befriedigte gleichsam das öffentliche Gewissen. 1 Die leben- digsten Interessen knüpften sich daran: das der tiefern Fröm- migkeit gegen diese äußerlichste aller Sündenvergebungen; das der Literatur gegen die Ketzermeister, zu denen auch Tetzel gehörte; der sich verjüngenden Theologie wider das scholastische Dogma, welches allen diesen Mißbräuchen das Wort redete; der weltlichen Gewalt gegen die geistliche, de- ren Übergriffe sie zu beschränken suchte; endlich der Nation gegen die römischen Geldforderungen.
Aber alle diese Interessen hatten auch andre sich ge- genüber. Nicht viel minder lebendig als der Beifall mußte auch der Widerstand seyn. Eine ganze Anzahl natürlicher Gegner erhob sich.
Wie Wittenberg, so war einige Jahre später auch die Universität Frankfurt a. d. O. hauptsächlich von Leipzig ausgegangen, aber von der entgegengesetzten Partei. Ent- schlossene Widersacher aller Neuerung hatten dort Stellen gefunden. Ein alter Gegner Pollichs, der mit ihm oft einen literarischen Strauß bestanden, Conrad Koch, genannt Wimpina, hatte sich dort einen ähnlichen Einfluß verschafft wie Pollich in Wittenberg. An Wimpina wandte sich jetzt Johann Tetzel: und brachte mit seiner Hülfe, denn auch er wollte Doctor seyn wie sein augustinianischer Gegner, zweierlei Theses zu Stande, die einen um sich zum Li- centiaten, die andern um sich zum Doctor zu disputiren:
1 Erasmus an Herzog Georg von Sochsen 1524 12 Dez. Cum Lutherus aggrederetur hanc fabulam, totus mundus illi ma- gno consensu applausit, -- -- susceperat enim optimam causam adversus corruptissimos scholarum et ecclesiae mores, qui eo pro- gressi fuerant ut res jam nulli bono viro tolerabilis videretur.
Zweites Buch. Erſtes Capitel.
befriedigte gleichſam das öffentliche Gewiſſen. 1 Die leben- digſten Intereſſen knüpften ſich daran: das der tiefern Fröm- migkeit gegen dieſe äußerlichſte aller Sündenvergebungen; das der Literatur gegen die Ketzermeiſter, zu denen auch Tetzel gehörte; der ſich verjüngenden Theologie wider das ſcholaſtiſche Dogma, welches allen dieſen Mißbräuchen das Wort redete; der weltlichen Gewalt gegen die geiſtliche, de- ren Übergriffe ſie zu beſchränken ſuchte; endlich der Nation gegen die römiſchen Geldforderungen.
Aber alle dieſe Intereſſen hatten auch andre ſich ge- genüber. Nicht viel minder lebendig als der Beifall mußte auch der Widerſtand ſeyn. Eine ganze Anzahl natürlicher Gegner erhob ſich.
Wie Wittenberg, ſo war einige Jahre ſpäter auch die Univerſität Frankfurt a. d. O. hauptſächlich von Leipzig ausgegangen, aber von der entgegengeſetzten Partei. Ent- ſchloſſene Widerſacher aller Neuerung hatten dort Stellen gefunden. Ein alter Gegner Pollichs, der mit ihm oft einen literariſchen Strauß beſtanden, Conrad Koch, genannt Wimpina, hatte ſich dort einen ähnlichen Einfluß verſchafft wie Pollich in Wittenberg. An Wimpina wandte ſich jetzt Johann Tetzel: und brachte mit ſeiner Hülfe, denn auch er wollte Doctor ſeyn wie ſein auguſtinianiſcher Gegner, zweierlei Theſes zu Stande, die einen um ſich zum Li- centiaten, die andern um ſich zum Doctor zu disputiren:
1 Erasmus an Herzog Georg von Sochſen 1524 12 Dez. Cum Lutherus aggrederetur hanc fabulam, totus mundus illi ma- gno consensu applausit, — — susceperat enim optimam causam adversus corruptissimos scholarum et ecclesiae mores, qui eo pro- gressi fuerant ut res jam nulli bono viro tolerabilis videretur.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0336"n="318"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Zweites Buch. Erſtes Capitel</hi>.</fw><lb/>
befriedigte gleichſam das öffentliche Gewiſſen. <noteplace="foot"n="1">Erasmus an Herzog Georg von Sochſen 1524 12 Dez.<lb/><hirendition="#aq">Cum Lutherus aggrederetur hanc fabulam, totus mundus illi ma-<lb/>
