliches Geleite verſchafft, doch ſelbſt
vor Gewaltthätigkeiten nicht mehr ſicher zu ſeyn; er ver-
faßte noch eine Appellation an den beſſer zu informiren-
den Papſt; dann entfloh er. Sein Gehen entſprach ſei-
nem Kommen. Durch eine geheime Pforte die ihm ſeine
Augsburger Gönner bei Nacht öffnen ließen, auf einem
Pferde das ihm ſein Provincial Staupitz verſchafft hatte,
in ſeiner Kutte, ohne Stiefel noch Beinkleider, ritt er da-
von, von einem wegekundigen Ausreiter begleitet, acht große
Meilen den erſten Tag: als er abſtieg, fiel er todtmüde
neben ſeinem Pferde in die Streu. Doch war er glück-
lich außer dem unmittelbaren Bereiche des Legaten.

Und nun ſuchten ihn zwar gar bald die Anklagen deſ-
ſelben auch in Sachſen auf. Der Legat beſchwur den
Churfürſten, nicht um eines ketzeriſchen Kloſterbruders wil-
len den Ruhm ſeines Hauſes zu beflecken: wolle er denſel-
ben ja nicht nach Rom ſchicken, ſo möge er ihn wenigſtens
aus ſeinem Lande ſchaffen: in Rom werde man dieſe Sache
niemals fallen laſſen. Allein er machte damit keinen Ein-
druck mehr: durch ſein unklug-heftiges Verfahren hatte er
ſein Anſehn bei Friedrich eingebüßt. Die Univerſität ſchrieb
ihrem Fürſten, ſie wiſſe nicht anders, als daß Luther der
Kirche und ſelbſt dem Papſt alle Ehre erweiſe: wäre Bosheit
in dem Manne, ſo würde ſie das zuerſt bemerken. Es ver-
droß die Corporation, daß der Legat eines ihrer Mitglieder
als einen Ketzer behandle, ehe noch ein Urtheil erfolgt war. 1

handlung hinreichende Auskunft. Schade daß die Relation des Le-
gaten nach Rom nie zum Vorſchein gekommen iſt.
1 Von dem Breve, worin von einem ſchon gefaͤllten Urtel die
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0404" n="386"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweites Buch. Drittes Capitel</hi>.</fw><lb/>
Purpur bekleidet, den Gegner von &#x017F;ich &#x017F;tieß. Luther glaubte,<lb/>
obwohl er &#x017F;ich ein kai&#x017F;erliches Geleite ver&#x017F;chafft, doch &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
vor Gewaltthätigkeiten nicht mehr &#x017F;icher zu &#x017F;eyn; er ver-<lb/>
faßte noch eine Appellation an den be&#x017F;&#x017F;er zu informiren-<lb/>
den Pap&#x017F;t; dann entfloh er. Sein Gehen ent&#x017F;prach &#x017F;ei-<lb/>
nem Kommen. Durch eine geheime Pforte die ihm &#x017F;eine<lb/>
Augsburger Gönner bei Nacht öffnen ließen, auf einem<lb/>
Pferde das ihm &#x017F;ein Provincial Staupitz ver&#x017F;chafft hatte,<lb/>
in &#x017F;einer Kutte, ohne Stiefel noch Beinkleider, ritt er da-<lb/>
von, von einem wegekundigen Ausreiter begleitet, acht große<lb/>
Meilen den er&#x017F;ten Tag: als er ab&#x017F;tieg, fiel er todtmüde<lb/>
neben &#x017F;einem Pferde in die Streu. Doch war er glück-<lb/>
lich außer dem unmittelbaren Bereiche des Legaten.</p><lb/>
            <p>Und nun &#x017F;uchten ihn zwar gar bald die Anklagen de&#x017F;-<lb/>
&#x017F;elben auch in Sach&#x017F;en auf. Der Legat be&#x017F;chwur den<lb/>
Churfür&#x017F;ten, nicht um eines ketzeri&#x017F;chen Klo&#x017F;terbruders wil-<lb/>
len den Ruhm &#x017F;eines Hau&#x017F;es zu beflecken: wolle er den&#x017F;el-<lb/>
