Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 2. Berlin, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

Buch VI. Innere Streitigkeiten.
Gebiete nicht die Seele dem Leibe selbst den Tod wenn
es nöthig sey? In der Regel könne der Papst einen Für-
sten freilich nicht absetzen: sollte es aber zum Heile der
Seelen nothwendig werden, so besitze er das Recht die
Regierung zu verändern, sie von Einem auf den Andern
zu übertragen 1).

Bei diesen Behauptungen lag nur die Einwendung
sehr nahe, daß doch auch die königliche Gewalt auf gött-
lichem Rechte beruhe.

Oder welcher Ursprung, welche Bedeutung wohnten
ihr sonst bei?

Die Jesuiten trugen kein Bedenken die fürstliche Macht
vom Volke herzuleiten. Mit ihren Lehren von der päpst-
lichen Allgewalt verschmolzen sie die Theorie von der Volks-
souveränetät zu Einem Systeme. Schon bei Allen und
Person lag sie mehr oder minder ausgesprochen zu Grunde:
Bellarmin sucht sie ausführlich zu begründen. Er findet,
Gott habe die weltliche Gewalt an Niemand besonders ver-
liehen: daraus folge, daß er sie der Menge verliehen habe:
die Gewalt ruhe demnach in dem Volke, das Volk über-
trage sie bald einem Einzigen, bald Mehreren: es be-
halte sogar immer das Recht diese Formen zu ändern, die

1) Diese Lehren fassen doch im Grunde nur die im 13ten Jahr-
hundert vorgetragenen Sätze aufs neue zusammen. Schon Thomas
von Aquino hat den Vergleich der hier eine so große Rolle spielt:
"Potestas secularis subditur spirituali sicut corpus animae."
Bellarmin führt in dem Tractatus de potestate summi pontificis
in rebus temporalibus adversus G. Barclajum
über 70 Schrift-
steller aus den verschiedenen Nationen auf, von welchen die Macht
des Papstes ungefähr eben so verstanden werde wie von ihm.

Buch VI. Innere Streitigkeiten.
Gebiete nicht die Seele dem Leibe ſelbſt den Tod wenn
es noͤthig ſey? In der Regel koͤnne der Papſt einen Fuͤr-
ſten freilich nicht abſetzen: ſollte es aber zum Heile der
Seelen nothwendig werden, ſo beſitze er das Recht die
Regierung zu veraͤndern, ſie von Einem auf den Andern
zu uͤbertragen 1).

Bei dieſen Behauptungen lag nur die Einwendung
ſehr nahe, daß doch auch die koͤnigliche Gewalt auf goͤtt-
lichem Rechte beruhe.

Oder welcher Urſprung, welche Bedeutung wohnten
ihr ſonſt bei?

Die Jeſuiten trugen kein Bedenken die fuͤrſtliche Macht
vom Volke herzuleiten. Mit ihren Lehren von der paͤpſt-
lichen Allgewalt verſchmolzen ſie die Theorie von der Volks-
ſouveraͤnetaͤt zu Einem Syſteme. Schon bei Allen und
Perſon lag ſie mehr oder minder ausgeſprochen zu Grunde:
Bellarmin ſucht ſie ausfuͤhrlich zu begruͤnden. Er findet,
Gott habe die weltliche Gewalt an Niemand beſonders ver-
liehen: daraus folge, daß er ſie der Menge verliehen habe:
die Gewalt ruhe demnach in dem Volke, das Volk uͤber-
trage ſie bald einem Einzigen, bald Mehreren: es be-
halte ſogar immer das Recht dieſe Formen zu aͤndern, die

