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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

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Tendenzen der populären Literatur.
es der der Opposition. Die Fastnachtsspiele des Hans Ro-
senblüt haben recht eigentlich diese Bestimmung; er läßt ein-
mal den türkischen Kaiser auftreten, um allen Ständen der
Nation die Wahrheit zu sagen. 1 Was das Glück des Eu-
lenspiegel machte, war wohl nicht so sehr seine tölpische
Grobheit und Spaßhaftigkeit, als die Ironie welche über
alle Stände ausgegossen wird: an diesem Bauern, "der sich
mit Schalksnägeln kraut," wird jeder Witz eines Andern zu
Schande. Nur von dieser Seite faßte der deutsche Bear-
beiter die Fabel vom Fuchs auf; er sieht darin eine Sym-
bolisirung der Mängel der menschlichen Gesellschaft, wie
er denn gar bald die verschiednen Stände entdeckt hat,
und sich bemüht die Lehren zu entwickeln, die der Poet
einem jeden ertheile. Auf den ersten Blick tritt dieser In-
halt in Brant's Narrenschiff hervor. Es ist nicht Spott
über einzelne Thorheiten: auf der einen Seite wird das La-
ster, ja das Verbrechen; auf der andern auch ein höheres
über das Gemeine hinausgehendes Bestreben, wenn man
z. B. all sein Sinnen darauf richte Städte und Länder zu
erkunden, wenn man den Zirkel zur Hand nehme um zu
erforschen wie breit die Erde, wie fern das Meer sich ziehe,
unter dem Gesichtspunct der Thorheit betrachtet. 2 Glorie
und Schönheit werden verachtet, weil sie vergänglich sind:
"nichts ist bleiblich als die Lehre."

Bei dieser allgemeinen Opposition gegen die obwal-

1 Auch in der Beschreibung der Schlacht von Hembach in
Reinharts Beiträgen zur Historie Frankenlandes wird der Adel "als
eine scharfe Gerte, die uns um unsrer Sünden willen züchtigt," be-
zeichnet: seine Herzen sind härter als der Demant.
2 Doctor Brants Narrenschiff. 1506. f. 83.
Ranke d. Gesch. I. 17

Tendenzen der populaͤren Literatur.
es der der Oppoſition. Die Faſtnachtsſpiele des Hans Ro-
ſenblüt haben recht eigentlich dieſe Beſtimmung; er läßt ein-
mal den türkiſchen Kaiſer auftreten, um allen Ständen der
Nation die Wahrheit zu ſagen. 1 Was das Glück des Eu-
lenſpiegel machte, war wohl nicht ſo ſehr ſeine tölpiſche
Grobheit und Spaßhaftigkeit, als die Ironie welche über
alle Stände ausgegoſſen wird: an dieſem Bauern, „der ſich
mit Schalksnägeln kraut,“ wird jeder Witz eines Andern zu
Schande. Nur von dieſer Seite faßte der deutſche Bear-
beiter die Fabel vom Fuchs auf; er ſieht darin eine Sym-
boliſirung der Mängel der menſchlichen Geſellſchaft, wie
er denn gar bald die verſchiednen Stände entdeckt hat,
und ſich bemüht die Lehren zu entwickeln, die der Poet
einem jeden ertheile. Auf den erſten Blick tritt dieſer In-
halt in Brant’s Narrenſchiff hervor. Es iſt nicht Spott
über einzelne Thorheiten: auf der einen Seite wird das La-
ſter, ja das Verbrechen; auf der andern auch ein höheres
über das Gemeine hinausgehendes Beſtreben, wenn man
z. B. all ſein Sinnen darauf richte Städte und Länder zu
erkunden, wenn man den Zirkel zur Hand nehme um zu
erforſchen wie breit die Erde, wie fern das Meer ſich ziehe,
unter dem Geſichtspunct der Thorheit betrachtet. 2 Glorie
und Schönheit werden verachtet, weil ſie vergänglich ſind:
„nichts iſt bleiblich als die Lehre.“

Bei dieſer allgemeinen Oppoſition gegen die obwal-

1 Auch in der Beſchreibung der Schlacht von Hembach in
Reinharts Beitraͤgen zur Hiſtorie Frankenlandes wird der Adel „als
eine ſcharfe Gerte, die uns um unſrer Suͤnden willen zuͤchtigt,“ be-
zeichnet: ſeine Herzen ſind haͤrter als der Demant.
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Ranke d. Geſch. I. 17
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[257/0275] Tendenzen der populaͤren Literatur. es der der Oppoſition. Die Faſtnachtsſpiele des Hans Ro- ſenblüt haben recht eigentlich dieſe Beſtimmung; er läßt ein- mal den türkiſchen Kaiſer auftreten, um allen Ständen der Nation die Wahrheit zu ſagen. 1 Was das Glück des Eu- lenſpiegel machte, war wohl nicht ſo ſehr ſeine tölpiſche Grobheit und Spaßhaftigkeit, als die Ironie welche über alle Stände ausgegoſſen wird: an dieſem Bauern, „der ſich mit Schalksnägeln kraut,“ wird jeder Witz eines Andern zu Schande. Nur von dieſer Seite faßte der deutſche Bear- beiter die Fabel vom Fuchs auf; er ſieht darin eine Sym- boliſirung der Mängel der menſchlichen Geſellſchaft, wie er denn gar bald die verſchiednen Stände entdeckt hat, und ſich bemüht die Lehren zu entwickeln, die der Poet einem jeden ertheile. Auf den erſten Blick tritt dieſer In- halt in Brant’s Narrenſchiff hervor. Es iſt nicht Spott über einzelne Thorheiten: auf der einen Seite wird das La- ſter, ja das Verbrechen; auf der andern auch ein höheres über das Gemeine hinausgehendes Beſtreben, wenn man z. B. all ſein Sinnen darauf richte Städte und Länder zu erkunden, wenn man den Zirkel zur Hand nehme um zu erforſchen wie breit die Erde, wie fern das Meer ſich ziehe, unter dem Geſichtspunct der Thorheit betrachtet. 2 Glorie und Schönheit werden verachtet, weil ſie vergänglich ſind: „nichts iſt bleiblich als die Lehre.“ Bei dieſer allgemeinen Oppoſition gegen die obwal- 1 Auch in der Beſchreibung der Schlacht von Hembach in Reinharts Beitraͤgen zur Hiſtorie Frankenlandes wird der Adel „als eine ſcharfe Gerte, die uns um unſrer Suͤnden willen zuͤchtigt,“ be- zeichnet: ſeine Herzen ſind haͤrter als der Demant. 2 Doctor Brants Narrenſchiff. 1506. f. 83. Ranke d. Geſch. I. 17

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/275>, abgerufen am 24.11.2024.