ben ja nicht nach Rom &#x017F;chicken, &#x017F;o möge er ihn wenig&#x017F;tens<lb/>
aus &#x017F;einem Lande &#x017F;chaffen: in Rom werde man die&#x017F;e Sache<lb/>
niemals fallen la&#x017F;&#x017F;en. Allein er machte damit keinen Ein-<lb/>
druck mehr: durch &#x017F;ein unklug-heftiges Verfahren hatte er<lb/>
&#x017F;ein An&#x017F;ehn bei Friedrich eingebüßt. Die Univer&#x017F;ität &#x017F;chrieb<lb/>
ihrem Für&#x017F;ten, &#x017F;ie wi&#x017F;&#x017F;e nicht anders, als daß Luther der<lb/>
Kirche und &#x017F;elb&#x017F;t dem Pap&#x017F;t alle Ehre erwei&#x017F;e: wäre Bosheit<lb/>
in dem Manne, &#x017F;o würde &#x017F;ie das zuer&#x017F;t bemerken. Es ver-<lb/>
droß die Corporation, daß der Legat eines ihrer Mitglieder<lb/>
als einen Ketzer behandle, ehe noch ein Urtheil erfolgt war. <note xml:id="seg2pn_33_1" next="#seg2pn_33_2" place="foot" n="1">Von dem Breve, worin von einem &#x017F;chon gefa&#x0364;llten Urtel die</note><lb/><note xml:id="seg2pn_32_2" prev="#seg2pn_32_1" place="foot" n="1">handlung hinreichende Auskunft. Schade daß die Relation des Le-<lb/>
gaten nach Rom nie zum Vor&#x017F;chein gekommen i&#x017F;t.</note><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[386/0404] Zweites Buch. Drittes Capitel. Purpur bekleidet, den Gegner von ſich ſtieß. Luther glaubte, obwohl er ſich ein kaiſerliches Geleite verſchafft, doch ſelbſt vor Gewaltthätigkeiten nicht mehr ſicher zu ſeyn; er ver- faßte noch eine Appellation an den beſſer zu informiren- den Papſt; dann entfloh er. Sein Gehen entſprach ſei- nem Kommen. Durch eine geheime Pforte die ihm ſeine Augsburger Gönner bei Nacht öffnen ließen, auf einem Pferde das ihm ſein Provincial Staupitz verſchafft hatte, in ſeiner Kutte, ohne Stiefel noch Beinkleider, ritt er da- von, von einem wegekundigen Ausreiter begleitet, acht große Meilen den erſten Tag: als er abſtieg, fiel er todtmüde neben ſeinem Pferde in die Streu. Doch war er glück- lich außer dem unmittelbaren Bereiche des Legaten. Und nun ſuchten ihn zwar gar bald die Anklagen deſ- ſelben auch in Sachſen auf. Der Legat beſchwur den Churfürſten, nicht um eines ketzeriſchen Kloſterbruders wil- len den Ruhm ſeines Hauſes zu beflecken: wolle er denſel- ben ja nicht nach Rom ſchicken, ſo möge er ihn wenigſtens aus ſeinem Lande ſchaffen: in Rom werde man dieſe Sache niemals fallen laſſen. Allein er machte damit keinen Ein- druck mehr: durch ſein unklug-heftiges Verfahren hatte er ſein Anſehn bei Friedrich eingebüßt. Die Univerſität ſchrieb ihrem Fürſten, ſie wiſſe nicht anders, als daß Luther der Kirche und ſelbſt dem Papſt alle Ehre erweiſe: wäre Bosheit in dem Manne, ſo würde ſie das zuerſt bemerken. Es ver- droß die Corporation, daß der Legat eines ihrer Mitglieder als einen Ketzer behandle, ehe noch ein Urtheil erfolgt war. 1 1 1 Von dem Breve, worin von einem ſchon gefaͤllten Urtel die 1 handlung hinreichende Auskunft. Schade daß die Relation des Le- gaten nach Rom nie zum Vorſchein gekommen iſt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/404
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 386. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/404>, abgerufen am 25.11.2024.