Da trafen die beiden Parteien zuerst ernstlich auf ein- ander. Die Dominicaner hofften ihr wankendes Ansehn durch einen großen Schlag der Autorität zu erneuern, die Feinde, die ihnen gefährlich zu werden drohten, durch die Schrecken die ihnen zu Gebote standen zurückzuscheuchen. Die Neuerer, jene Lehrer und Zöglinge der Poetenschulen, fühlten sehr wohl, daß sie in Reuchlin alle gefährdet seyen; die natürliche Kraft, mit der sie emporstrebten, ward jedoch noch durch das Bewußtseyn der Opposition gegen die be- stehende Autorität, der zweifelhaften Stellung die sie über- haupt einnahmen, gefesselt.
Im October 1513 constituirte sich das Inquisitions- gericht zu Mainz, aus Doctoren der Universität und Beam- ten des Erzbischofs, unter dem Vorsitz des Inquisitors ketzerischer Bosheit, Jacob Hogstraten; und es kam nun darauf an, ob ein Urtel gesprochen werden würde, wie ei- nige Jahrzehnde früher gegen Johann von Wesalia.
Allein wie sehr hatten sich die Zeiten seitdem verändert! In Deutschland herrschte die energisch katholische Stimmung, welche es in Spanien der Inquisition so leicht machte durchzudringen, mit nichten. Die kaiserlichen Räthe muß- ten dem Begehren der Cöllner wohl von vorn herein ab- geneigt seyn, sonst würden sie einen Mann wie Reuchlin nicht zu Rathe gezogen haben. Schon hatte die literari- sche Tendenz allzuweit um sich gegriffen, eine Art von öf- fentlicher Meinung gebildet. Eine ganze Anzahl von Mit- gliedern der hohen Geistlichkeit werden uns als Freunde der literarischen Neuerung bezeichnet: die Domherrn Groß und Wrisberg in Augsburg, Nuenar in Cölln, Adelmann
Zweites Buch. Erſtes Capitel.
Da trafen die beiden Parteien zuerſt ernſtlich auf ein- ander. Die Dominicaner hofften ihr wankendes Anſehn durch einen großen Schlag der Autorität zu erneuern, die Feinde, die ihnen gefährlich zu werden drohten, durch die Schrecken die ihnen zu Gebote ſtanden zurückzuſcheuchen. Die Neuerer, jene Lehrer und Zöglinge der Poetenſchulen, fühlten ſehr wohl, daß ſie in Reuchlin alle gefährdet ſeyen; die natürliche Kraft, mit der ſie emporſtrebten, ward jedoch noch durch das Bewußtſeyn der Oppoſition gegen die be- ſtehende Autorität, der zweifelhaften Stellung die ſie über- haupt einnahmen, gefeſſelt.
Im October 1513 conſtituirte ſich das Inquiſitions- gericht zu Mainz, aus Doctoren der Univerſität und Beam- ten des Erzbiſchofs, unter dem Vorſitz des Inquiſitors ketzeriſcher Bosheit, Jacob Hogſtraten; und es kam nun darauf an, ob ein Urtel geſprochen werden würde, wie ei- nige Jahrzehnde früher gegen Johann von Weſalia.