gno consensu applausit, —— susceperat enim optimam causam<lb/>
adversus corruptissimos scholarum et ecclesiae mores, qui eo pro-<lb/>
gressi fuerant ut res jam nulli bono viro tolerabilis videretur.</hi></note> Die leben-<lb/>
digſten Intereſſen knüpften ſich daran: das der tiefern Fröm-<lb/>
migkeit gegen dieſe äußerlichſte aller Sündenvergebungen;<lb/>
das der Literatur gegen die Ketzermeiſter, zu denen auch<lb/>
Tetzel gehörte; der ſich verjüngenden Theologie wider das<lb/>ſcholaſtiſche Dogma, welches allen dieſen Mißbräuchen das<lb/>
Wort redete; der weltlichen Gewalt gegen die geiſtliche, de-<lb/>
ren Übergriffe ſie zu beſchränken ſuchte; endlich der Nation<lb/>
gegen die römiſchen Geldforderungen.</p><lb/><p>Aber alle dieſe Intereſſen hatten auch andre ſich ge-<lb/>
genüber. Nicht viel minder lebendig als der Beifall mußte<lb/>
auch der Widerſtand ſeyn. Eine ganze Anzahl natürlicher<lb/>
Gegner erhob ſich.</p><lb/><p>Wie Wittenberg, ſo war einige Jahre ſpäter auch die<lb/>
Univerſität Frankfurt a. d. O. hauptſächlich von Leipzig<lb/>
ausgegangen, aber von der entgegengeſetzten Partei. Ent-<lb/>ſchloſſene Widerſacher aller Neuerung hatten dort Stellen<lb/>
gefunden. Ein alter Gegner Pollichs, der mit ihm oft<lb/>
einen literariſchen Strauß beſtanden, Conrad Koch, genannt<lb/>
Wimpina, hatte ſich dort einen ähnlichen Einfluß verſchafft<lb/>
wie Pollich in Wittenberg. An Wimpina wandte ſich jetzt<lb/>
Johann Tetzel: und brachte mit ſeiner Hülfe, denn auch<lb/>
er wollte Doctor ſeyn wie ſein auguſtinianiſcher Gegner,<lb/>
zweierlei Theſes zu Stande, die einen um ſich zum Li-<lb/>
centiaten, die andern um ſich zum Doctor zu disputiren:<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[318/0336]
Zweites Buch. Erſtes Capitel.
befriedigte gleichſam das öffentliche Gewiſſen. 1 Die leben-
digſten Intereſſen knüpften ſich daran: das der tiefern Fröm-
migkeit gegen dieſe äußerlichſte aller Sündenvergebungen;
das der Literatur gegen die Ketzermeiſter, zu denen auch
Tetzel gehörte; der ſich verjüngenden Theologie wider das
ſcholaſtiſche Dogma, welches allen dieſen Mißbräuchen das
Wort redete; der weltlichen Gewalt gegen die geiſtliche, de-
ren Übergriffe ſie zu beſchränken ſuchte; endlich der Nation
gegen die römiſchen Geldforderungen.
Aber alle dieſe Intereſſen hatten auch andre ſich ge-
genüber. Nicht viel minder lebendig als der Beifall mußte
auch der Widerſtand ſeyn. Eine ganze Anzahl natürlicher
Gegner erhob ſich.
Wie Wittenberg, ſo war einige Jahre ſpäter auch die
Univerſität Frankfurt a. d. O. hauptſächlich von Leipzig
ausgegangen, aber von der entgegengeſetzten Partei. Ent-
ſchloſſene Widerſacher aller Neuerung hatten dort Stellen
gefunden. Ein alter Gegner Pollichs, der mit ihm oft
einen literariſchen Strauß beſtanden, Conrad Koch, genannt
Wimpina, hatte ſich dort einen ähnlichen Einfluß verſchafft
wie Pollich in Wittenberg. An Wimpina wandte ſich jetzt
Johann Tetzel: und brachte mit ſeiner Hülfe, denn auch
er wollte Doctor ſeyn wie ſein auguſtinianiſcher Gegner,
zweierlei Theſes zu Stande, die einen um ſich zum Li-
centiaten, die andern um ſich zum Doctor zu disputiren:
1 Erasmus an Herzog Georg von Sochſen 1524 12 Dez.
Cum Lutherus aggrederetur hanc fabulam, totus mundus illi ma-
gno consensu applausit, — — susceperat enim optimam causam
adversus corruptissimos scholarum et ecclesiae mores, qui eo pro-
gressi fuerant ut res jam nulli bono viro tolerabilis videretur.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 318. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/336>, abgerufen am 26.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.