Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 2. Berlin, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

Kirchlich politische Theorie.
Macht zurückzunehmen, und aufs neue zu übertragen. Man
glaube nicht, daß dieß nur seine individuelle Ansicht gewe-
sen sey: es ist in der That die herrschende Lehre der Je-
suitenschulen dieser Zeit. In einem Handbuche für die Beicht-
väter, das sich durch die ganze katholische Welt verbrei-
tete, und von dem Magister sacri palatii revidirt war,
wird die fürstliche Gewalt nicht allein als dem Papst un-
terworfen betrachtet in so weit es das Heil der Seelen
erfordere: 1) es heißt darin mit dürren Worten: ein Kö-
nig könne wegen Tyrannei oder Vernachläßigang seiner
Pflichten von dem Volke abgesetzt, und dann von der Mehr-
zahl der Nation ein Anderer an seine Stelle gewählt wer-
den 2). Franciscus Suarez, Professor primarius der Theo-
logie zu Coimbra macht es sich in seiner Vertheidigung
der katholischen Kirche gegen die anglicanische zum beson-
dern Geschäft die Lehre des Bellarmin zu erläutern und zu
bestätigen 3). Mit augenscheinlicher Vorliebe aber bildet

1) Aphorismi confessariorum ex doctorum sententiis col-
lecti, autore Emanuele Sa, nuper accurate expurgati a revmo
P. M. sacri palatii, ed. Antv. p
. 480. Doch fügt der Autor,
gleich als habe er damit zu wenig gesagt, noch hinzu: Quidem ta-
men juris periti putarunt summum pontificem suprema civili po-
testate pollere
.
2) Ibid. p. 508 (ed. Colon. p. 313) Rex potest per rem-
publicam privari ob tyrannidem et si non faciat officium suum
et cum est aliqua causa justa, et eligi potest alius a majore
parte populi: quidam tamen solum tyrannidem causam putant
.
3) R. P. Franc. Suarez Granatensis etc. defensio fidei ca-
tholicae et apostolicae adversus Anglicanae sectae errores lib.
III: de summi pontificis supra temporales reges excellentia
et potestate
. Man sieht, daß der Lehrsatz Bellarmins von dem
Rechte des Volkes die übertragene Gewalt wieder zurückzunehmen
besondern Widerspruch erregt hatte.

Kirchlich politiſche Theorie.
Macht zuruͤckzunehmen, und aufs neue zu uͤbertragen. Man
glaube nicht, daß dieß nur ſeine individuelle Anſicht gewe-
ſen ſey: es iſt in der That die herrſchende Lehre der Je-
ſuitenſchulen dieſer Zeit. In einem Handbuche fuͤr die Beicht-
vaͤter, das ſich durch die ganze katholiſche Welt verbrei-
tete, und von dem Magiſter ſacri palatii revidirt war,
wird die fuͤrſtliche Gewalt nicht allein als dem Papſt un-
terworfen betrachtet in ſo weit es das Heil der Seelen
erfordere: 1) es heißt darin mit duͤrren Worten: ein Koͤ-
nig koͤnne wegen Tyrannei oder Vernachlaͤßigang ſeiner
Pflichten von dem Volke abgeſetzt, und dann von der Mehr-
zahl der Nation ein Anderer an ſeine Stelle gewaͤhlt wer-
den 2). Franciscus Suarez, Profeſſor primarius der Theo-
logie zu Coimbra macht es ſich in ſeiner Vertheidigung
der katholiſchen Kirche gegen die anglicaniſche zum beſon-
dern Geſchaͤft die Lehre des Bellarmin zu erlaͤutern und zu
beſtaͤtigen 3). Mit augenſcheinlicher Vorliebe aber bildet

