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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

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Bewegung in der Theologie.
darin irre machen. 1 Zu dieser Richtung kam aber im An-
fang des sechszehnten Jahrhunderts noch eine andre, ver-
wandte. Der Alleinherrschaft der Scholastik hatten sich von
jeher mystische Anschauungen entgegengesetzt: auch jetzt fan-
den die Predigten Taulers, die ein paar Mal aus den Pressen
hervorgiengen, mit ihrem milden Ernst, ihrem verständlichen
Tiefsinn, ihrer das deutsche Gemüth befriedigenden Wahr-
haftigkeit ein weit verbreitetes Publicum. Als einen Aus-
fluß taulerischer Lehren dürfen wir das Buch von der deut-
schen Theologie betrachten, welches damals erschien, worin
vor allem die Unfähigkeit der Creatur dargethan wird, durch
ihr Ich und Selbst das Vollkommene zu begreifen, zu in-
nerer Ruhe zu gelangen, sich dem ewigen Gute hinzuge-
ben, welches sich ihm dann selber mittheile. Da war es
nun von vielem Einfluß, daß der Nachfolger des Proles
Johann Staupitz diese Ideen in sich aufnahm, an ihrer
Ausbildung und Verbreitung mitarbeitete. 2 Wenn wir
seine Auffassungsweise betrachten, wie er sich z. B. über
die Liebe ausdrückt, "die man weder durch sich noch durch
andre, nicht einmal durch die heilige Schrift lerne, sondern
die allein durch die Einwohnung des h. Geistes in den
Menschen komme," so läßt sich nicht verkennen, welch
einen genauen innern Zusammenhang das mit den stren-
gern Begriffen von Gnade, Glauben und freiem Willen
hat; durch eine solche Verbindung wurden diese dem Zeit-

1 Joh. Pelz Supplementum aurifodinae 1504 bei Kapp:
Nachlese IV, p. 460.
2 Grimm de Joanne Staupitzio ejusque in sacrorum Chri-
stianorum restaurationem meritis
in Illgen Zeitschrift für die hist.
Theologie N. F. I, II, 78.
Ranke d. Gesch. I. 19

Bewegung in der Theologie.
darin irre machen. 1 Zu dieſer Richtung kam aber im An-
fang des ſechszehnten Jahrhunderts noch eine andre, ver-
wandte. Der Alleinherrſchaft der Scholaſtik hatten ſich von
jeher myſtiſche Anſchauungen entgegengeſetzt: auch jetzt fan-
den die Predigten Taulers, die ein paar Mal aus den Preſſen
hervorgiengen, mit ihrem milden Ernſt, ihrem verſtändlichen
Tiefſinn, ihrer das deutſche Gemüth befriedigenden Wahr-
haftigkeit ein weit verbreitetes Publicum. Als einen Aus-
fluß tauleriſcher Lehren dürfen wir das Buch von der deut-
ſchen Theologie betrachten, welches damals erſchien, worin
vor allem die Unfähigkeit der Creatur dargethan wird, durch
ihr Ich und Selbſt das Vollkommene zu begreifen, zu in-
nerer Ruhe zu gelangen, ſich dem ewigen Gute hinzuge-
ben, welches ſich ihm dann ſelber mittheile. Da war es
nun von vielem Einfluß, daß der Nachfolger des Proles
Johann Staupitz dieſe Ideen in ſich aufnahm, an ihrer
Ausbildung und Verbreitung mitarbeitete. 2 Wenn wir
ſeine Auffaſſungsweiſe betrachten, wie er ſich z. B. über
die Liebe ausdrückt, „die man weder durch ſich noch durch
andre, nicht einmal durch die heilige Schrift lerne, ſondern
die allein durch die Einwohnung des h. Geiſtes in den
Menſchen komme,“ ſo läßt ſich nicht verkennen, welch
einen genauen innern Zuſammenhang das mit den ſtren-
gern Begriffen von Gnade, Glauben und freiem Willen
hat; durch eine ſolche Verbindung wurden dieſe dem Zeit-

1 Joh. Pelz Supplementum aurifodinae 1504 bei Kapp:
Nachleſe IV, p. 460.
2 Grimm de Joanne Staupitzio ejusque in sacrorum Chri-
stianorum restaurationem meritis
in Illgen Zeitſchrift für die hiſt.
Theologie N. F. I, II, 78.
Ranke d. Geſch. I. 19
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[289/0307] Bewegung in der Theologie. darin irre machen. 1 Zu dieſer Richtung kam aber im An- fang des ſechszehnten Jahrhunderts noch eine andre, ver- wandte. Der Alleinherrſchaft der Scholaſtik hatten ſich von jeher myſtiſche Anſchauungen entgegengeſetzt: auch jetzt fan- den die Predigten Taulers, die ein paar Mal aus den Preſſen hervorgiengen, mit ihrem milden Ernſt, ihrem verſtändlichen Tiefſinn, ihrer das deutſche Gemüth befriedigenden Wahr- haftigkeit ein weit verbreitetes Publicum. Als einen Aus- fluß tauleriſcher Lehren dürfen wir das Buch von der deut- ſchen Theologie betrachten, welches damals erſchien, worin vor allem die Unfähigkeit der Creatur dargethan wird, durch ihr Ich und Selbſt das Vollkommene zu begreifen, zu in- nerer Ruhe zu gelangen, ſich dem ewigen Gute hinzuge- ben, welches ſich ihm dann ſelber mittheile. Da war es nun von vielem Einfluß, daß der Nachfolger des Proles Johann Staupitz dieſe Ideen in ſich aufnahm, an ihrer Ausbildung und Verbreitung mitarbeitete. 2 Wenn wir ſeine Auffaſſungsweiſe betrachten, wie er ſich z. B. über die Liebe ausdrückt, „die man weder durch ſich noch durch andre, nicht einmal durch die heilige Schrift lerne, ſondern die allein durch die Einwohnung des h. Geiſtes in den Menſchen komme,“ ſo läßt ſich nicht verkennen, welch einen genauen innern Zuſammenhang das mit den ſtren- gern Begriffen von Gnade, Glauben und freiem Willen hat; durch eine ſolche Verbindung wurden dieſe dem Zeit- 1 Joh. Pelz Supplementum aurifodinae 1504 bei Kapp: Nachleſe IV, p. 460. 2 Grimm de Joanne Staupitzio ejusque in sacrorum Chri- stianorum restaurationem meritis in Illgen Zeitſchrift für die hiſt. Theologie N. F. I, II, 78. Ranke d. Geſch. I. 19

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/307>, abgerufen am 26.06.2024.