Allein wie ſehr hatten ſich die Zeiten ſeitdem verändert! In Deutſchland herrſchte die energiſch katholiſche Stimmung, welche es in Spanien der Inquiſition ſo leicht machte durchzudringen, mit nichten. Die kaiſerlichen Räthe muß- ten dem Begehren der Cöllner wohl von vorn herein ab- geneigt ſeyn, ſonſt würden ſie einen Mann wie Reuchlin nicht zu Rathe gezogen haben. Schon hatte die literari- ſche Tendenz allzuweit um ſich gegriffen, eine Art von öf- fentlicher Meinung gebildet. Eine ganze Anzahl von Mit- gliedern der hohen Geiſtlichkeit werden uns als Freunde der literariſchen Neuerung bezeichnet: die Domherrn Groß und Wrisberg in Augsburg, Nuenar in Cölln, Adelmann
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0296"n="278"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Zweites Buch. Erſtes Capitel</hi>.</fw><lb/><p>Da trafen die beiden Parteien zuerſt ernſtlich auf ein-<lb/>
ander. Die Dominicaner hofften ihr wankendes Anſehn<lb/>
durch einen großen Schlag der Autorität zu erneuern, die<lb/>
Feinde, die ihnen gefährlich zu werden drohten, durch die<lb/>
Schrecken die ihnen zu Gebote ſtanden zurückzuſcheuchen.<lb/>
Die Neuerer, jene Lehrer und Zöglinge der Poetenſchulen,<lb/>
fühlten ſehr wohl, daß ſie in Reuchlin alle gefährdet ſeyen;<lb/>
die natürliche Kraft, mit der ſie emporſtrebten, ward jedoch<lb/>
noch durch das Bewußtſeyn der Oppoſition gegen die be-<lb/>ſtehende Autorität, der zweifelhaften Stellung die ſie über-<lb/>
haupt einnahmen, gefeſſelt.</p><lb/><p>Im October 1513 conſtituirte ſich das Inquiſitions-<lb/>
gericht zu Mainz, aus Doctoren der Univerſität und Beam-<lb/>
ten des Erzbiſchofs, unter dem Vorſitz des Inquiſitors<lb/>
ketzeriſcher Bosheit, Jacob Hogſtraten; und es kam nun<lb/>
darauf an, ob ein Urtel geſprochen werden würde, wie ei-<lb/>
nige Jahrzehnde früher gegen Johann von Weſalia.</p><lb/><p>Allein wie ſehr hatten ſich die Zeiten ſeitdem verändert!<lb/>
In Deutſchland herrſchte die energiſch katholiſche Stimmung,<lb/>
welche es in Spanien der Inquiſition ſo leicht machte<lb/>
durchzudringen, mit nichten. Die kaiſerlichen Räthe muß-<lb/>
ten dem Begehren der Cöllner wohl von vorn herein ab-<lb/>
geneigt ſeyn, ſonſt würden ſie einen Mann wie Reuchlin<lb/>
nicht zu Rathe gezogen haben. Schon hatte die literari-<lb/>ſche Tendenz allzuweit um ſich gegriffen, eine Art von öf-<lb/>
fentlicher Meinung gebildet. Eine ganze Anzahl von Mit-<lb/>
gliedern der hohen Geiſtlichkeit werden uns als Freunde<lb/>
der literariſchen Neuerung bezeichnet: die Domherrn Groß<lb/>
und Wrisberg in Augsburg, Nuenar in Cölln, Adelmann<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[278/0296]
Zweites Buch. Erſtes Capitel.
Da trafen die beiden Parteien zuerſt ernſtlich auf ein-
ander. Die Dominicaner hofften ihr wankendes Anſehn
durch einen großen Schlag der Autorität zu erneuern, die
Feinde, die ihnen gefährlich zu werden drohten, durch die
Schrecken die ihnen zu Gebote ſtanden zurückzuſcheuchen.
Die Neuerer, jene Lehrer und Zöglinge der Poetenſchulen,
fühlten ſehr wohl, daß ſie in Reuchlin alle gefährdet ſeyen;
die natürliche Kraft, mit der ſie emporſtrebten, ward jedoch
noch durch das Bewußtſeyn der Oppoſition gegen die be-
ſtehende Autorität, der zweifelhaften Stellung die ſie über-
haupt einnahmen, gefeſſelt.
Im October 1513 conſtituirte ſich das Inquiſitions-
gericht zu Mainz, aus Doctoren der Univerſität und Beam-
ten des Erzbiſchofs, unter dem Vorſitz des Inquiſitors
ketzeriſcher Bosheit, Jacob Hogſtraten; und es kam nun
darauf an, ob ein Urtel geſprochen werden würde, wie ei-
nige Jahrzehnde früher gegen Johann von Weſalia.
Allein wie ſehr hatten ſich die Zeiten ſeitdem verändert!
In Deutſchland herrſchte die energiſch katholiſche Stimmung,
welche es in Spanien der Inquiſition ſo leicht machte
durchzudringen, mit nichten. Die kaiſerlichen Räthe muß-
ten dem Begehren der Cöllner wohl von vorn herein ab-
geneigt ſeyn, ſonſt würden ſie einen Mann wie Reuchlin
nicht zu Rathe gezogen haben. Schon hatte die literari-
ſche Tendenz allzuweit um ſich gegriffen, eine Art von öf-
fentlicher Meinung gebildet. Eine ganze Anzahl von Mit-
gliedern der hohen Geiſtlichkeit werden uns als Freunde
der literariſchen Neuerung bezeichnet: die Domherrn Groß
und Wrisberg in Augsburg, Nuenar in Cölln, Adelmann
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/296>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.