Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweites Buch. Erstes Capitel.
anerkannt. 1 Gewiß, wäre es ihnen gelungen, sie würden
nicht bei den Juden stehn geblieben seyn!

Und indessen bewegten sich die geistigen Bestrebungen
überhaupt noch in den von der Kirche angewiesenen Bah-
nen; Deutschland ist ein rechtes Beispiel, wie die höhere
Thätigkeit eines occidentalischen Volksgeistes ihre Richtung
so überwiegend von den kirchlichen Prinzipien empfieng.

Die großen Werkstätten der Literatur, die deutschen
Universitäten waren mehr oder minder alle Colonien, lands-
mannschaftliche Abzweigungen der Pariser; entweder unmit-
telbar wie die ältern, oder mittelbar wie die spätern von
ihr ausgegangen. Ihre Statuten beginnen zuweilen mit
einem Lobspruch der Alma Mater von Paris. 2 Von da
war nun auch das ganze System der Scholastik, die Strei-
tigkeiten zwischen Nominalismus und Realismus, das
Übergewicht der theologischen Facultät, "des glänzenden
Gestirnes, von dem dort alles Licht und Leben empfange,"
auf sie übertragen worden. In der Theologie hatte dann
wieder der Professor der Sentenzen den Vorzug, der Bac-

ca-
1 Gutachten, im Augenspiegel Reuchlins: abgedruckt bei v. d.
Hardt Historia liter. reformationis III, 61.
2 Principium statutorum facultatis theologicae studii Vien-
nensis ap. Kollar Analecta I, 137. p. 240 n.
2. Cöllner Sta-
tut bei Bianco Cöllner Studienstiftungen p. 451 divinae sapientiae
fluvius descendens a patre luminum -- ab alveo Parisiens. stu-
dii tanquam cisterna conductu capto per canalia prorumpit Rheni
partes ubertando.
Übrigens ist die Genealogie folgende. Von Paris
giengen aus Prag Wien Heidelberg und Cölln; von Prag: Leipzig
Rostock Greifswald, großentheils auch Erfurt; von Cölln: Löwen und
Trier; von Wien Freiburg und den Statuten zufolge Ingolstadt. In
Basel und Tübingen hatte man anfangs zugleich Rücksicht auf Bo-
logna genommen: aber auch in Basel hieß die erste Bursa die Pariser
in Tübingen war der erste Lehrer der Theologie Magister von Paris.

Zweites Buch. Erſtes Capitel.
anerkannt. 1 Gewiß, wäre es ihnen gelungen, ſie würden
nicht bei den Juden ſtehn geblieben ſeyn!

Und indeſſen bewegten ſich die geiſtigen Beſtrebungen
überhaupt noch in den von der Kirche angewieſenen Bah-
nen; Deutſchland iſt ein rechtes Beiſpiel, wie die höhere
Thätigkeit eines occidentaliſchen Volksgeiſtes ihre Richtung
ſo überwiegend von den kirchlichen Prinzipien empfieng.

Die großen Werkſtätten der Literatur, die deutſchen
Univerſitäten waren mehr oder minder alle Colonien, lands-
mannſchaftliche Abzweigungen der Pariſer; entweder unmit-
telbar wie die ältern, oder mittelbar wie die ſpätern von
ihr ausgegangen. Ihre Statuten beginnen zuweilen mit
einem Lobſpruch der Alma Mater von Paris. 2 Von da
war nun auch das ganze Syſtem der Scholaſtik, die Strei-
tigkeiten zwiſchen Nominalismus und Realismus, das
Übergewicht der theologiſchen Facultät, „des glänzenden
Geſtirnes, von dem dort alles Licht und Leben empfange,“
auf ſie übertragen worden. In der Theologie hatte dann
wieder der Profeſſor der Sentenzen den Vorzug, der Bac-

