nahe berühren, ohne daß es zwischen ihnen zum Kampfe gekommen wäre.
An dem Vorabend des Allerheiligen Tages, an welchem die Stiftskirche den Schatz des Ablasses der an ihre Re- liquien gebunden war, auszutheilen pflegte, 31 Oct. 1517, schlug Luther an den Thüren derselben 95 Streitsätze an, "eine Disputation zur Erklärung der Kraft des Ablasses."
Wir müssen uns erinnern, daß die Lehre von dem Schatze der Kirche, auf welche der Ablaß sich gründete, gleich von Anfang an als in Widerspruch stehend mit dem Sacrament der Schlüsselgewalt betrachtet worden war. Die Vergebung des Ablasses beruhte auf den überströmenden Verdiensten der Kirche; es war dazu nur von der einen Seite hinreichende Autorität, von der andern ein Zeichen der Verbindung mit der Kirche, irgend eine Thätigkeit zu ihrer Ehre oder ihrem Nutzen erforderlich. Das Sacra- ment der Schlüssel dagegen gieng ausschließlich aus dem Verdienst Christi hervor: dazu war von der einen Seite priesterliche Weihe, von der andern Reue und Buße noth- wendig. Dort ward das Maaß der Gnade in das Belieben des Vertheilers derselben gestellt: hier mußte es sich nach dem Verhältniß der Sünde und der Pönitenz richten. In diesem Widerstreit hatte sich nun Thomas von Aquino für den Schatz der Kirche und die Gültigkeit der daher fließenden Indulgen- zen erklärt: er lehrt ausdrücklich, daß kein Priester dazu nö- thig sey, ein bloßer Legat sie austheilen könne, und zwar auch für eine weltliche Leistung, wofern dieselbe nur zu etwas Geistlichem diene. Seine Schule folgte ihm hierin nach. 1
1Sti Thomae Summa, Supplementum tertiae partis Quae- stio XXV, art. II setzt diese Lehre sehr deutlich aus einander. Der
95 Saͤtze.
nahe berühren, ohne daß es zwiſchen ihnen zum Kampfe gekommen wäre.
An dem Vorabend des Allerheiligen Tages, an welchem die Stiftskirche den Schatz des Ablaſſes der an ihre Re- liquien gebunden war, auszutheilen pflegte, 31 Oct. 1517, ſchlug Luther an den Thüren derſelben 95 Streitſätze an, „eine Disputation zur Erklärung der Kraft des Ablaſſes.“
Wir müſſen uns erinnern, daß die Lehre von dem Schatze der Kirche, auf welche der Ablaß ſich gründete, gleich von Anfang an als in Widerſpruch ſtehend mit dem Sacrament der Schlüſſelgewalt betrachtet worden war. Die Vergebung des Ablaſſes beruhte auf den überſtrömenden Verdienſten der Kirche; es war dazu nur von der einen Seite hinreichende Autorität, von der andern ein Zeichen der Verbindung mit der Kirche, irgend eine Thätigkeit zu ihrer Ehre oder ihrem Nutzen erforderlich. Das Sacra- ment der Schlüſſel dagegen gieng ausſchließlich aus dem Verdienſt Chriſti hervor: dazu war von der einen Seite prieſterliche Weihe, von der andern Reue und Buße noth- wendig. Dort ward das Maaß der Gnade in das Belieben des Vertheilers derſelben geſtellt: hier mußte es ſich nach dem Verhältniß der Sünde und der Pönitenz richten. In dieſem Widerſtreit hatte ſich nun Thomas von Aquino für den Schatz der Kirche und die Gültigkeit der daher fließenden Indulgen- zen erklärt: er lehrt ausdrücklich, daß kein Prieſter dazu nö- thig ſey, ein bloßer Legat ſie austheilen könne, und zwar auch für eine weltliche Leiſtung, wofern dieſelbe nur zu etwas Geiſtlichem diene. Seine Schule folgte ihm hierin nach. 1
1Sti Thomae Summa, Supplementum tertiae partis Quae- stio XXV, art. II ſetzt dieſe Lehre ſehr deutlich aus einander. Der
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95 Saͤtze.
nahe berühren, ohne daß es zwiſchen ihnen zum Kampfe
gekommen wäre.
An dem Vorabend des Allerheiligen Tages, an welchem
die Stiftskirche den Schatz des Ablaſſes der an ihre Re-
liquien gebunden war, auszutheilen pflegte, 31 Oct. 1517,
ſchlug Luther an den Thüren derſelben 95 Streitſätze an,
„eine Disputation zur Erklärung der Kraft des Ablaſſes.“
Wir müſſen uns erinnern, daß die Lehre von dem
Schatze der Kirche, auf welche der Ablaß ſich gründete,
gleich von Anfang an als in Widerſpruch ſtehend mit dem
Sacrament der Schlüſſelgewalt betrachtet worden war. Die
Vergebung des Ablaſſes beruhte auf den überſtrömenden
Verdienſten der Kirche; es war dazu nur von der einen
Seite hinreichende Autorität, von der andern ein Zeichen
der Verbindung mit der Kirche, irgend eine Thätigkeit zu
ihrer Ehre oder ihrem Nutzen erforderlich. Das Sacra-
ment der Schlüſſel dagegen gieng ausſchließlich aus dem
Verdienſt Chriſti hervor: dazu war von der einen Seite
prieſterliche Weihe, von der andern Reue und Buße noth-
wendig. Dort ward das Maaß der Gnade in das Belieben
des Vertheilers derſelben geſtellt: hier mußte es ſich nach dem
Verhältniß der Sünde und der Pönitenz richten. In dieſem
Widerſtreit hatte ſich nun Thomas von Aquino für den Schatz
der Kirche und die Gültigkeit der daher fließenden Indulgen-
zen erklärt: er lehrt ausdrücklich, daß kein Prieſter dazu nö-
thig ſey, ein bloßer Legat ſie austheilen könne, und zwar
auch für eine weltliche Leiſtung, wofern dieſelbe nur zu etwas
Geiſtlichem diene. Seine Schule folgte ihm hierin nach. 1
1 Sti Thomae Summa, Supplementum tertiae partis Quae-
stio XXV, art. II ſetzt dieſe Lehre ſehr deutlich aus einander. Der
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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/331>, abgerufen am 25.11.2024.
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