Von demselben innern Widerstreit nun gieng nach dem Verlauf so langer Zeit auch Luther aus: aber er entschied sich für die andre Seite. Nicht daß er den Schatz der Kirche überhaupt geleugnet hätte, er erklärte jedoch, diese Lehre habe noch nicht hinreichende Klarheit, und, worauf alles ankam, er bestritt das Recht des Papstes ihn zu vertheilen. Denn nur eine innerliche Wirkung schrieb er dieser mysteriösen kirchlichen Gemeinschaft zu. An den gu- ten Werken der Kirche habe ein Jeder Antheil auch ohne Briefe des Papstes. Auf das Fegfeuer erstrecke sich dessen Ge- walt nur in so ferne die Fürbitte der Kirche in seiner Hand sey: es frage sich aber erst, ob Gott dieselbe erhören wolle. Indulgenzen irgend einer Art zu geben, ohne Reue, sey gradezu unchristlich. Stück für Stück widerlegt er die in der Instruction vorkommenden Berechtigungen der Ablaß- verkäufer. Dagegen sieht er den Grund der Indulgenz in dem Amte der Schlüssel. 1 In diesem Amte, welches Christus dem h. Peter anvertraut habe, liege die entbindende Ge- walt des römischen Papstes. Auch sey es für alle Peinen und Gewissensfälle hinreichend. Aber natürlich erstrecke es sich auf keine andern als die Strafen der Genugthuung, die vermöge desselben aufgelegt worden; und dabei komme noch alles darauf an, ob der Mensch auch Reue em- pfinde, was er selbst nicht einmal entscheiden könne, ge-
Hauptgrund dafür bleibt aber immer, daß die Kirche das sage: denn "si in praedicatione ecclesiae aliqua falsitas deprehendere- tur, non essent documenta ecclesiae alicujus autoritatis ad robo- randam fidem."
1 Eben so wie die Gegner, welche Thomas von A. widerlegt, behaupteten: "indulgentiae non habent effectum nisi ex vi clavium."
Zweites Buch. Erſtes Capitel.
Von demſelben innern Widerſtreit nun gieng nach dem Verlauf ſo langer Zeit auch Luther aus: aber er entſchied ſich für die andre Seite. Nicht daß er den Schatz der Kirche überhaupt geleugnet hätte, er erklärte jedoch, dieſe Lehre habe noch nicht hinreichende Klarheit, und, worauf alles ankam, er beſtritt das Recht des Papſtes ihn zu vertheilen. Denn nur eine innerliche Wirkung ſchrieb er dieſer myſteriöſen kirchlichen Gemeinſchaft zu. An den gu- ten Werken der Kirche habe ein Jeder Antheil auch ohne Briefe des Papſtes. Auf das Fegfeuer erſtrecke ſich deſſen Ge- walt nur in ſo ferne die Fürbitte der Kirche in ſeiner Hand ſey: es frage ſich aber erſt, ob Gott dieſelbe erhören wolle. Indulgenzen irgend einer Art zu geben, ohne Reue, ſey gradezu unchriſtlich. Stück für Stück widerlegt er die in der Inſtruction vorkommenden Berechtigungen der Ablaß- verkäufer. Dagegen ſieht er den Grund der Indulgenz in dem Amte der Schlüſſel. 1 In dieſem Amte, welches Chriſtus dem h. Peter anvertraut habe, liege die entbindende Ge- walt des römiſchen Papſtes. Auch ſey es für alle Peinen und Gewiſſensfälle hinreichend. Aber natürlich erſtrecke es ſich auf keine andern als die Strafen der Genugthuung, die vermöge deſſelben aufgelegt worden; und dabei komme noch alles darauf an, ob der Menſch auch Reue em- pfinde, was er ſelbſt nicht einmal entſcheiden könne, ge-
Hauptgrund dafuͤr bleibt aber immer, daß die Kirche das ſage: denn „si in praedicatione ecclesiae aliqua falsitas deprehendere- tur, non essent documenta ecclesiae alicujus autoritatis ad robo- randam fidem.“
1 Eben ſo wie die Gegner, welche Thomas von A. widerlegt, behaupteten: „indulgentiae non habent effectum nisi ex vi clavium.“
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Zweites Buch. Erſtes Capitel.
Von demſelben innern Widerſtreit nun gieng nach dem
Verlauf ſo langer Zeit auch Luther aus: aber er entſchied
ſich für die andre Seite. Nicht daß er den Schatz der
Kirche überhaupt geleugnet hätte, er erklärte jedoch, dieſe
Lehre habe noch nicht hinreichende Klarheit, und, worauf
alles ankam, er beſtritt das Recht des Papſtes ihn zu
vertheilen. Denn nur eine innerliche Wirkung ſchrieb er
dieſer myſteriöſen kirchlichen Gemeinſchaft zu. An den gu-
ten Werken der Kirche habe ein Jeder Antheil auch ohne
Briefe des Papſtes. Auf das Fegfeuer erſtrecke ſich deſſen Ge-
walt nur in ſo ferne die Fürbitte der Kirche in ſeiner Hand
ſey: es frage ſich aber erſt, ob Gott dieſelbe erhören wolle.
Indulgenzen irgend einer Art zu geben, ohne Reue, ſey
gradezu unchriſtlich. Stück für Stück widerlegt er die in
der Inſtruction vorkommenden Berechtigungen der Ablaß-
verkäufer. Dagegen ſieht er den Grund der Indulgenz in dem
Amte der Schlüſſel. 1 In dieſem Amte, welches Chriſtus
dem h. Peter anvertraut habe, liege die entbindende Ge-
walt des römiſchen Papſtes. Auch ſey es für alle Peinen
und Gewiſſensfälle hinreichend. Aber natürlich erſtrecke es
ſich auf keine andern als die Strafen der Genugthuung,
die vermöge deſſelben aufgelegt worden; und dabei komme
noch alles darauf an, ob der Menſch auch Reue em-
pfinde, was er ſelbſt nicht einmal entſcheiden könne, ge-
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1 Eben ſo wie die Gegner, welche Thomas von A. widerlegt,
behaupteten: „indulgentiae non habent effectum nisi ex vi clavium.“
1 Hauptgrund dafuͤr bleibt aber immer, daß die Kirche das ſage:
denn „si in praedicatione ecclesiae aliqua falsitas deprehendere-
tur, non essent documenta ecclesiae alicujus autoritatis ad robo-
randam fidem.“
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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/332>, abgerufen am 25.11.2024.
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