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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

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Bewegungen in der gelehrten Literatur.
nen, der noch im funfzigsten Jahr Religion Weib und
Kind verlassen und christlicher Priester geworden war, eine
Schrift herausgegeben worden, in der er seinen frühern
Glaubensgenossen die gröbsten Irrthümer z. B. Anbetung
von Sonne und Mond, vor allem aber die unerträglich-
sten Lästerungen gegen das Christenthum Schuld gab und
aus dem Talmud nachzuweisen suchte. 1 Hauptsächlich auf
den Grund dieser Anklagen forderten die Cöllner Theolo-
gen den Kaiser auf, die Auslieferung des Talmud anzu-
befehlen, und gaben ihm auf seine weiteren Anfragen je-
nes Gutachten, worin sie ihm das Recht zusprachen, ge-
gen die Juden als Ketzer zu verfahren. Die kaiserlichen
Räthe hielten doch für gut, neben den theologischen Fa-
cultäten auch einen andern Kenner der jüdischen Literatur,
eben den Erneuerer der cabbalistischen Philosophie, unsern
Reuchlin zu Rathe zu ziehn.

Reuchlin gab seine Meinung, wie sich nicht anders er-
warten ließ, zu Gunsten der Bücher ab; sein Gutachten ist ein
schönes Denkmal reiner Gesinnung und überlegener Einsicht.

Aber eben damit zog er nun auch den ganzen Sturm
auf sich selber.

Die Cöllner, um so heftiger gereizt, weil sie mit ihren
Vorschlägen nicht durchgedrungen, was sie wohl nicht mit
Unrecht dem Widerspruch Reuchlins zuschrieben, ließen ihn
durch einen ihrer Satelliten angreifen; er antwortete: sie
verdammten seine Antwort: er replicirte: sie setzten ein In-
quisitionsgericht gegen ihn nieder.


1 Anzeige dieses Judenbüchleins in Riederers Nachrichten I, I,
p.
34. Lateinisch erschien es 1509, als ein opus aureum ac novum.

Bewegungen in der gelehrten Literatur.
nen, der noch im funfzigſten Jahr Religion Weib und
Kind verlaſſen und chriſtlicher Prieſter geworden war, eine
Schrift herausgegeben worden, in der er ſeinen frühern
Glaubensgenoſſen die gröbſten Irrthümer z. B. Anbetung
von Sonne und Mond, vor allem aber die unerträglich-
ſten Läſterungen gegen das Chriſtenthum Schuld gab und
aus dem Talmud nachzuweiſen ſuchte. 1 Hauptſächlich auf
den Grund dieſer Anklagen forderten die Cöllner Theolo-
gen den Kaiſer auf, die Auslieferung des Talmud anzu-
befehlen, und gaben ihm auf ſeine weiteren Anfragen je-
nes Gutachten, worin ſie ihm das Recht zuſprachen, ge-
gen die Juden als Ketzer zu verfahren. Die kaiſerlichen
Räthe hielten doch für gut, neben den theologiſchen Fa-
cultäten auch einen andern Kenner der jüdiſchen Literatur,
eben den Erneuerer der cabbaliſtiſchen Philoſophie, unſern
Reuchlin zu Rathe zu ziehn.

Reuchlin gab ſeine Meinung, wie ſich nicht anders er-
warten ließ, zu Gunſten der Bücher ab; ſein Gutachten iſt ein
ſchönes Denkmal reiner Geſinnung und überlegener Einſicht.

Aber eben damit zog er nun auch den ganzen Sturm
auf ſich ſelber.

Die Cöllner, um ſo heftiger gereizt, weil ſie mit ihren
Vorſchlägen nicht durchgedrungen, was ſie wohl nicht mit
Unrecht dem Widerſpruch Reuchlins zuſchrieben, ließen ihn
durch einen ihrer Satelliten angreifen; er antwortete: ſie
verdammten ſeine Antwort: er replicirte: ſie ſetzten ein In-
quiſitionsgericht gegen ihn nieder.


1 Anzeige dieſes Judenbuͤchleins in Riederers Nachrichten I, I,
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[277/0295] Bewegungen in der gelehrten Literatur. nen, der noch im funfzigſten Jahr Religion Weib und Kind verlaſſen und chriſtlicher Prieſter geworden war, eine Schrift herausgegeben worden, in der er ſeinen frühern Glaubensgenoſſen die gröbſten Irrthümer z. B. Anbetung von Sonne und Mond, vor allem aber die unerträglich- ſten Läſterungen gegen das Chriſtenthum Schuld gab und aus dem Talmud nachzuweiſen ſuchte. 1 Hauptſächlich auf den Grund dieſer Anklagen forderten die Cöllner Theolo- gen den Kaiſer auf, die Auslieferung des Talmud anzu- befehlen, und gaben ihm auf ſeine weiteren Anfragen je- nes Gutachten, worin ſie ihm das Recht zuſprachen, ge- gen die Juden als Ketzer zu verfahren. Die kaiſerlichen Räthe hielten doch für gut, neben den theologiſchen Fa- cultäten auch einen andern Kenner der jüdiſchen Literatur, eben den Erneuerer der cabbaliſtiſchen Philoſophie, unſern Reuchlin zu Rathe zu ziehn. Reuchlin gab ſeine Meinung, wie ſich nicht anders er- warten ließ, zu Gunſten der Bücher ab; ſein Gutachten iſt ein ſchönes Denkmal reiner Geſinnung und überlegener Einſicht. Aber eben damit zog er nun auch den ganzen Sturm auf ſich ſelber. Die Cöllner, um ſo heftiger gereizt, weil ſie mit ihren Vorſchlägen nicht durchgedrungen, was ſie wohl nicht mit Unrecht dem Widerſpruch Reuchlins zuſchrieben, ließen ihn durch einen ihrer Satelliten angreifen; er antwortete: ſie verdammten ſeine Antwort: er replicirte: ſie ſetzten ein In- quiſitionsgericht gegen ihn nieder. 1 Anzeige dieſes Judenbuͤchleins in Riederers Nachrichten I, I, p. 34. Lateiniſch erſchien es 1509, als ein opus aureum ac novum.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/295>, abgerufen am 23.11.2024.