1) Aphorismi confessariorum ex doctorum sententiis col-
lecti, autore Emanuele Sa, nuper accurate expurgati a revmo
P. M. sacri palatii, ed. Antv. p
. 480. Doch fuͤgt der Autor,
gleich als habe er damit zu wenig geſagt, noch hinzu: Quidem ta-
men juris periti putarunt summum pontificem suprema civili po-
testate pollere
.
2) Ibid. p. 508 (ed. Colon. p. 313) Rex potest per rem-
publicam privari ob tyrannidem et si non faciat officium suum
et cum est aliqua causa justa, et eligi potest alius a majore
parte populi: quidam tamen solum tyrannidem causam putant
.
3) R. P. Franc. Suarez Granatensis etc. defensio fidei ca-
tholicae et apostolicae adversus Anglicanae sectae errores lib.
III: de summi pontificis supra temporales reges excellentia
et potestate
. Man ſieht, daß der Lehrſatz Bellarmins von dem
Rechte des Volkes die uͤbertragene Gewalt wieder zuruͤckzunehmen
beſondern Widerſpruch erregt hatte.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0197" n="185"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Kirchlich politi&#x017F;che Theorie</hi>.</fw><lb/>
Macht zuru&#x0364;ckzunehmen, und aufs neue zu u&#x0364;bertragen. Man<lb/>
glaube nicht, daß dieß nur &#x017F;eine individuelle An&#x017F;icht gewe-<lb/>
&#x017F;en &#x017F;ey: es i&#x017F;t in der That die herr&#x017F;chende Lehre der Je-<lb/>
&#x017F;uiten&#x017F;chulen die&#x017F;er Zeit. In einem Handbuche fu&#x0364;r die Beicht-<lb/>
va&#x0364;ter, das &#x017F;ich durch die ganze katholi&#x017F;che Welt verbrei-<lb/>
tete, und von dem Magi&#x017F;ter &#x017F;acri palatii revidirt war,<lb/>
wird die fu&#x0364;r&#x017F;tliche Gewalt nicht allein als dem Pap&#x017F;t un-<lb/>
terworfen betrachtet in &#x017F;o weit es das Heil der Seelen<lb/>
erfordere: <note place="foot" n="1)"><hi rendition="#aq">Aphorismi confessariorum ex doctorum sententiis col-<lb/>
lecti, autore Emanuele Sa, nuper accurate expurgati a rev<hi rendition="#sup">mo</hi><lb/>
P. M. sacri palatii, ed. Antv. p</hi>. 480. Doch fu&#x0364;gt der Autor,<lb/>
gleich als habe er damit zu wenig ge&#x017F;agt, noch hinzu: <hi rendition="#aq">Quidem ta-<lb/>
men juris periti putarunt summum pontificem suprema civili po-<lb/>
testate pollere</hi>.</note> es heißt darin mit du&#x0364;rren Worten: ein Ko&#x0364;-<lb/>
nig ko&#x0364;nne wegen Tyrannei oder Vernachla&#x0364;ßigang &#x017F;einer<lb/>
Pflichten von dem Volke abge&#x017F;etzt, und dann von der Mehr-<lb/>
zahl der Nation ein Anderer an &#x017F;eine Stelle gewa&#x0364;hlt wer-<lb/>
den <note place="foot" n="2)"><hi rendition="#aq">Ibid. p. 508 (ed. Colon. p. 313) Rex potest per rem-<lb/>
publicam privari ob tyrannidem et si non faciat officium suum<lb/>
et cum est aliqua causa justa, et eligi potest alius a majore<lb/>
parte populi: quidam tamen solum tyrannidem causam putant</hi>.</note>. Franciscus Suarez, Profe&#x017F;&#x017F;or primarius der Theo-<lb/>
logie zu Coimbra macht es &#x017F;ich in &#x017F;einer Vertheidigung<lb/>
der katholi&#x017F;chen Kirche gegen die anglicani&#x017F;che zum be&#x017F;on-<lb/>
dern Ge&#x017F;cha&#x0364;ft die Lehre des Bellarmin zu erla&#x0364;utern und zu<lb/>
be&#x017F;ta&#x0364;tigen <note place="foot" n="3)"><hi rendition="#aq">R. P. Franc. Suarez Granatensis etc. defensio fidei ca-<lb/>
tholicae et apostolicae adversus Anglicanae sectae errores lib.<lb/>
III: de summi pontificis supra temporales reges excellentia<lb/>
et potestate</hi>. Man &#x017F;ieht, daß der Lehr&#x017F;atz Bellarmins von dem<lb/>
Rechte des Volkes die u&#x0364;bertragene Gewalt wieder zuru&#x0364;ckzunehmen<lb/>
be&#x017F;ondern Wider&#x017F;pruch erregt hatte.</note>. Mit augen&#x017F;cheinlicher Vorliebe aber bildet<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[185/0197] Kirchlich politiſche Theorie. Macht zuruͤckzunehmen, und aufs neue zu uͤbertragen. Man glaube nicht, daß dieß nur ſeine individuelle Anſicht gewe- ſen ſey: es iſt in der That die herrſchende Lehre der Je- ſuitenſchulen dieſer Zeit. In einem Handbuche fuͤr die Beicht- vaͤter, das ſich durch die ganze katholiſche Welt verbrei- tete, und von dem Magiſter ſacri palatii revidirt war, wird die fuͤrſtliche Gewalt nicht allein als dem Papſt un- terworfen betrachtet in ſo weit es das Heil der Seelen erfordere: 1) es heißt darin mit duͤrren Worten: ein Koͤ- nig koͤnne wegen Tyrannei oder Vernachlaͤßigang ſeiner Pflichten von dem Volke abgeſetzt, und dann von der Mehr- zahl der Nation ein Anderer an ſeine Stelle gewaͤhlt wer- den 2). Franciscus Suarez, Profeſſor primarius der Theo- logie zu Coimbra macht es ſich in ſeiner Vertheidigung der katholiſchen Kirche gegen die anglicaniſche zum beſon- dern Geſchaͤft die Lehre des Bellarmin zu erlaͤutern und zu beſtaͤtigen 3). Mit augenſcheinlicher Vorliebe aber bildet 1) Aphorismi confessariorum ex doctorum sententiis col- lecti, autore Emanuele Sa, nuper accurate expurgati a revmo P. M. sacri palatii, ed. Antv. p. 480. Doch fuͤgt der Autor, gleich als habe er damit zu wenig geſagt, noch hinzu: Quidem ta- men juris periti putarunt summum pontificem suprema civili po- testate pollere. 2) Ibid. p. 508 (ed. Colon. p. 313) Rex potest per rem- publicam privari ob tyrannidem et si non faciat officium suum et cum est aliqua causa justa, et eligi potest alius a majore parte populi: quidam tamen solum tyrannidem causam putant. 3) R. P. Franc. Suarez Granatensis etc. defensio fidei ca- tholicae et apostolicae adversus Anglicanae sectae errores lib. III: de summi pontificis supra temporales reges excellentia et potestate. Man ſieht, daß der Lehrſatz Bellarmins von dem Rechte des Volkes die uͤbertragene Gewalt wieder zuruͤckzunehmen beſondern Widerſpruch erregt hatte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste02_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste02_1836/197
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 2. Berlin, 1836, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste02_1836/197>, abgerufen am 02.05.2024.