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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

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Zweites Buch. Erstes Capitel.
tenden Zustände geschieht nun auch überall der Mängel in
dem geistlichen Stande Erwähnung. Sehr lebendig eifert
schon der Schnepperer gegen die Pfaffen, "welche hohe
Rosse reiten, aber nicht mit den Heiden kämpfen wollen;"
im Eulenspiegel werden die gemeinen Pfaffen mit ihren hüb-
schen Kellnerinnen, säuberlichen Pferdchen und vollen Kü-
chen fast am häufigsten verspottet: sie erscheinen dumm und
gierig; auch im Reineke spielen die Papemeierschen, die Haus-
haltungen der Pfaffen, wo sich kleine Kinder finden, eine
Rolle, und der Erklärer nimmt es damit sehr ernstlich, er
handelt dabei von den Sünden der Pfaffen, die durch das
böse Beispiel das sie geben, immer noch größer sind als
die der Laien; und so ergießt denn auch Doctor Brant
seinen Unwillen gegen den allzufrühen Eintritt in die Klö-
ster, ehe jemand recht zu einem Menschen geworden, so
daß er dann Alles ohne Andacht thue, und führt uns in
die Haushaltungen der unberufenen Priester ein, denen es
doch zuletzt an ihrer Nahrung fehlt, während ihre Seele
mit Sünden beschwert ist: "denn Gott achtet des Opfers
nicht, das in Sünden mit Sünden geschicht." 1

Indessen ist das doch nicht ausschließend, ja man
könnte nicht einmal sagen vorzugsweise der Inhalt dieser
Schriften: ihre Bedeutung ist um vieles allgemeiner.

Während man in Italien den romantischen Stoff des
Mittelalters in glänzenden und großartigen Werken der
Poesie umschuf, wendete ihm der deutsche Geist keine wahre
Aufmerksamkeit mehr zu: Titurel und Parcival z. B. wur-
den gedruckt, aber als Antiquität, in einer schon damals
unverständlichen Sprache.


1 Der 72ste Nar fol. 94.

Zweites Buch. Erſtes Capitel.
tenden Zuſtände geſchieht nun auch überall der Mängel in
dem geiſtlichen Stande Erwähnung. Sehr lebendig eifert
ſchon der Schnepperer gegen die Pfaffen, „welche hohe
Roſſe reiten, aber nicht mit den Heiden kämpfen wollen;“
im Eulenſpiegel werden die gemeinen Pfaffen mit ihren hüb-
ſchen Kellnerinnen, ſäuberlichen Pferdchen und vollen Kü-
chen faſt am häufigſten verſpottet: ſie erſcheinen dumm und
gierig; auch im Reineke ſpielen die Papemeierſchen, die Haus-
haltungen der Pfaffen, wo ſich kleine Kinder finden, eine
Rolle, und der Erklärer nimmt es damit ſehr ernſtlich, er
handelt dabei von den Sünden der Pfaffen, die durch das
böſe Beiſpiel das ſie geben, immer noch größer ſind als
die der Laien; und ſo ergießt denn auch Doctor Brant
ſeinen Unwillen gegen den allzufrühen Eintritt in die Klö-
ſter, ehe jemand recht zu einem Menſchen geworden, ſo
daß er dann Alles ohne Andacht thue, und führt uns in
die Haushaltungen der unberufenen Prieſter ein, denen es
doch zuletzt an ihrer Nahrung fehlt, während ihre Seele
mit Sünden beſchwert iſt: „denn Gott achtet des Opfers
nicht, das in Sünden mit Sünden geſchicht.“ 1

Indeſſen iſt das doch nicht ausſchließend, ja man
könnte nicht einmal ſagen vorzugsweiſe der Inhalt dieſer
Schriften: ihre Bedeutung iſt um vieles allgemeiner.

Während man in Italien den romantiſchen Stoff des
Mittelalters in glänzenden und großartigen Werken der
Poeſie umſchuf, wendete ihm der deutſche Geiſt keine wahre
Aufmerkſamkeit mehr zu: Titurel und Parcival z. B. wur-
den gedruckt, aber als Antiquität, in einer ſchon damals
unverſtändlichen Sprache.


1 Der 72ſte Nar fol. 94.
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[258/0276] Zweites Buch. Erſtes Capitel. tenden Zuſtände geſchieht nun auch überall der Mängel in dem geiſtlichen Stande Erwähnung. Sehr lebendig eifert ſchon der Schnepperer gegen die Pfaffen, „welche hohe Roſſe reiten, aber nicht mit den Heiden kämpfen wollen;“ im Eulenſpiegel werden die gemeinen Pfaffen mit ihren hüb- ſchen Kellnerinnen, ſäuberlichen Pferdchen und vollen Kü- chen faſt am häufigſten verſpottet: ſie erſcheinen dumm und gierig; auch im Reineke ſpielen die Papemeierſchen, die Haus- haltungen der Pfaffen, wo ſich kleine Kinder finden, eine Rolle, und der Erklärer nimmt es damit ſehr ernſtlich, er handelt dabei von den Sünden der Pfaffen, die durch das böſe Beiſpiel das ſie geben, immer noch größer ſind als die der Laien; und ſo ergießt denn auch Doctor Brant ſeinen Unwillen gegen den allzufrühen Eintritt in die Klö- ſter, ehe jemand recht zu einem Menſchen geworden, ſo daß er dann Alles ohne Andacht thue, und führt uns in die Haushaltungen der unberufenen Prieſter ein, denen es doch zuletzt an ihrer Nahrung fehlt, während ihre Seele mit Sünden beſchwert iſt: „denn Gott achtet des Opfers nicht, das in Sünden mit Sünden geſchicht.“ 1 Indeſſen iſt das doch nicht ausſchließend, ja man könnte nicht einmal ſagen vorzugsweiſe der Inhalt dieſer Schriften: ihre Bedeutung iſt um vieles allgemeiner. Während man in Italien den romantiſchen Stoff des Mittelalters in glänzenden und großartigen Werken der Poeſie umſchuf, wendete ihm der deutſche Geiſt keine wahre Aufmerkſamkeit mehr zu: Titurel und Parcival z. B. wur- den gedruckt, aber als Antiquität, in einer ſchon damals unverſtändlichen Sprache. 1 Der 72ſte Nar fol. 94.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/276>, abgerufen am 24.11.2024.