1) Dieſe Lehren faſſen doch im Grunde nur die im 13ten Jahr-
hundert vorgetragenen Saͤtze aufs neue zuſammen. Schon Thomas
von Aquino hat den Vergleich der hier eine ſo große Rolle ſpielt:
„Potestas secularis subditur spirituali sicut corpus animae.“
Bellarmin fuͤhrt in dem Tractatus de potestate summi pontificis
in rebus temporalibus adversus G. Barclajum
uͤber 70 Schrift-
ſteller aus den verſchiedenen Nationen auf, von welchen die Macht
des Papſtes ungefaͤhr eben ſo verſtanden werde wie von ihm.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0196" n="184"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Buch</hi><hi rendition="#aq">VI</hi>. <hi rendition="#g">Innere Streitigkeiten</hi>.</fw><lb/>
Gebiete nicht die Seele dem Leibe &#x017F;elb&#x017F;t den Tod wenn<lb/>
es no&#x0364;thig &#x017F;ey? In der Regel ko&#x0364;nne der Pap&#x017F;t einen Fu&#x0364;r-<lb/>
&#x017F;ten freilich nicht ab&#x017F;etzen: &#x017F;ollte es aber zum Heile der<lb/>
Seelen nothwendig werden, &#x017F;o be&#x017F;itze er das Recht die<lb/>
Regierung zu vera&#x0364;ndern, &#x017F;ie von Einem auf den Andern<lb/>
zu u&#x0364;bertragen <note place="foot" n="1)">Die&#x017F;e Lehren fa&#x017F;&#x017F;en doch im Grunde nur die im 13ten Jahr-<lb/>
hundert vorgetragenen Sa&#x0364;tze aufs neue zu&#x017F;ammen. Schon Thomas<lb/>
von Aquino hat den Vergleich der hier eine &#x017F;o große Rolle &#x017F;pielt:<lb/><hi rendition="#aq">&#x201E;Potestas secularis subditur spirituali sicut corpus animae.&#x201C;</hi><lb/>
Bellarmin fu&#x0364;hrt in dem <hi rendition="#aq">Tractatus de potestate summi pontificis<lb/>
in rebus temporalibus adversus G. Barclajum</hi> u&#x0364;ber 70 Schrift-<lb/>
&#x017F;teller aus den ver&#x017F;chiedenen Nationen auf, von welchen die Macht<lb/>
des Pap&#x017F;tes ungefa&#x0364;hr eben &#x017F;o ver&#x017F;tanden werde wie von ihm.</note>.</p><lb/>
          <p>Bei die&#x017F;en Behauptungen lag nur die Einwendung<lb/>
&#x017F;ehr nahe, daß doch auch die ko&#x0364;nigliche Gewalt auf go&#x0364;tt-<lb/>
lichem Rechte beruhe.</p><lb/>
          <p>Oder welcher Ur&#x017F;prung, welche Bedeutung wohnten<lb/>
ihr &#x017F;on&#x017F;t bei?</p><lb/>
          <p>Die Je&#x017F;uiten trugen kein Bedenken die fu&#x0364;r&#x017F;tliche Macht<lb/>
vom Volke herzuleiten. Mit ihren Lehren von der pa&#x0364;p&#x017F;t-<lb/>
lichen Allgewalt ver&#x017F;chmolzen &#x017F;ie die Theorie von der Volks-<lb/>
&#x017F;ouvera&#x0364;neta&#x0364;t zu Einem Sy&#x017F;teme. Schon bei Allen und<lb/>
Per&#x017F;on lag &#x017F;ie mehr oder minder ausge&#x017F;prochen zu Grunde:<lb/>
Bellarmin &#x017F;ucht &#x017F;ie ausfu&#x0364;hrlich zu begru&#x0364;nden. Er findet,<lb/>
Gott habe die weltliche Gewalt an Niemand be&#x017F;onders ver-<lb/>
liehen: daraus folge, daß er &#x017F;ie der Menge verliehen habe:<lb/>
die Gewalt ruhe demnach in dem Volke, das Volk u&#x0364;ber-<lb/>
trage &#x017F;ie bald einem Einzigen, bald Mehreren: es be-<lb/>
halte &#x017F;ogar immer das Recht die&#x017F;e Formen zu a&#x0364;ndern, die<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[184/0196] Buch VI. Innere Streitigkeiten. Gebiete nicht die Seele dem Leibe ſelbſt den Tod wenn es noͤthig ſey? In der Regel koͤnne der Papſt einen Fuͤr- ſten freilich nicht abſetzen: ſollte es aber zum Heile der Seelen nothwendig werden, ſo beſitze er das Recht die Regierung zu veraͤndern, ſie von Einem auf den Andern zu uͤbertragen 1). Bei dieſen Behauptungen lag nur die Einwendung ſehr nahe, daß doch auch die koͤnigliche Gewalt auf goͤtt- lichem Rechte beruhe. Oder welcher Urſprung, welche Bedeutung wohnten ihr ſonſt bei? Die Jeſuiten trugen kein Bedenken die fuͤrſtliche Macht vom Volke herzuleiten. Mit ihren Lehren von der paͤpſt- lichen Allgewalt verſchmolzen ſie die Theorie von der Volks- ſouveraͤnetaͤt zu Einem Syſteme. Schon bei Allen und Perſon lag ſie mehr oder minder ausgeſprochen zu Grunde: Bellarmin ſucht ſie ausfuͤhrlich zu begruͤnden. Er findet, Gott habe die weltliche Gewalt an Niemand beſonders ver- liehen: daraus folge, daß er ſie der Menge verliehen habe: die Gewalt ruhe demnach in dem Volke, das Volk uͤber- trage ſie bald einem Einzigen, bald Mehreren: es be- halte ſogar immer das Recht dieſe Formen zu aͤndern, die 1) Dieſe Lehren faſſen doch im Grunde nur die im 13ten Jahr- hundert vorgetragenen Saͤtze aufs neue zuſammen. Schon Thomas von Aquino hat den Vergleich der hier eine ſo große Rolle ſpielt: „Potestas secularis subditur spirituali sicut corpus animae.“ Bellarmin fuͤhrt in dem Tractatus de potestate summi pontificis in rebus temporalibus adversus G. Barclajum uͤber 70 Schrift- ſteller aus den verſchiedenen Nationen auf, von welchen die Macht des Papſtes ungefaͤhr eben ſo verſtanden werde wie von ihm.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste02_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste02_1836/196
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 2. Berlin, 1836, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste02_1836/196>, abgerufen am 03.05.2024.