ca-
1 Gutachten, im Augenſpiegel Reuchlins: abgedruckt bei v. d.
Hardt Historia liter. reformationis III, 61.
2 Principium statutorum facultatis theologicae studii Vien-
nensis ap. Kollar Analecta I, 137. p. 240 n.
2. Coͤllner Sta-
tut bei Bianco Coͤllner Studienſtiftungen p. 451 divinae sapientiae
fluvius descendens a patre luminum — ab alveo Parisiens. stu-
dii tanquam cisterna conductu capto per canalia prorumpit Rheni
partes ubertando.
Uͤbrigens iſt die Genealogie folgende. Von Paris
giengen aus Prag Wien Heidelberg und Coͤlln; von Prag: Leipzig
Roſtock Greifswald, großentheils auch Erfurt; von Coͤlln: Loͤwen und
Trier; von Wien Freiburg und den Statuten zufolge Ingolſtadt. In
Baſel und Tuͤbingen hatte man anfangs zugleich Rückſicht auf Bo-
logna genommen: aber auch in Baſel hieß die erſte Burſa die Pariſer
in Tuͤbingen war der erſte Lehrer der Theologie Magiſter von Paris.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0258" n="240"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweites Buch. Er&#x017F;tes Capitel</hi>.</fw><lb/>
anerkannt. <note place="foot" n="1">Gutachten, im Augen&#x017F;piegel Reuchlins: abgedruckt bei v. d.<lb/>
Hardt <hi rendition="#aq">Historia liter. reformationis III,</hi> 61.</note> Gewiß, wäre es ihnen gelungen, &#x017F;ie würden<lb/>
nicht bei den Juden &#x017F;tehn geblieben &#x017F;eyn!</p><lb/>
            <p>Und inde&#x017F;&#x017F;en bewegten &#x017F;ich die gei&#x017F;tigen Be&#x017F;trebungen<lb/>
überhaupt noch in den von der Kirche angewie&#x017F;enen Bah-<lb/>
nen; Deut&#x017F;chland i&#x017F;t ein rechtes Bei&#x017F;piel, wie die höhere<lb/>
Thätigkeit eines occidentali&#x017F;chen Volksgei&#x017F;tes ihre Richtung<lb/>
&#x017F;o überwiegend von den kirchlichen Prinzipien empfieng.</p><lb/>
            <p>Die großen Werk&#x017F;tätten der Literatur, die deut&#x017F;chen<lb/>
Univer&#x017F;itäten waren mehr oder minder alle Colonien, lands-<lb/>
mann&#x017F;chaftliche Abzweigungen der Pari&#x017F;er; entweder unmit-<lb/>
telbar wie die ältern, oder mittelbar wie die &#x017F;pätern von<lb/>
ihr ausgegangen. Ihre Statuten beginnen zuweilen mit<lb/>
einem Lob&#x017F;pruch der Alma Mater von Paris. <note place="foot" n="2"><hi rendition="#aq">Principium statutorum facultatis theologicae studii Vien-<lb/>
nensis ap. Kollar Analecta I, 137. p. 240 n.</hi> 2. Co&#x0364;llner Sta-<lb/>
tut bei Bianco Co&#x0364;llner Studien&#x017F;tiftungen <hi rendition="#aq">p. 451 divinae sapientiae<lb/>
fluvius descendens a patre luminum &#x2014; ab alveo Parisiens. stu-<lb/>
dii tanquam cisterna conductu capto per canalia prorumpit Rheni<lb/>
partes ubertando.</hi> U&#x0364;brigens i&#x017F;t die Genealogie folgende. Von Paris<lb/>
giengen aus Prag Wien Heidelberg und Co&#x0364;lln; von Prag: Leipzig<lb/>
Ro&#x017F;tock Greifswald, großentheils auch Erfurt; von Co&#x0364;lln: Lo&#x0364;wen und<lb/><hi rendition="#g">Trie</hi>r; von Wien Freiburg und den Statuten zufolge Ingol&#x017F;tadt. In<lb/>
Ba&#x017F;el und Tu&#x0364;bingen hatte man anfangs zugleich Rück&#x017F;icht auf Bo-<lb/>
logna genommen: aber auch in Ba&#x017F;el hieß die er&#x017F;te Bur&#x017F;a die Pari&#x017F;er<lb/>
in Tu&#x0364;bingen war der er&#x017F;te Lehrer der Theologie Magi&#x017F;ter von Paris.</note> Von da<lb/>
war nun auch das ganze Sy&#x017F;tem der Schola&#x017F;tik, die Strei-<lb/>
tigkeiten zwi&#x017F;chen Nominalismus und Realismus, das<lb/>
Übergewicht der theologi&#x017F;chen Facultät, &#x201E;des glänzenden<lb/>
Ge&#x017F;tirnes, von dem dort alles Licht und Leben empfange,&#x201C;<lb/>
auf &#x017F;ie übertragen worden. In der Theologie hatte dann<lb/>
wieder der Profe&#x017F;&#x017F;or der Sentenzen den Vorzug, der Bac-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ca-</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[240/0258] Zweites Buch. Erſtes Capitel. anerkannt. 1 Gewiß, wäre es ihnen gelungen, ſie würden nicht bei den Juden ſtehn geblieben ſeyn! Und indeſſen bewegten ſich die geiſtigen Beſtrebungen überhaupt noch in den von der Kirche angewieſenen Bah- nen; Deutſchland iſt ein rechtes Beiſpiel, wie die höhere Thätigkeit eines occidentaliſchen Volksgeiſtes ihre Richtung ſo überwiegend von den kirchlichen Prinzipien empfieng. Die großen Werkſtätten der Literatur, die deutſchen Univerſitäten waren mehr oder minder alle Colonien, lands- mannſchaftliche Abzweigungen der Pariſer; entweder unmit- telbar wie die ältern, oder mittelbar wie die ſpätern von ihr ausgegangen. Ihre Statuten beginnen zuweilen mit einem Lobſpruch der Alma Mater von Paris. 2 Von da war nun auch das ganze Syſtem der Scholaſtik, die Strei- tigkeiten zwiſchen Nominalismus und Realismus, das Übergewicht der theologiſchen Facultät, „des glänzenden Geſtirnes, von dem dort alles Licht und Leben empfange,“ auf ſie übertragen worden. In der Theologie hatte dann wieder der Profeſſor der Sentenzen den Vorzug, der Bac- ca- 1 Gutachten, im Augenſpiegel Reuchlins: abgedruckt bei v. d. Hardt Historia liter. reformationis III, 61. 2 Principium statutorum facultatis theologicae studii Vien- nensis ap. Kollar Analecta I, 137. p. 240 n. 2. Coͤllner Sta- tut bei Bianco Coͤllner Studienſtiftungen p. 451 divinae sapientiae fluvius descendens a patre luminum — ab alveo Parisiens. stu- dii tanquam cisterna conductu capto per canalia prorumpit Rheni partes ubertando. Uͤbrigens iſt die Genealogie folgende. Von Paris giengen aus Prag Wien Heidelberg und Coͤlln; von Prag: Leipzig Roſtock Greifswald, großentheils auch Erfurt; von Coͤlln: Loͤwen und Trier; von Wien Freiburg und den Statuten zufolge Ingolſtadt. In Baſel und Tuͤbingen hatte man anfangs zugleich Rückſicht auf Bo- logna genommen: aber auch in Baſel hieß die erſte Burſa die Pariſer in Tuͤbingen war der erſte Lehrer der Theologie Magiſter von Paris.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/258
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/258>, abgerufen am 15.06.2024.