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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

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Tendenzen der populären Literatur.

Während die Opposition welche die Institute des
Mittelalters auch dort in der fortschreitenden Entwickelung
des Geistes fanden, sich scherzhaft gestaltete, ein Element
der Behandlung wurde, sich den Idealen der Poesie als
deren Verspottung an die Seite stellte, setzte sie sich hier
selbständig fest, und wandte sich unmittelbar gegen die Er-
scheinungen des Lebens, nicht gegen deren Reproduction
in der Fabel.

Allem Thun und Treiben der verschiedenen Stände,
Alter, Geschlechter tritt in der deutschen Literatur jener Tage
der nüchterne Menschenverstand gegenüber, die gemeine Mo-
ral, die nackte Regel des gewöhnlichen Lebens, die aber
eben das zu seyn behauptet, "wodurch die Könige ihre
Kronen haben, Fürsten ihre Länder, alle Gewalten ihre
rechtliche Geltung."

Der allgemeinen Verwirrung und Gährung, die in
den öffentlichen Verhältnissen sichtbar ist, entspricht es, es
ist ihr natürlicher Gegensatz, daß in der Tiefe der Nation
der gesunde Menschenverstand zur Besinnung kommt, und
prosaisch, bürgerlich, niedrig wie er ist, aber durch und
durch wahr, sich zum Richter der Erscheinungen der Welt
aufwirft.

Es ist ein bewundernswürdiges Bestreben, wenn man
in Italien durch die Denkmale des Alterthums an die Be-
deutung der schönen Form erinnert, mit ihnen wetteifert,
und Werke zu Stande bringt, an denen der gebildete Geist
ein unvergängliches Wohlgefallen hat; aber man kann wohl
sagen: nicht minder groß und für den Fortgang der Dinge
noch bedeutender ist es, daß hier der nationale Geist nach

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Tendenzen der populaͤren Literatur.

Während die Oppoſition welche die Inſtitute des
Mittelalters auch dort in der fortſchreitenden Entwickelung
des Geiſtes fanden, ſich ſcherzhaft geſtaltete, ein Element
der Behandlung wurde, ſich den Idealen der Poeſie als
deren Verſpottung an die Seite ſtellte, ſetzte ſie ſich hier
ſelbſtändig feſt, und wandte ſich unmittelbar gegen die Er-
ſcheinungen des Lebens, nicht gegen deren Reproduction
in der Fabel.

Allem Thun und Treiben der verſchiedenen Stände,
Alter, Geſchlechter tritt in der deutſchen Literatur jener Tage
der nüchterne Menſchenverſtand gegenüber, die gemeine Mo-
ral, die nackte Regel des gewöhnlichen Lebens, die aber
eben das zu ſeyn behauptet, „wodurch die Könige ihre
Kronen haben, Fürſten ihre Länder, alle Gewalten ihre
rechtliche Geltung.“

Der allgemeinen Verwirrung und Gährung, die in
den öffentlichen Verhältniſſen ſichtbar iſt, entſpricht es, es
iſt ihr natürlicher Gegenſatz, daß in der Tiefe der Nation
der geſunde Menſchenverſtand zur Beſinnung kommt, und
proſaiſch, bürgerlich, niedrig wie er iſt, aber durch und
durch wahr, ſich zum Richter der Erſcheinungen der Welt
aufwirft.

Es iſt ein bewundernswürdiges Beſtreben, wenn man
in Italien durch die Denkmale des Alterthums an die Be-
deutung der ſchönen Form erinnert, mit ihnen wetteifert,
und Werke zu Stande bringt, an denen der gebildete Geiſt
ein unvergängliches Wohlgefallen hat; aber man kann wohl
ſagen: nicht minder groß und für den Fortgang der Dinge
noch bedeutender iſt es, daß hier der nationale Geiſt nach

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[259/0277] Tendenzen der populaͤren Literatur. Während die Oppoſition welche die Inſtitute des Mittelalters auch dort in der fortſchreitenden Entwickelung des Geiſtes fanden, ſich ſcherzhaft geſtaltete, ein Element der Behandlung wurde, ſich den Idealen der Poeſie als deren Verſpottung an die Seite ſtellte, ſetzte ſie ſich hier ſelbſtändig feſt, und wandte ſich unmittelbar gegen die Er- ſcheinungen des Lebens, nicht gegen deren Reproduction in der Fabel. Allem Thun und Treiben der verſchiedenen Stände, Alter, Geſchlechter tritt in der deutſchen Literatur jener Tage der nüchterne Menſchenverſtand gegenüber, die gemeine Mo- ral, die nackte Regel des gewöhnlichen Lebens, die aber eben das zu ſeyn behauptet, „wodurch die Könige ihre Kronen haben, Fürſten ihre Länder, alle Gewalten ihre rechtliche Geltung.“ Der allgemeinen Verwirrung und Gährung, die in den öffentlichen Verhältniſſen ſichtbar iſt, entſpricht es, es iſt ihr natürlicher Gegenſatz, daß in der Tiefe der Nation der geſunde Menſchenverſtand zur Beſinnung kommt, und proſaiſch, bürgerlich, niedrig wie er iſt, aber durch und durch wahr, ſich zum Richter der Erſcheinungen der Welt aufwirft. Es iſt ein bewundernswürdiges Beſtreben, wenn man in Italien durch die Denkmale des Alterthums an die Be- deutung der ſchönen Form erinnert, mit ihnen wetteifert, und Werke zu Stande bringt, an denen der gebildete Geiſt ein unvergängliches Wohlgefallen hat; aber man kann wohl ſagen: nicht minder groß und für den Fortgang der Dinge noch bedeutender iſt es, daß hier der nationale Geiſt nach 17*

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/277>, abgerufen am 24.11.2024.