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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

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Ablaßstreitigkeit.
von welchem das große Weltereigniß ausgeht, ist die Coin-
cidenz von beiden.

Wie gesagt, es war Niemand der die Interessen von
Deutschland hierin vertreten hätte. Den geistlichen Mißbrauch
durchschauten Unzählige, aber es wagte Niemand ihn beim
Namen zu nennen, ihm offen entgegenzutreten. Da ward
der Bund dieses Mönches mit diesem Fürsten geschlossen.
Es war kein Vertrag abgeredet; sie hatten einander nie
gesehen; allein ein natürliches Einverständniß verband sie.
Der kühne Mönch griff den Feind an: der Fürst versprach
ihm seine Hülfe nicht, er munterte ihn nicht auf, er ließ
es nur geschehen.

Doch muß er sehr gut gefühlt haben was die Sache
zu bedeuten hatte, wenn es wahr ist, was man von einem
Traume erzählt, den er auf seinem Schloß zu Schweiniz,
wo er sich damals aufhielt, in der Nacht auf Allerheiligen,
eben nachdem die Sätze angeschlagen waren, gehabt haben
soll; er sah den Mönch, wie er ihm an der Schloßkapelle
zu Wittenberg einige Sätze anschrieb, mit so starker Schrift,
daß man sie dort in Schweinitz lesen konnte; die Feder wuchs
und wuchs; sie reichte bis nach Rom, sie berührte die drei-
fache Krone des Papstes und machte sie wanken; indem er
den Arm ausstreckte um sie zu halten erwachte er. 1

Es war aber dieß Unternehmen wie ein gewaltiger
Schlag der Deutschland aufweckte. Daß doch noch ein
Mann sich erhob, der den Muth hatte den gefährlichen
Kampf zu unternehmen, war eine allgemeine Genugthuung,

1 Göttlicher und schriftmäßiger Traum aus Caspar Rothen
Gloria Lutheri in Tentzel's Histor. Bericht p. 239.

Ablaßſtreitigkeit.
von welchem das große Weltereigniß ausgeht, iſt die Coin-
cidenz von beiden.

Wie geſagt, es war Niemand der die Intereſſen von
Deutſchland hierin vertreten hätte. Den geiſtlichen Mißbrauch
durchſchauten Unzählige, aber es wagte Niemand ihn beim
Namen zu nennen, ihm offen entgegenzutreten. Da ward
der Bund dieſes Mönches mit dieſem Fürſten geſchloſſen.
Es war kein Vertrag abgeredet; ſie hatten einander nie
geſehen; allein ein natürliches Einverſtändniß verband ſie.
Der kühne Mönch griff den Feind an: der Fürſt verſprach
ihm ſeine Hülfe nicht, er munterte ihn nicht auf, er ließ
es nur geſchehen.

Doch muß er ſehr gut gefühlt haben was die Sache
zu bedeuten hatte, wenn es wahr iſt, was man von einem
Traume erzählt, den er auf ſeinem Schloß zu Schweiniz,
wo er ſich damals aufhielt, in der Nacht auf Allerheiligen,
eben nachdem die Sätze angeſchlagen waren, gehabt haben
ſoll; er ſah den Mönch, wie er ihm an der Schloßkapelle
zu Wittenberg einige Sätze anſchrieb, mit ſo ſtarker Schrift,
daß man ſie dort in Schweinitz leſen konnte; die Feder wuchs
und wuchs; ſie reichte bis nach Rom, ſie berührte die drei-
fache Krone des Papſtes und machte ſie wanken; indem er
den Arm ausſtreckte um ſie zu halten erwachte er. 1

Es war aber dieß Unternehmen wie ein gewaltiger
Schlag der Deutſchland aufweckte. Daß doch noch ein
Mann ſich erhob, der den Muth hatte den gefährlichen
Kampf zu unternehmen, war eine allgemeine Genugthuung,

1 Goͤttlicher und ſchriftmaͤßiger Traum aus Caspar Rothen
Gloria Lutheri in Tentzel’s Hiſtor. Bericht p. 239.
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[317/0335] Ablaßſtreitigkeit. von welchem das große Weltereigniß ausgeht, iſt die Coin- cidenz von beiden. Wie geſagt, es war Niemand der die Intereſſen von Deutſchland hierin vertreten hätte. Den geiſtlichen Mißbrauch durchſchauten Unzählige, aber es wagte Niemand ihn beim Namen zu nennen, ihm offen entgegenzutreten. Da ward der Bund dieſes Mönches mit dieſem Fürſten geſchloſſen. Es war kein Vertrag abgeredet; ſie hatten einander nie geſehen; allein ein natürliches Einverſtändniß verband ſie. Der kühne Mönch griff den Feind an: der Fürſt verſprach ihm ſeine Hülfe nicht, er munterte ihn nicht auf, er ließ es nur geſchehen. Doch muß er ſehr gut gefühlt haben was die Sache zu bedeuten hatte, wenn es wahr iſt, was man von einem Traume erzählt, den er auf ſeinem Schloß zu Schweiniz, wo er ſich damals aufhielt, in der Nacht auf Allerheiligen, eben nachdem die Sätze angeſchlagen waren, gehabt haben ſoll; er ſah den Mönch, wie er ihm an der Schloßkapelle zu Wittenberg einige Sätze anſchrieb, mit ſo ſtarker Schrift, daß man ſie dort in Schweinitz leſen konnte; die Feder wuchs und wuchs; ſie reichte bis nach Rom, ſie berührte die drei- fache Krone des Papſtes und machte ſie wanken; indem er den Arm ausſtreckte um ſie zu halten erwachte er. 1 Es war aber dieß Unternehmen wie ein gewaltiger Schlag der Deutſchland aufweckte. Daß doch noch ein Mann ſich erhob, der den Muth hatte den gefährlichen Kampf zu unternehmen, war eine allgemeine Genugthuung, 1 Goͤttlicher und ſchriftmaͤßiger Traum aus Caspar Rothen Gloria Lutheri in Tentzel’s Hiſtor. Bericht p. 239.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/335>, abgerufen am 17.06.2024.